Volltext: Das Trugbild von Versailles

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Belgien erhielt zwar die deutschen Kreise Eupen und Malmedy und be 
deutende Erträgnisse aus der deutschen Schuldknechtschaft zugesprochen, sah 
sich aber sofort in den Bann Frankreichs verstrickt, das keine selbständige 
Macht in seiner Nordflanke duldete und nun stark genug war, Belgien 
zur Gefolgschaft zu verpflichten. 
Frankreichs Stellung war durch die Eroberung Elsaß-Lothringens und den 
Vormarsch an den Rhein so gestärkt, daß Belgien nicht einmal mehr daran 
denken konnte, zwischen seinen beiden Alliierten zu wählen. England lag jen 
seits des Kanals in Abwehr gebunden, Frankreich stand von der Mer bis zur 
Saar in der entfestigten belgischen Flanke. Die von den Franzosen gehaltene 
Linie Dünkirchen—Givet—Trier beherrschte den belgischen Raum aus 
der Tiefe, Belgien war zum französischen Glacis geworden. Am 10. Sep 
tember 1920 bekannte Belgien sich zu dem strategischen Gesetz, das aus 
dieser Machtverschiebung sprach, und schloß mit Frankreich ein Militär- 
a b k o m m e n, das Frankreich die belgische Armee in die Land gab und den 
belgischen Operationsraum mit dem französischen verschmolz. Das belgische 
Leer, das sich im zentral gelegenen Dreieck Löwen—Mecheln—Brüssel gesetzt 
hatte, erhielt in diesem Abkommen den Lüttichgau als Aufmarschraum an- 
gewiesen und sah sich gehalten, den Rückzug über Givet und Maubeuge auf 
Paris anzutreten, wenn es in einem Kriege zum Ausweichen gezwungen 
würde. Die Grenze gegen Lolland wurde durch eine tiefgegliederte Festungs- 
zone gedeckt. 
Diese militärisch eingekleidete Abkunft kehrt lediglich die Berteidigungs- 
maßnahmen hervor, aber gerade diese lassen erkennen, daß Belgien sich 
seiner Landlungsfreiheit begeben hat. Es hat die vornehmste Aufgabe 
der Landesverteidigung, den Schutz des eigenen Bodens, und das wichtigste 
strategische Erfordernis, die freie Wahl der Rückzugsrichtung und der Ver 
teidigungslinien, seinem mächtigen Verbündeten geopfert. Antwerpen, 
Brüssel, Ost- und Westflandern sind in diesem Plane preisgegeben. Die 
belgische Feldarmee zieht sich im Falle der Not gen Süden auf die fran- 
zösische Leeresmasse zurück. Die Belgier verzichten daher folgerichtig auf 
eine Wiederbefestigung Antwerpens. Das geschichtliche Refugium der 
niederländischen Freiheit wird zur offenen Stadt. 
Aus dieser Übereinkunft blicken die Lehren des großen Krieges, aber sie 
sind auf Voraussetzungen gegründet, die der Vergangenheit angehören. 
Als die Deutschen die belgische Feldarmee totmarschierten und die Bel 
gier sich nach Antwerpen warfen, um die Lerankunft ihrer säumenden Ver- 
bündeten zu erwarten, stand Deutschland stark in Waffen und schlug zwei 
russische Armeen und die gesamte englisch-französische Kriegsmacht im 
offenen Felde. Leute steht der Franzose am Rhein und Deutschland liegt
	        
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