Volltext: XIV. Jahrgang, 1909 (XIV. JG., 1909)

Seite 150. 
Oberösterreichische Bauzeitung 
Nr. 19. 
junge Kräfte zugeführt werden, welche sich selbst 
eine auskömmliche Lebenstellung schaffen, dem Hand¬ 
werkerstände aber zu einem erhöhten Ansehen ver¬ 
helfen würden. cl. r. 
Zeitgemäße Betrachtungen über gesunde 
Wohnungen. 
Es ist eine Tatsache, daß die Industrie in ihrer Ge¬ 
samtheit blüht, sobald dieses beim Bauwesen der Fall 
ist, da ein großer Teil der Gewerbezweige direkt oder 
indirekt in Beziehung zu ihm steht und die Kapitalien 
rasch in Umlauf kommen; je mehr dies der Fall ist, je 
rascher sich dasselbe gleichzeitig rentiert, desto mehr 
wfird die Erwerbsfähigkeit in allen Zweigen steigen. 
Ferner sind die Fortschritte auf allen wissenschaftlichen 
Gebieten, die in Beziehung zu den Wohnungen, wie 
deren Einrichtungen stehen, so groß und stetig wachsend, 
daß es auch in dieser Beziehung wünschenswert er¬ 
scheint, die Wohnhäuser so zu bauen und einzurichten, 
daß das darauf verwandte Kapital sich in denkbar 
kürzester Zeit rentieren und amortisieren kann, die 
Lebensdauer der Häuser aber eine dementsprechend 
kürzere werde. 
Hieraus folgt, daß es ein falscher Grundsatz ist, 
Wohnhäuser monumental oder kolossal zu gestalten: ihr 
praktischer Wert fällt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt und 
schließlich bleibt ein solcher nur in historischer Beziehung, 
während die Nachteile gegenüber neueren, den Fort¬ 
schritten gemäß angelegten Häusern so groß werden, daß 
es unbillig erscheint, aus künstlerischen, beziehungsweise 
kunstgeschichtlichen Rücksichten in ihnen schlecht und 
ungesund wohnen zu müssen. 
Darum sollte ein Gebäude in seiner ganzen Anlage 
wie Bauart, nur für eine begrenzte Dauer berechnet und 
so hergestellt werden, daß es während dieser Zeit seinen 
Zweck als festes und gesundes Wohnhaus völlig und gut 
erfülle, dann aber Platz mache für ein neues, den in¬ 
zwischen eingetretenen Fortschritten entsprechendes. Je 
besser und in jeder Beziehung durchdachter die Anlage 
eines Hauses ist, je mehr es den Anforderungen der 
Hygiene entspricht, desto mehr Lebensfähigkeit und 
Dauer wird es besitzen, desto größer auch in ökonomischer 
Beziehung sein Nutzen sein. 
Damit dieses Recht aber nicht durch schlecht er¬ 
dachte oder ausgeführte Häuser beeinträchtigt werden 
kann, muß die Staatsbehörde durch ganz bestimmte Ge¬ 
setze berechtigt und verpflichtet werden, das Abbrechen 
eines solchen Hauses anzuordnen, sobald seine Einrich¬ 
tungen den Grundforderungen der Hygiene nicht oder 
nicht mehr entsprechen, und es nicht möglich ist, den¬ 
selben durch Umbau gerecht zu werden. Solche Gesetze 
allein sind imstande, Bauherren wie Baumeister in allen 
Fällen zu wirklich gesunder Anlage ihrer Bauten zu be¬ 
wegen, im Volke aber das Bewußtsein wachzurufen, daß 
es zu solchen Forderungen an seine Wohnungen be¬ 
rechtigt ist und nicht durch spekulierende Kapitalisten 
seiner besten Lebensgüter beraubt werden darf. 
Soll ferner diese Idee aber zugleich eine soziale 
Lösung der Wohnungsfrage mit sich bringen, dann muß 
die Einrichtung des ganzen Bauwesens in dieser Be¬ 
ziehung so getroffen werden, daß ein Haus sich in 30 bis 
50 Jahren soweit rentieren und amortisieren kann, um 
zu bedeutend billigerem Preise, beziehungsweise Miet¬ 
zinse, an Bewohner abgegeben zu werden, welche durch 
Erziehung und Lebenshaltung gewöhnt sind, geringere 
Anforderungen an das Leben und somit an die Wohnungen 
zu stellen, wie dessen erste Besitzer,' beziehungsweise 
Mieter; nach weiteren 20 bis 30 Jahren aber so viel Er¬ 
trag erzielt hat, daß es zu sehr mäßigem Preise an die 
Stadtverwaltungen, Genossenschaften oder Vereine ab¬ 
gegeben werden kann, um durch diese den wenig be¬ 
mittelten oder mittellosen Teilen des Volkes zu ganz 
niederem Zinse, beziehungsweise umsonst, zur Verfügung 
gestellt zu werden; nachdem es dann diesem Zwecke je 
nach seiner baulichen Beschaffenheit, wie Einrichtung, 
noch durch längere oder kürzere Zeit gedient hat, aber 
Platz mache für eiri neues, den Anforderungen seiner 
Zeit völlig entsprechendes Gebäude, dessen Dauer und 
Art wieder die gleiche sei. 
Zur Verwirklichung solcher Ideen sind allerdings 
noch sehr große Fortschritte in der Technik, wie in der 
Technologie der Baumaterialien und in — der sozialen 
Entwicklung unseres Volkes nötig. Es würde aber durch 
sie der drückenden Not unserer Zeit in doppelter Weise 
abgeholfen. Bei dem rascheren Umsätze des in den Wohn¬ 
häusern steckenden Kapitals würde die Industrie gehoben, 
der Verdienst des Einzelnen wie der Gesamtheit erhöht; 
gleichzeitig aber würden jedem Stande Wohnungen ge¬ 
boten, welche stets allen Anforderungen ihrer Zeit gerecht 
sein könnten, und besonders alle Unbemittelten würden 
zu niederem Zinse gesunde und gute Wohnungen er¬ 
halten, welche als Aufenthaltsort für Menschen ent¬ 
sprechender und würdiger sein würden, als dies heute 
trotz des guten Wirkens der Konsortien nur für einen 
Teil des Arbeiterstandes zu schaffen möglich ist. 
Möge man daher solche Ideen nicht als in das 
Reich der Ideale oder kommender Jahrhunderte gehörig 
betrachten, sondern jeder, soweit ihm dazu Gelegenheit 
gegeben ist, an einem Werke mitarbeiten, welches in 
seiner Verwirklichung der ganzen Nation zum größten 
Vorteile und Segen gereichen würde; denn die geistige, 
moralische und körperliche Kraft eines Volkes beruht 
auf dem Familienleben seiner Angehörigen. Dieses aber 
kann sich in segenbringender Weise nur in gesunden, 
behaglichen Wohnungen entwickeln, die als solche schon 
eine größere Anziehung auf alle Mitglieder der Familie 
ausüben, als es das Gasthaus vermag, dessen zu häufiger 
Besuch für alle, besonders aber für die wenig bemittelten 
Teile des Volkes verderbenbringend in ökonomischer, 
geistiger und körperlicher Beziehung wirkt. Ein solcher 
Aufschwung auf dem gesamten Gebiete des Wohnhaus¬ 
baues wird aber notwendig ein jugendfrischeres Leben 
der Baukunst mit sich führen, und die gleichzeitig er¬ 
strebten hohen Gedanken sozialer Segnung und Ver¬ 
besserung werden auch in den Künstlern neue und 
große Ideen wachrufen, eine Epoche selbständigen 
Schaffens für die Baukunst herbeiführen! Franz Kolb. 
Der Bericht der niederösterreichischen 
Handels- und Gewerbekammer pro 1908. 
(Aus dem „Wiener Communalblatt“.) 
II. 
Die Genossenschaft der Hafner in Wien bezeichnet 
den Geschäftsgang des Jahres 1908 infolge der unzu¬ 
reichenden Bautätigkeit als schlecht. Die in den letzten 
Jahren erzwungene Steigerung der Löhne machte sich 
umsomehr fühlbar, als die Verkaufspreise mit diesen
	        
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