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156 Der Sommerfeldzug 1914 gegen Rußland
gend gewünschte Kriegserklärung an Rußland möglichst hinauszuschie¬
ben, welche in der Tat, trotz der Ungeduld Deutschlands, erst am
6. August erlassen wurde1).
In operativer Hinsicht sollte dem Vor sprung Rußlands durch die auch
wegen der Haltung Rumäniens notwendig gewordene Rückverlegung des
Aufmarsches hinter den Dniester und den San einigermaßen begegnet
werden. Von den jenseits dieser Linie stehenden Kräften hatten die gegen
die Grenze vorgeschobenen Deckungstruppen nach den im Frieden aus¬
gearbeiteten „Alarminstruktionen" den Aufmarsch gegen Störungen durch
russische Kavallerie zu sichern. Das dahinter bei Czernowitz, Brze£any
und Lemberg in drei Gruppen mobilisierende XI. Korps war angewiesen,
einem überlegenen Angriff kampflos gegen Ottynia, Martinów Str. am
Dniester und Sambor auszuweichen.
Allen Besorgnissen zum Trotz ging der Aufmarsch in Galizien
planmäßig, ohne Störung durch den Feind, vonstatten. Auch der be¬
fürchtete Einbruch russischer Reitermassen blieb aus. Wo untergeordnete
feindliche Kräfte über die Grenze vorfühlten, wurden sie ohne Schwierig¬
keiten zurückgewiesen. Diese leicht errungenen Erfolge veranlaßten den
Kommandanten des XI. Korps, GdK. v. Kolossváry, am 8. August zu dem
Entschluß, Lemberg nicht nur bis zur Vollendung des Aufmarsches,
sondern auch bis zum Herankommen der eigenen Armeen zu halten.
Das AOK. verstand es sehr wohl, daß der Korpsführer den Krieg nicht
mit der freiwilligen Räumung der durch Feldbefestigungen geschützten
Landeshauptstadt beginnen wollte. Dennoch ließ es GdK. Kolossváry
wissen, daß die planmäßige Durchführung des Aufmarsches die Haupt¬
sache bleiben müsse. Feindliche Kavallerie sei vor den Ausladeorten ab¬
zuweisen, feindlichen Armeekörpern in den Aufmarschräumen Halt zu
gebieten. Die Entscheidung, ob bei einem überlegenen russischen Angriff,
gegebenenfalls mit Unterstützung des bei Sambor aufmarschierenden
XIV. Korps, Lemberg zu halten sein werde, behielt sich die Heeres¬
leitung vor. Gegenüber untergeordneten Kräften sollte die Hauptstadt
Galiziens jedenfalls behauptet werden.
Der als möglich in Rechnung gezogene frühzeitige Vorstoß russi¬
scher Armeekörper gegen Lemberg verwirklichte sich nicht. Das bedingte
Eingehen des AOK. auf die Vorschläge des XI. Korps sollte dennoch
der Auswirkung auf die ersten Kriegshandlungen nicht ganz entbehren.
!) Conrad, IV, 175; Weger er, Die Widerlegung der Versailler Kriegs-
schuldthese (Berlin 1928), 199 ff. — Gegenüber den Westmächten zog es Österreich-
Ungarn im Hinblick auf die Lage in der Adria vor, sich den Krieg erklären zu' lassen.