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suchung, die der Rat des Völkerbundes auf Grund eines Mehrheits
beschlusses für nötig hält, auf jede Weise zu erleichtern, ist durch diese
Verfügung völlig entstellt worden. Die fliegende Kontrolle, die im Innern
Deutschlands vorgesehen war, wird zur seßhaften Einrichtung auf beiden
Afern des Rheines. Da Frankreich militärisch am Rhein gebietet und
heute noch von Düren bis Landau das strategische Feld beherrscht, auf dem
seine Spitzenarmee als „Besatzung" in einer Stärke von 72 000 Mann auf
marschiert steht, ist diese Kontrolle nichts anderes als eine Sicherstellung der
französischen Angriffsposition. Das war der letzte Vorstoß aus der Genfer
Sphäre, bevor Deutschland in die englisch-französischen Sicherheitsverhand-
lungen eintrat. Er ist vom Völkerbund nicht als solcher betrachtet worden,
sondern erschien diesem als die sachliche, klare Lösung einer jener vielen, die
Juristen fesselnden organisatorischen Fragen, zu deren Erledigung der Bund
als Vollzugsorgan des Vertrags von Versailles berufen ist. Aber er barg
nicht nur einen Vorstoß in Deutschlands ungeschützte Flanke, sondern war
ein Doppelhieb, der zugleich England traf, das seine Stellung im Kampfe
um die Räumung der Ruhr und die Freigabe Kölns nach der Ablehnung
des „Genfer Protokolls" geschwächt sah. Da bot der Brite Deutschland als
diplomatische Lilfe auf. England gab Deutschland zu verstehen, daß es nicht
abgeneigt sei, die Paktpolitik, die zuerst auf ein englisch-amerikanisch-fran-
zösisches Schutzbündnis, dann auf ein englisch-französisches Schutz, und
Trutzbündnis und zuletzt auf einen gegen Deutschland gerichteten Garantie-
Pakt Englands und Frankreichs ausging, in einem allgemeinen, Deutsch
land einschließenden und auch dem deutschen Volke Sicherheit gewährenden
Friedenspakt zu sammeln.
Deutschland wird zum Landeln gerufen. Was wird es tun?
Alles steht auf dem Spiel, alles oder nichts, je nachdem der Deutsche
handeltund die Würfel fallen. Eine große politische Gelegenheit kündigt sich
an, vielleicht naht sogar ein großer geschichtlicher Augenblick. Die deutsche
Staatskunst hatte schon zweimal die Land zu einem Pakt geboten, um
Sicherheit zu geben und zu empfangen, aber die kraftlose Land hatte ins
Leere gegriffen. Jetzt sah der Deutsche sich vor eine mit unbekannten Ge
fahren drohende, unwägbare Vorteile bergende Entscheidung gestellt.
Der Deutsche stand zu Beginn des Jahres 1925 vor der Zweifels-
frage, was er tun sollte, was er lassen konnte. Wahre Landlungsfreiheit
besaß er nicht, denn die ist im Völkerleben nur dem gegeben, der,
auf seine Macht gestützt, zum Verhandlungstische schreitet. Auch lange
Frist zur Überlegung war ihm nicht gegönnt. Da England sich vom
Genfer Protokoll geschieden hatte, drängte Frankreich, von neu er-
wachten Sympathien gettagen, auf engere Verbindungen mit seinen