Volltext: X. Jahrgang, 1905 (X. JG., 1905)

Nr. 8. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Seite 69. 
archäologische Bahnen, welche sie der praktischen ge¬ 
werblichen Tätigkeit entfremden und kümmern sich fast 
gar nicht um das Technologische, wie wohl neben der 
ornamentalen Form sicherlich die Technik und das 
Material derselben Beachtung wert sind. Auch die kunst¬ 
gewerblichen Schulen steuern zu sehr in die reine Kunst 
hinein und vernachlässigen zu sehr das praktische Be¬ 
dürfnis, so daß der Schüler nach beendigtem Studium 
sich kaum mehr zum Kunsthandwerk oder zur Kunst¬ 
industrie rechnet. Dann tritt hinzu, daß unser gewerblicher 
Unterrichtsapparat der Einheit ermangelt und eine Viel¬ 
seitigkeit aufweist, welche demselben einen entsetzlich 
schwerfälligen Charakter verleiht; Kunstschulen, 
Kunstgewerbeschulen, Handwerkerschulen, 
Fachschulen, gewerbliche Zeichen sch ulen 
und Fortbildungsschulen — das ist so eine Blumen¬ 
lese. Jede dieser Schulen hat wieder ihre Besonderheiten 
und ihre Leiter stehen, Gott sei’s geklagt, um der Be¬ 
sonderheiten willen miteinander in Fehde. 
Die Kunstgewerbeschule schaut herablassend auf 
die Handwerkerschule und diese erbost zu jener empor. 
Wollten die Herren sich doch nur vergegenwärtigen, 
daß,.einfach die Aufgabe zu lösen ist, tüchtige und 
gesunde Kenntnisse im Handwerk und Industrie 
hinauszutragen. 
Angesichts jener Vielseitigkeit aber wird der Wunsch 
rege, jenen schwerfälligen Unterrichtsapparat zu ver¬ 
einfachen, mit dieser Vereinfachung leistungsfähiger zu 
machen und inniger an die praktischen Bedürfnisse des 
gewerblichen Lebens anzuschmiegen. 
Nomina sunt odiosa, und aus diesem Grunde seien 
keine Anstalten näher bezeichnet. Aber etliche dieser 
Institute könnte man aufzählen, in welchen die Zöglinge 
zu gewerblichen Gelehrten herangezogen werden und 
schließlich voll dünkelhaften Stolzes auf das 
Handwerk, dem sie doch angehören sollen, 
herab sehen. Nicht darauf kommt es an, daß der 
Unterrichtsstoff Gott weiß was für Gegenstände umfaßt, 
sondern darauf, daß mit weiser Beschränkung nur das¬ 
jenige gelehrt wird, was wirklich notwendig und 
nützlich ist. 
Selbst im Zeichenunterricht macht sich eine viel¬ 
gestaltige Gliederung bemerkbar, welche den Schüler 
schließlich zu einem trockenen Schematisten 
machen muß. Das wimmelt zudem von Photographien, 
Modellen in Gips und Holz, Vorlagewerken, daß einem 
angst und bange wird und man sich notgedrungen 
fragen muß: haben unsere Vorfahren in der Zeit der 
Gotik und Renaissance ihre Phantasie in derselben Weise 
„erfrischt“, haben sie in derselben Weise gestohlen wie 
wir, die wir nichts entwerfen können, ohne gleich ein 
Dutzend Werke und Photographien einzusehen und 
emsig Zusammentragen, wie die Bienen, was an Honig 
in jenen Vorlagewerken enthalten ist. 
Gewiß, das traditionelle Moment in aller Kunstübung 
ist nicht abzuweisen, aber bei uns ist diese Übung nach¬ 
gerade zu einem schweren Gepäck geworden, das man 
im Schweiße seines Angesichtes mit sich schleppt. Gewiß: 
„Amerika, du hast es besser 
Als unser Kontinent der alte, 
Hast keine verfallenen Schlösser“ 
kann_ man singen mit Vater Goethe. Neuerer Zeit will 
ein geschätzter Dekorationsmaler etwas frisches Blut in 
die Formenwelt hineinbringen und schlägt in einer 
Broschüre vor, dem Studium der Pflanzenwelt größere 
Aufmerksamkeit zu schenken. Das läßt sich hören, ist 
sogar erfreulich, aber wird wieder eingedämmt durch 
die wenig anheiternde Perspektive, daß jeder Kunst¬ 
gewerbeschule, um ihr die nötigen Pflanzen zu verschaffen, 
ein Treibhaus, ein Garten etc. angefügt werde. Warum 
nicht gar ein großes botanisches Institut und ein 
zoologischer Garten, denn die Fauna muß doch in der¬ 
selben Weise berücksichtigt werden. 
Ja, wir treiben alles sehr gründlich, sehr gelehrt, 
nur schade, daß uns über dieser Gründlich¬ 
keit und Gelehrsamkeit der frische Zug, das 
Leben, die bezaubernde, im Moment sich 
äußernde Grazie verloren gehen. 
Etwas weniger Apparate, etwas weniger Photo¬ 
graphien, Ornaments tische, Modelle und Vor¬ 
lagewerke, diese Unterstützer der Denkfaul¬ 
heit, wären zu wünschen, auf daß die Denkkraft ange¬ 
regt und wirklich etwas geboten würde, das sich als 
echter und rechter Ausfluß unserer eigenen 
Erfindungsgabe zu erkennen gäbe. 
Reisebriefe. 
I. Serbien. 
Der Druck von Jahrhunderten lastet in den größten 
und bestgelegensten Städten Serbiens schwer auf der 
Entwicklung seines Gewerbe- und Industrielebens. In 
Betracht der günstigen kommerziellen Lage dieses Landes 
sollte sein Wohlstand weit mehr vorgeschritten sein. Aber 
die großartigsten Erfindungen und Fortschritte, welche 
unserem Erdteile seine heutige Physiognomie aufgedrückt 
haben, sind an diesen von Mitteleuropa hermetisch ab¬ 
geschlossenen Ländern spurlos vorübergegangen. 
In diesem Lande muß daher der vorurteilsfreie 
Reisende jeden Keim, jeden und auch den geringsten 
Fortschritt als Bürgschaft seiner hoffnungsreichen besseren 
Zukunft aufzeichnen, anerkennen und ermutigen. 
So war denn Schreiber dieser Zeilen wahrhaft er¬ 
freut, in der Mehrzahl der serbischen Städte den Keimen 
eines neuen aufstrebenden Gewerbelebens zu begegnen. 
Das Erdgeschoß der Häuser bildet größtenteils einen 
nach der Straße geöffneten Raum und der Fremde ge¬ 
winnt leicht einen Einblick in das Treiben der Eigen¬ 
tümer, Kaufleute und Handwerker. Er ist erstaunt über 
die Güte der Stoffe, die Schönheit der Schmucksachen 
und Waffen, über die reine, beinahe klassische Form der 
Töpferarbeiten, über die zierlichen Korbflechtereien und 
noch mehr verwundert, wenn er die unvollkommenen 
Hilfsmittel betrachtet, mit welchen alle diese Gegenstände 
geschaffen werden. Welche Reihe von Verbesserungen 
liegen zwischen dem einfachen serbischen und dem 
heutigen Webestuhle, zwischen den serbischen primitiven 
Bohr- und Hobelwerkzeugen und dem sinnreichen Mecha¬ 
nismus unserer neuesten Hobel- und Bohrmaschinen. 
Wahrhafte Bewunderung erregen einige Bauwerke, 
darunter die Kirchen von Kavanica, Lubostinje, Krusevac 
und andere. 
Die mit reicher Phantasie ausgeführten Skulpturen 
dieser Monumente göben ein glänzendes Zeugnis für die 
weit vorgeschrittene Kunstübung Serbiens zur Zeit ihrer 
Erbauung. Aber auch heute, nach einem beinahe vier¬ 
hundertjährigen Stillstände sind die diesem Volke ange¬ 
borenen natürlichen Anlagen nicht ganz erloschen. Es 
regen sich überall die Keime frischer Schaffungslust und 
den Kunstkenner erfreut es, denselben in einzelnen
	        
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