Volltext: X. Jahrgang, 1905 (X. JG., 1905)

Nr. 13. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Seite 119. 
dieses Verkehrsmittel allgemein in Gebrauch. Hof und 
Adel besaßen reichgeschmückte Tragsessel mit livrierten 
Trägern. Zu Besuchen, Hoffesten, Bällen und Theatern 
bedienten sich besonders Damen gern dieses Verkehrs¬ 
mittels, da die kostbaren Kleider, Reifröcke und himmel¬ 
anstrebenden Kopfputze bei dieser Beförderung weniger 
in Mitleidenschaft gezogen wurden, als durch die Wägen. 
Man muß eben auch auf den damaligen Stand der Wiener 
Straßen zurückdenken, welche zum größten Teile un- 
gepflastert, durch Regen- und Schneewasser aufgeweicht, 
selbst für Männer bei dem Kleiderluxus jener Zeit, völlig 
unpassierbar waren. Eben auch aus dieser Ursache 
wurde das Bedürfnis laut, dieses Verkehrsmittel jenen, 
welche keine eigene Sänfte besaßen, zugänglich zu machen. 
Einem Kammerdiener Kaiser Leopold I., der sich 
vielo Verdienste erworben hatte, wurde als dem Ersten 
die Erlaubnis erteilt, Tragsessel in einer dem Publikum 
entsprechenden Zahl aufzustellen und gegen bestimmtes 
Entgelt zu vermieten. — Dieses erste, Heinrich Ernst 
von Rauchmüller verliehene Patent besagt mit der 
Fertigung des 20. Juni 1703, daß in diesen öffentlichen 
Sesseln weder ein Kranker, Jude oder eine livrierte oder 
andere unbedeutende (I) Person getragen werden dürfe. 
Die Sesselträger sollten nüchterne Leute, Einheimische 
oder nach Wien heimatsberechtigte Personen sein. Auch 
für die Entlohnung — die Taxe — finden sich Bestim¬ 
mungen. Für das „Austragen in der Stadt“ waren 14 kr., 
ebensoviel für das Nachhausetragen, und 6 kr. für die 
Stunde Wartezeit bestimmt. Der Unternehmer der An¬ 
stalt mußte in den ersten vier Jahren der Einrichtung 
monatlich fl. 1, nach deren Ablauf aber fl. L30 monatlich 
an das Armenhaus entrichten, ln der Folge erhielt der 
Kabinettsekretär der Kaiserin Maria Theresia, Freiherr 
v. Pichler ein Privilegium auf diese Tragsessel, welches 
jedoch durch Kaiser Josef II. 1787 aufgehoben wurde. 
Seit dieser Zeit wurde die Haltung und Vermietung 
jedem unbescholtenen Bewohner freigegeben. Eine Ver¬ 
ordnung vom 1. Februar 1782 legt diesem neuen Gewerbe 
folgende Verbindlichkeiten auf: Derjenige, welcher einen 
Sessel halten oder sich mit deren Vermietung befassen 
will, hat dies der Regierung anzuzeigen, um von derselben 
die Nummer, mit der der Tragsessel bezeichnet ist, zu 
erhalten. Die Eigentümer der Tragsessel haben für jeden 
Tragsessel, den sie halten, monatlich fl. 1 an das große 
Armenhaus abzugeben, oder nach der Zahl ihrer Sessel 
zu einigen, wogegen ihnen freisteht für jede Trage nach 
den Umständen der Zeit und Witterung wegen des 
billigen Lohnes mit den Parteien übereinzukommen. An 
Tagen, wo Schauspiele und Akademien gehalten werden, 
sollen die Eigentümer der Sessel besorgt sein, daß zur 
Bediepung des Publikums bei den Theatern um 7 Uhr 
und an Ball- und Redoutentagen um 10 Uhr abends 
immer eine zureichende Zahl von Sesseln bei der Hand 
sei. — Ebenso haben die Eigentümer Sorge zu tragen, 
daß das Publikum sogleich auf Verlangen zur Nachtzeit 
mit Sesseln bedient werde. Es ist eine besondere Pflicht 
für denjenigen, der Tragsessel hält, sich um starke, ihrer 
Verrichtung gewachsene Sesselträger zu bewerben und 
besonders darauf zu sehen, daß sie nicht betrunken, im 
Tragen vorsichtig und behutsam sind, indem die Eigen¬ 
tümer für den Schaden, der jemandem im Tragen durch 
Schuld oder Versehen ihrer Träger widerfährt, selbst zu 
haften haben. Die Sesselträger sind verpflichtet, jeden 
Menschen, der es verlangt, in der Stadt ohne Widerrede 
hinzutragen, wohin es immer gefordert wird und die 
übernommene „Trage“ willig und ohne anzuhalten bis 
an den bestimmten Ort zu verrichten. Kranke Menschen 
oder wohl gar tote Körper von einem Orte zum andern 
zu tragen ist nicht gestattet. 
Es ist eine besondere Pflicht dieser Menschen, in 
dem Falle, wenn jemand, den sie getragen, etwas in dem 
Sessel verloren oder vergessen oder auf was immer für 
eine Art zurückgelassen, dieses Gut dem Eigentümer am 
selben Tage oder wenn es zu spät wäre, am andern 
Morgen der Regierung vorzulegen. 
Sie sollen sich bei sonstiger Prügelstrafe hüten, 
jemandem, wer immer es auch sei, grob oder unanständig 
zu begegnen und sollen sich bei allen Gelegenheiten 
überhaupt so aufführen, daß niemand gegen sie Ursache 
zu Klagen habe. Sie sollen allen Leuten anständig be¬ 
gegnen, sich ruhig betragen, unter einander sich des 
Gezänkes, Schlägereien enthalten, widrigenfalls erwarten, 
daß diejenigen, die dagegen handeln, nach Umständen 
auf das empfindlichste bestraft werden. Zu erwähnen 
ist noch die eigentümliche Amtstracht, die in einem 
langen roten Bedientenrock und in einem Zylinderhut 
bestand. Der letzte Anmelde- und Bestellplatz dieses 
nunmehr vergessenen Transportmittels hatte in der 
Dorotheagasse, am k. k. Versatzamte bestanden. 
Die städtische Baupolizei im Mittelalter. 
Daß schon die städtische Baupolizei des Mittelalters 
einen auf das Gesamtwohl des Städtewesens gerichteten 
Anfang zu nehmen begann, und dadurch den ersten 
Grund zu denjenigen Einrichtungen legte, die wir jetzt 
schon längst als wesentliche Bestandteile der sozialen 
Zivilisation anerkennen, das soll durch nachstehende 
Zeilen bewiesen werden. 
Da man es im Mittelalter vorzüglich liebte, die Straßen 
eng zusammen zu bauen, so mußte man bald besondere 
Anstalten zur Löschung und Verhütung der Feuersbrünste 
als ein dringendes Bedürfnis für die städtischen Gemeinden 
erkennen und daher machten dergleichen Einrichtungen 
vorzugsweise die erste Grundlage der Baupolizei aus. 
Oft waren selbst in den größeren Städten gerade 
die engsten Gassen am meisten mit Werkstätten ange¬ 
füllt, in welchen beständig scharfes Feuer gebraucht 
ward; es wurden daher für einige solche Städte schon 
sehr zeitig Feuerordnungen erlassen; so z. B. für Wien 
schon im Jahre 1278. Auch richtete man sein Augen¬ 
merk schon zeitig auf einzelne, besonders hervorstechende 
Übelstände, wie z. B. die Stroh- und Schindeldächer 
enger Straßen, die man damals in allen Städten, selbst 
in Italien, noch so häufig fand. Zahlreiche Feuersbrünste 
wurden nicht wenig dadurch genährt und eben deshalb 
erließ man unter andern in Augsburg schon im Jahre 
1404 ein gesetzliches Verbot gegen diese Dachungsart. 
Doch half dies noch immer wenig, so lange ein großer 
Teil der Häuser selbst nur aus Holz erbaut ward, wie 
dies z. B. in Bologna noch im dreizehnten Jahrhundert 
der Fall war. 
So wie überhaupt die Unkultur des Mittelalters von 
schonenden gegenseitigen Rücksichten nur wenig wußte, 
so machte man sich damals auch besonders häufig einer 
rohen Fahrlässigkeit in bezug auf Feuer und Licht 
schuldig: was nicht nur beim gewöhnlichen Tun und 
Treiben, sondern namentlich auch bei den Fackeltänzen 
und andern Fastnachtslustbarkeiten in der auffallendsten
	        
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