Volltext: Das Trugbild von Versailles

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entwaffnet und verstümmelt in einem Ring schwerbewaffneter französischer 
Gefolgstaaten eingeschlossen. Selbst wenn Deutschland sich erheben und 
Wehr und Waffen, Männer und Maschinen aus dem Boden stampfen oder 
vom Limmel herabholen könnte, wäre Belgien vor einem Zusammeirprall 
mit starkem Feind gesichert. Da die Franzosen am Rhein ausmarschiert 
stehen und die Mainpforte aus der Nähe und aus der Feme bedrohen, kann 
der Deutsche nicht daran denken, eine exzentrische Operation großen Stils 
in der Nordsianke zu entfesseln, die von vornherein der Amfassung ausgesetzt 
wäre. Er liefe dem Gegner mit gebundenen Länden in die Arme. Das 
centrum gravitatis der französischen Kriegsmacht ist zwischen Mainz und 
Metz so tief verankert, daß es selbst durch einen Massenstoß aus der Nord- 
flanke nicht aus den Angeln gehoben werden könnte. Weicht der Franzose 
nach Jahr und Tag vertragsgemäß von Koblenz und Mainz auf die Saar, 
so öffnet er im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung den Deutschen 
durch diese politisch geordnete, aber strategisch gedachte Rückbewegung 
nicht den Weg nach Belgien, sondem nur die geschichtlichen Schlacht 
gefilde an den Taunushöhen, an der Neckarpforte und an der Lardt, 
sofem er nicht selbst aus den alten Lagem auf der Lothringer Lochfläche 
hemorbricht, das kahlgeschoreneGlacis im Fluge durchmißt und imMaintal 
erscheint, bevor der Deutsche die entwaffnete Zone durchschritten hat. 
Die Schöpfer der belgisch-französischen Militärkonvention beschworen 
den Schatten des großen Krieges nur herauf, um den Pakt historisch zu 
betten. 
Die belgische Armee ist verpflichtet, im Falle der Not auf Paris zu 
weichen,aber ihre Aufgabe ist offensiverund defensiver Natur. Steht sie an 
der Lütticher Maas vor den Ardennenpässen und im Maastrichter Winkel, 
so deckt sie Belgien und ist zugleich in der Lage, aus Malmedy und Berviers 
gestützt, vom Fleck weg zum Vormarsch anzutreten, denn sie beherrscht die 
Linien Aachen—Köln und Aachen—Düsseldorf, die Roer, die Erstund den 
Niederrhein. Die Räumung der Kölner Zone ändert daran nichts zu 
Gunsten Deutschlands. Die belgische Feldarmee schreibt dem entfestigten, 
unter Dienstbarkeiten seufzenden Lande auf dem Nordflügel das strategische 
Gesetz. Schwenkt sie aber auf dem Fleck nach Norden, so liegt Lolland 
von Maastricht bis Bergen op Zoom vor ihr aufgeschlagen. 
Der Kriegsgeschichte ist dieser Aufmarsch nicht fremd. 
Wo heute die belgische Armee als Nordgruppe der belgisch-französischen 
Leeresmasse versammelt steht, stand im Frühling des Jahres 1672 die 
Armee Ludwigs XIV. unter Turennes Befehl zum Vormarsch bereit, um, 
auf Kurköln gestützt, zwischen Bise und Maastricht durchzubrechen, über 
raschend vor Wesel und Emmerich zu erscheinen und Amsterdam aus
	        
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