202
nete die Lage nach Gefallen. Churchid-Pascha erneuerte den serbischen Feld-
zug, sprengte die Tore der Morawasenke und eroberte das schlecht befestigte
Belgrad zurück. Woiwoden und Freischärler flüchteten über die Donau
auf österreichisches Gebiet und bargen sich dort noch einmal vor der Rache
des Siegers. Nur einer ihrer Stammesfürsten, Milosch Obrenowitsch von
Azice, blieb im Lande. Er fand Gnade vor Churchid, wurde zum Großfürsten
ernannt, erhielt Rudnik und Kragujevac zugeteilt, vertrug und schlug, schlug
und vertrug sich mit den türkischen Statthaltern, stieg zum Fürstprimas der
Serben auf und vereinigte im Jahre 1830 nach Rußlands Erscheinen vor
Adrianopel dieMorawafurche und das Timoktal unter seinem despotischen
Zepter. Serbien erstand als Schutzstaat Rußlands und der Pforte aus der
Knechtschaft und bahnte sich nun durch alle Jrrungm und Wirrungen der
europäischen Politik den Weg zu einer autonomm Verfassung und zur
nationalen Selbständigkeit.
Die panflawistische Bewegung lag noch in Religion und Gefühl ge-
bunden, als die panserbische Bewegung sich schon zu klarer politischer Ziel-
setzung erhob. Morawa- und Jbarserben, serbische Mazedonier und Czerna-
gorzen drängten zueinander.
Als die Pforte im Jahre 1862 gezwungen wurde, die letzten serbischen
Festungen zu räumen, verblaßte die Oberhoheit des Sultans zu wesenlosem
Schein, und als die Montenegriner im Jahre 1875 zum Entscheidungskampf
für die Unabhängigkeit aufriefen und auch die Bulgaren zu den Waffen
griffen, sagte Nordserbien sich vollends von Konstantinopel los. Vom
Timok bis zur Adria trat alles in Gewehr. Aber noch einmal erlag Nord
serbien dem türkischen Gegenstoß, der von Widdin bis Nisch klafterte und
im Doppelangriff die Timoklinie und die Morawafurche gewann. Die
Türken brachen das Morawatal auf, eroberten Alexinac und marschierten
sengend und brennend auf Krusevac. Das Dazwischentreten Rußlands hat
die Serben damals vor dem Schlimmsten bewahrt. Sie litten schwer, aber ihre
Kraft war nicht gebrochen. Ihr politischer Ehrgeiz und ihr nationaler
Schwung rissen sie schon im Jahre drauf zu neuen Taten auf.
Als der Berliner Kongreß die orientalische Frage zur europäischen An
gelegenheit machte, wurde den Serben ein Territorium zugesprochen, das
weder den großserbischen Ehrgeiz befriedigte noch alten historischen An
sprüchen Genüge tat.
Bon jmem Tage schreibt sich die neuerweckte, dreifach geordnete
serbische Ausdehnungspolitik, die in der Wiederaufnahme der
frühgeschichtlichen Stoßrichtungen nach Westen, Südwesten und Südosten,
und in der spielerischen Verschiebbarkeit des politischen Schwergewichtes
von der Donau zum Wardar, vom Wardar zur Adria und von der Adria