Volltext: XI. Jahrgang, 1906 (XI. JG., 1906)

Seite 196. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 23. 
werden, die Schachteln, Uhrgehäuse, Spieldosen, Gestelle, 
Spiegel, Porträtrahmen, Konsolen, die hunderterlei Tisch 
geräte, die kostbar verzierten Tische, Stühle, Taburetts etc.? 
Wer keimt nicht die ornamentale Darstellung, die alle 
Pflanzenformen in Feld, Wald und Garten sammelt, damit 
ihre zierlichen Buketts windet und zur sinnreichen Aus 
schmückung der gefertigten Gegenstände verwendet? Der 
Schnitzer steht aber nicht einzig nur auf dem Boden der 
einheimischen Floragebilde, er wählt auch das historische 
Ornament. So sehen wir häufig Motive griechischer, 
römischer oder gotischer Kunst zur Geltung gebracht; 
ja wir glauben oft zu bemerken, daß auf Grund dieser 
Vorbilder auch die eigene Erfindung sich tätig zeigt und 
aus dem Geiste der gewandten Arbeiter Blüten hervor 
treibt, die dem Drange nach Selbständigkeit alle Ehre 
machen. 
Mit dem Ornamente hat die Holzschnitzerei seit 
längerer Zeit auch die Darstellung der Figur des Tieres 
und des Menschen verbunden. So schwierig nun dieser 
Versuch ist, so ist nicht zu leugnen, daß mancher gute 
Erfolg sich daran knüpft. Die Vögel in der Luft, wie sie 
auf den Blumen und Gesträuchen, den Matten, auf den 
Wipfeln der Bäume, auf dem dunklen Grunde des Waldes 
sich niederlassen oder nach dem sonnigen Lichte steigen, 
das Geflügel, das in Haus und Hof herurpflattert — sie 
alle sind dem Schnitzer zum Vorbilde geworden. Er 
wählt sie zur Belebung seines Ornaments. 
Was indessen dem Schnitzer zur Lieblingsidee ge 
worden, das ist die Darstellung des Wildes. Die Gemse, 
der Hase, das Eichhorn, der Fuchs, das wilde Geflügel 
bieten unendlichen Stoff zu Jagdstücken. Hauptsächlich 
ist es die Gemse, die seinem Naturell zusagt; denn er 
lebt im Gebirge und ist oft selbst Jäger. Auch liebt der 
Schnitzer Szenen aus dem häuslichen und geschäftlichen 
Leben zu bringen; den Senn und die Sennerin mit dem 
Geschirr und Geräte in Feld und Stall bei ihrem Vieh, 
den Bergführer, den Landmann mit dem schweren Korbe 
auf dem Rücken etc. Auch Produkte aus dem öffentlichen 
Leben begegnen uns, geschichtliche Motive, Szenen aus 
den Volksspielen, biblische Bilder, die populär geworden 
sind. Da ist es namentlich das Kreuz, das auf die sinn 
reichsten Arten bekränzt und von historisch-religiösen 
Figuren umgeben wird. Neben den ernsten Darstellungen 
ist dem lebensfrohen Schnitzer auch der Humor gegeben. 
Karikatur und der Spott ergehen sich in allen Bildern. 
Dazu muß die Figur des Bären besonders dienen aus 
lauter Patriotismus zum nationalen Schilde. Der drollige 
Mutz muß deklamieren, musizieren, spazieren, alle mög 
lichen Geschäfte besorgen, sogar regieren, als wenn in 
jeglichem Menschen im Kanton Bern der leibhaftige Bär 
spuken würde. 
Der Absatz dieser Holzschnitzerarbeiten ist so be 
deutend, daß es wohl kein bekanntes Land mehr gibt, 
in dem wir nicht dieses oder jenes im Gebrauche sehen, 
das der kunstgeübten Hand eines Berner Oberländers 
seine Entstehung verdankt. Der reiche Amerikaner, zur 
Besichtigung der wunderreichen Hochalpen hergekommen, 
führt ganze Kisten geschnitzter Gegenstände in seine 
Heimat, um seine Zimmer auszustatten und irgend einen 
Servicering oder ein Nadelbüchschen oder sonst eine 
Kleinigkeit kramt gewiß jeder Besucher des Rosenlaui- 
gletschers oder des Staubbaches den daheimgebliebenen 
Lieben aus. 
Die Zahl der gegenwärtig arbeitenden Schnitzer ist 
über zweitausend und zwar treffen wir weitaus die 
meisten in den beiden Ämtern Interlaken und Oberhasle, 
hier in den Dörfern Brienz und Meiringen. Der Verkaufs 
preis der jährlich angefertigten Schnitzereien steigt auf 
nicht ganz anderthalb Millionen Franks; der Arbeitslohn 
allein mag eine Million Franks übersteigen. Das Alter 
dieser Industrie beträgt ein halbes Jahrhundert und die 
wahrscheinliche Ursache ihrer Entstehung liegt in der 
Holzarchitektur des Landes. (Schluß folgt.) 
Inhalt. Projekt für ein Warenhaus in Salzburg. — Die Holzschnitzerei 
in der Schweiz. — Lokale Baunotizen. — Aus den Gemeinderats-Sitzungen 
in Linz. — Vermischtes. — Patentliste. — Bücherschau. — Ausweis über 
die Umschreibung von Immobilien in Linz. — Vergebung von Bauarbeiten 
und Lieferung von Baumaterialien. — Inserate. 
Lokale Baunotizen. 
Kleine Kritik über architektonische Anordnungen. 
Ein hervorragender Architekt aus München, der kürzlich 
unsere Landeshauptstadt besuchte, äußerte sich über 
unsere Neubauten auf der Landstraße in günstiger Weise, 
indem er denselben Geschmack in der äußeren Gestaltung 
und solide Ausführung im ganzen zuerkannte. Kein 
günstiges Urteil gab er ab über einige Spekulationsbauten 
in der Neustadt, bei welchen er namentlich die Ver 
wendung von formlosen Erkern kritisierte. „Diese ein 
fallenden Erker“, sagte er, „sind meistens von so vager 
Beschaffenheit, daß man sich bei deren Betrachtung un 
willkürlich fragen muß, wodurch diese Auswüchse ge 
tragen werden“. Richtet man seine Blicke etwa auf die 
darunter angebrachten Konsolen und glaubt da des 
Rätsels Lösung zu finden, so irrt man, denn selbst der 
Techniker muß sich sagen, die Konsolen allein können 
die Last nicht tragen und so ist es auch in den meisten 
Fällen, denn außer den Konsolen oder eisernen Trägern 
in denselben sind noch diese oder jene anderen Kon 
struktionsmittel zum Tragen herangezogen; diese sind 
aber verdeckt und können deshalb dem Beschauer nicht 
die befriedigende Antwort geben. Um hier den Konflikt 
klar hervorzuheben, werden auch noch die unvermeid 
lichen Säulen oder Pilaster (vielleicht nur auf einen 
dünnen Gesims stehend) angebracht. Das heißt man 
„Scheinarchitektur“, in neuerer Zeit auch „Palme-Archi 
tektur“. 
Stadtregulierungsplan von Linz. Von Seite des 
Bürgermeisteramtes wird zur allgemeinen Kenntnis ge 
bracht, daß der über Gemeinderatsbeschluß vom 7. No 
vember 1906 festgesetzte Stadtregulierungsplan 
über das Stadtgebiet: Südbahnhofgebäude, Franckfabrik, 
Unter-Stieglbauer, Train-Materialdepot, Krankenhaus 
straße gemäß § 3 der Linzer Bauordnung vom 20. No 
vember 1906 an durch 6 Wochen im Stadtbauamt zur 
öffentlichen Einsichtnahme aufliegt und es jedem Be 
teiligten frei steht, seine etwaigen Einwendungen gegen 
diesen Plan innerhalb dieser Frist beim Bürgermeister 
amte schriftlich einzubringen, worauf über die einge- 
brachten Einwendungen im Instanzenzuge entschieden 
und der Regulierungsplan endgültig festgestellt werden 
wird. 
Ein neues Heim der Pflegerinnen vom Roten 
Kreuz in Linz. Am 24. November fand in der Kheven- 
hüllerstraße die Einweihung des neuen Heims für die 
Pflegerinnen des Roten Kreuzes statt. Der Bau, von der 
„Oberösterreichischen Baugesellschaft“ entworfen und aus 
geführt, wurde vom Baumeister dieser Gesellschaft, Herrn 
K r e i p 1, geleitet und entspricht allen Anforderungen, die
	        
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