Volltext: XIV. Jahrgang, 1909 (XIV. JG., 1909)

Nr. 2. Oberösterreichische Bauzeitung. Seite 11. 
geweihte wollen wissen, daß er es nur deshalb tat, um 
ungestört anatomischen Studien obliegen zu können, 
denn die Beschaffung menschlicher Leichname war im 
Mittelalter keine Kleinigkeit, und deren Zergliederung 
war verpönt. Der Prior von St. Spirito überwies ihm 
indeß insgeheim soviel er haben wollte. Dieses Studium 
des menschlichen Körpers bis ins kleinste Detail erklärt 
uns Michel Angelos Sicherheit und Richtigkeit in der 
Zeichnung und trieb ihn stets zu grandioser Vorstellung 
des Realistischen und Nackten, wobei er vor keiner 
Dimension seiner Gemälde sowohl wie Skulpturen 
Schöpfungen zurückschreckte. Man denke sich die 
Riesenmalereien an der Decke der Sixtinischen Kapelle 
im Vatikan. Wir wissen aus unserer Erfahrung, wie 
schwierig derartige Arbeiten auszuführen sind, auch 
wenn sie nicht anders als mit Schablonen hergestellt 
werden. 
Um den schon hochberühmten Bildhauer von der 
Ausübung seiner Kunst abzulenken, intrigierten Bramante 
und Guiliano da Sangallo am Hofe des Papstes derartig 
mit Erfolg, daß Letzterer dem Künstler diese großen 
Fresko-Malereien übertrug. Man kann sich denken, mit 
welcher geteilten Freude dieser ehrenvolle Auftrag an¬ 
genommen wurde, wenn man erfährt, daß Michel Angelo 
keine Ahnung von den Techniken der al fresco-Malerei 
besaß, obgleich er sie in seinen späteren Äußerungen 
als die allein richtige Malerei erklärte, während er die 
Ölmalerei als Weibsarbeit bezeichnete. Für ihn gab es 
aber kein Hindernis, er nahm mit Dank den großen 
Auftrag an. Noch während des Entwurfes der Kartons 
berief er mehrere seiner Schüler, unter denen schon 
einige sowohl bei Raffael als auch bei anderen großen 
Malern gearbeitet hatten. Diesen lauschte er bald die 
Finessen ab, welche sie bei Probeentwürfen anwenden 
mußten, und eines Tages erklärte er sie alle für ent¬ 
lassen. Ihre Arbeiten zerstörte er eigenhändig. In noch 
nicht zwei Jahren war die gigantische Arbeit beendet. 
Mögen manche Einzelfiguren seiner Werke, aus der 
Gesamtkomposition herausgerissen, auch als roh und 
plump bezeichnet werden, seine erhabenen Ideen greifen 
unwiderstehlich ins leidenschaftliche Leben hinein, sie 
erfüllen uns noch heute mit staunender Bewunderung 
ihrer meisterhaften Anordnung wegen, und gestalteten 
die Schule des mittleren Italiens zur höchsten Blüte der 
Entwicklung: Aus M.’s Pinselführung lernt noch der 
heutige Kunstmaler sowohl, wie auch der Dekorations¬ 
maler die Wiedergabe des wahren Fleisohfarbentons, die An¬ 
ordnung klassischer Gewandung und Belichtung sowohl, 
wie Schattierung der Faltenwürfe. Von der immensen 
Größe als Baumeister zeugen heute noch der Palast 
Farnese, Villa Medici, die Umgestaltung der alten Kirche 
St. Pietro in Vincoli. Von seinen Gedichten haben wir 
deutsche Übersetzungen von K. Witte (F. Licio) sowie 
von Regis und Harrys. Es täte not, daß die alten Auf¬ 
lagen dieser Übersetzungen mal eine neue Umarbeitung 
erfahren würden. Die Sammlung der Uffizien in Florenz 
besitzt ein vorzügliches Porträt des Künstlers, als 
stummen Ankläger dessen, der die eigene Schönheit des 
Schöpfers von soviel Schönem zerstörte, der Kamerad 
und Bildhauer Petro Torrigiano. Dieser mußte nach 
geschehener Tat heimlich aus Florenz entfliehen, um der 
Rache Lorenzo Medicis zu entfliehen, der bei der Nach¬ 
richt von der Verstümmelung seines Lieblings geweint 
haben soll. Je höher der Ruhm M.’s stieg, desto mehr 
vergrößerte sich der Haß gegen den Übeltäter. Für 
Italien hatte sich Torrigiano dadurch fast unmöglich 
gemacht. Über das Ende des begabten Jähzornigen 
wurde vor kurzem folgendes berichtet: Ein spanischer 
Herzog, der dem Bildhauer eine Madonnen-Statue bestellt 
hatte, wollte ihm dieselbe abschwindeln, indem er ihm 
den Lohn vorenthielt. Erzürnt zerstörte darauf Torrigiano 
sein Werk. Infolgedessen wurde er von dem Herzog der 
Inquisition denunziert, weil er sich an einem Madonnen¬ 
bilde vergriffen hatte. Was das in damaliger finsterer 
Zeit zu bedeuten hatte, bedarf keines Kommentars. Man 
muß mit Schaudern daran denken, wenn man heute von 
dieser sogenannten „guten alten Zeit“ spricht. Um sich 
dem fürchterlichen Autodafe zu entziehen,- nahm der 
Delinquent so lange keine Nahrung zu sich, bis der Hunger¬ 
tod eintrat. Hätte Michel Angelo, der edle Menschen¬ 
freund, von dessen Wohltaten stets seine Biographen zu 
berichten wußten, eine Ahnung davon gehabt, er hätte 
sicher durch sein mächtiges Fürwort den zu retten 
gesucht, der ihn in so brutaler Art gebrandmarkt 
hatte. d. r. 
Erbbaurecht. 
Referat uud Beschluß des 6. österreichischen Städtetages. 
(Schluß.) 
Auch die zweite Frage, ob die Dauer des Erbbau¬ 
rechtes nach oben und nach unten gesetzlich begrenzt 
werden solle, erfuhr gänzlich widersprechende Beant¬ 
wortungen. Die Mehrzahl der Sachverständigen erklärte 
nur eine obere Grenze (etwa 70 Jahre) für nötig, damit 
die Entstehung geteilten Eigentumes verhindert werde* 
Die Vertreter der Baugewerbe befürworteten auch eine 
untere, nicht zu niedere Begrenzung im Interesse der 
Solidität der Bauführung. Ändere Votanten sprachen 
sich gegen eine untere Begrenzung aus, weil die Ver¬ 
hältnisse zu verschieden seien und weil insbesondere 
gewerbliche Bauten oft in sehr kurzer Zeit amortisiert, 
sind. Andere endlich verwarfen überhaupt jede gesetzliche 
Begrenzung und verlangten völlige Vertragsfreiheit. 
Auch die Frage, ob die Steigung des Erbbauzinses 
zulässig sei, fand eine widersprechende Beurteilung. Es 
wurde ganz richtig bemerkt, daß diese Frage haupt¬ 
sächlich deshalb gestellt sei, weil man die Mietzinse im 
Erbbauhause niedrig halten wollte. Dieser Zweck sei 
aber durch ein Verbot der Steigung des Erbbauzinses 
kaum zu erreichen. Denn wenn der Grundeigentümer 
den Erbbauzins nicht steigern dürfte, werde er ihn von 
vorneherein möglichst hoch halten. 
Die Frage, ob der Grundeigentümer nach Ablauf 
des Baurechtes dem Bauberechtigten eine Entschädigung 
für den noch vorhandenen Bauwert leisten solle, wurde 
im Allgemeinen bejaht, da dadurch die bessere Instand¬ 
haltung des Bauwerkes gesichert werde; es sei aber 
nicht der volle vorhandene Bauwert zu ersetzen, weil 
das Bauwerk bei normaler Beendigung des Baurechtes 
ja bereits amortisiert sei, sondern bloß eine Prämie für 
die gute Instandhaltung zu geben. Bei vorzeitiger Er¬ 
löschung des Baurechtes sei dagegen der vollvorhandene 
Bauwert zu ersetzen, schon im Interesse der noch un¬ 
befriedigten Realgläubiger. Von manchen Seiten wurde 
dagegen ausgeführt, daß bei normaler Beendigung des 
Baurechtes ein'hinlänglicher Grund für eine Entschädi¬ 
gung nicht vorhanden sei; für die Instandhaltung des 
Bauwerkes sei eine entsprechende Kontrolle wirksamer 
als eine Prämie.
	        
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