Volltext: Das Trugbild von Versailles

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einzelnen Föderatstaaten und auf die Erfüllung des jahrelang vor- 
beratenen englisch-französischen Paktes. Die Ruhr war noch nicht ge 
räumt, die Räumung Kölns hinausgeschoben, die Beaufsichtigung der 
deutschen Wehrmacht und der deutschen Werke strenger, peinigender als je. 
Die politische Lage Deutschlands war die eines völlig vereinsamten, aller 
Wehr- und Erhaltungsmittel beraubten Staates in geographischer Zwangs- 
läge, die strategische Lage die eines Durchzugslandes mit weitgeöffneten 
Grenzen, das alle Glacis verloren und dem Gegner seine wichtigsten In- 
dustriegebiete im Westen und Osten hatte preisgeben müssen. Es besaß 
hinter den Fronten keine einzige Rochadelinie mehr außer der zentralen, 
in der Binnensianke bedrohten Elbelinie und war den umwohnenden 
Mächten im Westen bis zur Weser-Jagst-Zllerlinie, im Osten bis zur 
Oderlinie als Aufmarschgebiet ausgeliefert. Die Zirkumvallation war 
zu Wasser und zu Lande so eng gestaltet, daß der strategische Vorteil der 
Verteidigung auf den inneren Linien schon an den taktischen Nachteil der 
Beengung im schmal zusammengedrückten Raum verlorengegangen war. 
Die wirtschaftliche Lage wurde durch die Dawestribute, die Deflationskrise 
und durch Zollkämpfe gekennzeichnet und erschien erschreckend verschärft. 
Aber diesem entrechteten Deutschen Reiche wohnte dennoch eine unge- 
heure latente Macht inne, die Macht, die dem deutschen Volke als einem 
unentbehrlichen, hochorganisierten, tüchtigen Gliede der europäischen Schick 
salsgemeinschaft, und zwar gerade dem zentral gebetteten Mitglied dieser 
Gemeinschaft gegeben ist. Deutschland war nicht fähig, sich allein zu er 
heben, aber die es zu Boden gedrückt hielten, verbrauchten in diesem 
Ringen ihre ganze Kraft und waren verdammt, mit dem Sechzigmillionen 
volk unterzugehen, wenn dieses unter der Last erlag. 
Ein Rückblick, der von der Schwelle des Zahres 1925 aus der deutschen 
Perspektive auf die Versailler Schöpfung geworfen wird, läßt klar erkennen, 
daß in Versailles Ansägliches geschehen ist. Das Trugbild von Versailles 
wird als solches erst dann in seiner irrationalen Realität begriffen, wenn 
man Europa als Schicksalsgemeinschaft begreift und sich klar vor Augen 
hält, daß die Entrechtung und die Knechtung Deutschlands, des Lerzlandes 
des zerwühlten, aufgesprengten, willkürlich zerstückelten europäischen 
Staatensystems, im Zeitalter der politischen und wirtschaftlichen Weltver- 
siechtung das Schicksal aller anderen nach der Vernich tung hin bestimmt. 
Der Vertrag von Versailles verkörpert daher ein irrationales politisches 
Prinzip. 
Deutschland sucht den unerfüllbaren Vertrag zu erfüllen, und hat da 
durch gewissermaßen seine Anerfüllbarkeit erwiesen. Es war nach Spaa, 
nach Genua, nach London zu Konferenzen geladen worden, um Befehle
	        
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