Volltext: XII. Jahrgang, 1907 (XII. JG., 1907)

Seite 126. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 15. 
die Wand und zwischen die Wand. Unterschieden 
seien diese drei Kunstwerke des Baufaches nur in 
Material und Technik. Im übrigen, namentlich in den 
Motiven zum Flächenornament, sollte alle drei ein gemein 
samer Gedanke, ein verwandtschaftliches Kunstgefühl be 
seelen. Beispielsweise, wo der Zimmermaler Akanthus- 
blätter anbringt, da darf der Glasmaler nicht spätgotisches 
Rebenlaub ins Fenster bringen. 
Der Laie wird fragen: „Wo hinein paßt die Kunst 
glaserei des Profanbaues?“ Als Antwort diene folgendes: 
„Es gibt kein Haus, keine Villa, keinen Flur, kein Boudoir, 
so klein, daß nicht das eine oder das andere Genre 
malerischer Verglasung anwendbar wäre.“ Karl Schmidt. 
Etwas über die Gemeindeverwaltungen 
in Frankreich. 
Das französische Gesetz macht keinen Unterschied 
zwischen Städten und Landgemeinden, es hat für beide 
dieselbe einheitliche Gemeindeverfassung eingeführt. Die 
Bezeichnung Stadt wird einfach jeder Gemeinde beige 
legt, deren Einwohnerzahl 2000 übersteigt. Die Städte 
selbst sind nach ihrer Einwohnerzahl in verschiedene 
Klassen eingeteilt, welche den Steuerklassen entsprechen. 
Wohnungs-, Gewerbe-, Schank- und einige kleinere 
Steuern steigen nämlich mit der Einwohnerzahl. Aus 
diesem Grunde ist die amtliche Einwohnerzahl auch nicht 
immer richtig. Um das Aufsteigen in eine höhere Steuer 
klasse zu vermeiden, unterschlagen manchmal die Stadt 
väter bei der Volkszählung eine entsprechende Zahl von 
Tausenden von Köpfen. Die gegenwärtig auf 43 Millionen 
angegebene Bevölkerungsziffer Frankreichs dürfte dem 
entsprechend um einige Hunderttausende höher sein. 
Je nach der Einwohnerzahl besteht der auf Grund 
des allgemeinen Stimmrechtes gewählte Gemeinderat aus 
6 bis 30 Mitgliedern. Erstere Zahl gilt für Gemeinden 
unter 500, letztere für solche von 100.000 Einwohnern 
und darüber. Paris bildet eine Ausnahme, indem sein 
Gemeinderat 80 Mitglieder zählt. In Gemeinden über 
2000 Seelen gilt für die Wahlen das Listenverfahren un 
bedingt, in größeren Städten aber ist Einzelwahl die 
Regel, indem die Stadt in ebensoviel Wahlbezirke einge 
teilt wird, als sie Mitglieder in ihren Gemeinderat zu 
wählen hat. Der Maire und sein Stellvertreter werden 
von dem Gemeinderat aus dessen Mitte gewählt. Ihre 
Stellen sind Ehrenämter; ebenso sollen auch die Mit 
glieder des Gemeinderates ihr Amt unentgeltlich ver 
walten. Früher wurde dieser Grundsatz streng einge 
halten. Aber seit 20 Jahren hat sich eine ganze Reihe 
republikanischer Gemeinderäte über das Gesetz hinweg 
gesetzt, obenan derjenige von Paris, welcher allmälig 
seinen Mitgliedern Entschädigungen im Gesamtbeträge 
von 450.000 Franken jährlich zugesprochen hat. In Troyes 
hat der radikale Gemeinderat einen Arbeiter zum Maire 
gewählt und ihm ein Gehalt von 6000 Franken ausge 
worfen. Ähnlich steht es in einer großen Zahl anderer 
Gemeinden. Die wechselnden Ministerien haben nicht 
die Kraft gehabt, den Ungesetzlichkeiten dieser Art ent 
gegenzutreten. Die Radikalen und Sozialisten werden 
daher wohl einmal ihr Ziel erreichen, nämlich die Be 
zahlung aller durch Wahl erlangten Ämter aus der 
Staatskasse. Maires, Mitglieder der Gemeinde, Bezirks 
und Generalräte etc. sind also Anwärter auf Gehälter 
aus den Staatseinkünften. Das ist ausdrücklich im Pro 
gramm aller fortgeschrittenen, „wahrhaft republikanischen“ 
Parteien ausgesprochen. In kleinen Gemeinden erhält der 
Maire eine geringe Entschädigung für Schreib- etc. Kosten. 
In größeren Dörfern ist der Lehrer gewöhnlich auch Ge 
meindeschreiber (greffier), wofür er 60 bis 200 Franken 
erhält. In den Städten ist in der Regel ein Gemeinde 
schreiber angestellt, der etwas Fachbildung besitzt und 
1200 bis 2400 Franken bezieht. Größere Städte haben 
natürlich eine entsprechende Zahl Fachbeamten und 
Schreiber für die verschiedenen Zweige der städtischen 
Verwaltung. Die Seinepräfektur, welche auch die Ver 
waltung der Stadt Paris besorgt, beschäftigt 750 Schreiberei 
beamte. 
Der Gemeinderat hat die gewöhnlichen Gemeinde 
angelegenheiten zu erledigen, Schul- und Armenwesen 
inbegriffen; er verwaltet das Gemeindeeinkommen mit 
genügender Selbständigkeit. Er beschließt nicht allein 
die Gründung und Aufhebung von Schulen, auch bei der 
Anstellung der Lehrkräfte hat er mitzuwirken. Kleinere 
Gemeinwesen wissen in dieser Hinsicht gar oft ihre 
Rechte nicht zu wahren gegenüber den stets nach Un 
eingeschränktheit strebenden Staatsbehörden. Aber die 
Gemeinderäte der Städte, besonders die der größeren, 
setzen umso öfter ihren Willen gegen die Staatsbehörden 
durch, wie dies wiederum das Beispiel von Paris zeigt. 
Die Befugnisse des Maire sind durchaus nicht gering. 
Er ist das Haupt der Polizei, so zwar, daß selbst die 
unter dem Kriegsminister stehende Gendarmerie nur auf 
seinen Befehl eingreifen darf. Infolge dieser Befugnis des 
Maire wurde beispielsweise in Decazeville vor etwa 
20 Jahren die Ermordung des unglücklichen Steigers 
Watrin möglich, und zwar hauptsächlich dadurch, daß 
der Maire die rechtzeitig herbeigeeilten Gendarmen nicht 
einschreiten ließ, sondern sie nach Hause schickte. In 
den kleineren Gemeinden hat der Maire außer dem Feld 
hüter keinerlei Polizisten zur Verfügung. Da die Polizei 
deshalb oft ziemlich schlaff gehandhabt wird, wurde 
unter Napoleon III. in jedem Kanton (Friedensgerichts 
bezirk) ein Polizeikommissär eingesetzt, welcher die 
Maires überwacht und unterstützt, indem er ihnen zur 
Hand geht. Von früherher ist in jedem Kanton mindestens 
eine Abteilung Gendarmerie von acht Fußgendarmen 
oder von fünf Berittenen stationiert. Der Maire ist auch 
von Rechts wegen Mitglied des Ortsschulrates und des 
Kirchenrates, sofern er nicht einem anderen Bekenntnis 
angehört. In diesem Falle fällt die Vertretung im 
Kirchenrat seinem Stellvertreter oder einem anderen Mit- 
gliede des Gemeinderates zu. 
Der Gemeinderat hat bei der Veranlagung der 
direkten (Wohn-, Kopf- und Gewerbe-) Steuern mitzu 
wirken. Bei Erhöhung der Steuern müssen Höchstbe 
steuerte in gleicher Zahl zugezogen werden, wie der Ge 
meinderat Mitglieder aufweist. Zu diesen Steuern können 
für Departement und Gemeinde Zuschläge erhoben werden, 
jedoch nur kraft eines von den Kammern genehmigten 
Gesetzes. Es mag dies als eine große Einschränkung, 
als eine Unselbständigkeit der Gemeinden erscheinen, 
beruht aber auf einem sehr richtigen Grundsätze. Für 
den Steuerzahler kommt die Gesamtsumme seiner 
Leistungen in Betracht, gleichviel ob er das Geld an den 
Staat oder an die Gemeinde abführt. Soll das richtige 
Verhältnis erhalten bleiben, so darf keine der besteuernden 
Gewalten, Staat, Departement und Gemeinde, lediglich 
nach eigenem Ermessen und ohne Rücksicht auf die 
anderen neue Lasten auferlegen. Dies ist (z. B. in
	        
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