Volltext: X. Jahrgang, 1905 (X. JG., 1905)

Nr. 11. 
heran, um die Gesamtwirkung zu steigern. „L’etat 
c’est moi 1“ zeigte sich auch in der Baukunst und so 
war der französische Zopf die folgerichtige Fortsetzung 
des italienischen Barock. 
Der Geist der Zeit führte jedem Architekten den 
Griffel und wir können uns jedes Architekturbild, seinen 
Stil und seine Formen sowie die Entwicklung eines 
Stiles zum andern erst dann erklären und verständlich 
machen, wenn wir den jeweiligen Zeitgeist betrachten 
und uns die jeweilige Generation vergegenwärtigen. 
So hat auch unsere jüngste Zeit im Treppenbau ihr 
Symbol. Hastig und drängend ist unser ganzes Erwerbs¬ 
und Geschäftsleben, ein Ding jagt das andere, was heute 
neu ist, ist morgen schon veraltet, wir leben eben im Zeit¬ 
alter des Dampfes und der Elektrizität; die Maschine er¬ 
setzt die Menschenkraft. In einem solchen Zeitalter ist 
das Treppensteigen ein veraltetes Ding, an Stelle der 
Treppe tritt der — Fahrstuhl. 
Reisebriefe. 
III. Palästina. 
Uber den Fortschritt Palästinas während der letzten 
25 Jahre bringt Herr 0. Schick, Regierungsinspektor für 
die Bauten in Jerusalem, nach der „Times“ in einem 
Briefe an die „Zeitschrift für den Orient“ sehr interessante 
Daten. 
Derselbe sagt u. a.: 
Dieser Fortschritt macht sich besonders geltend in 
der Errichtung neuer Gebäude. In den kleinen Dörfern 
sind zwar sehr wenig neue Häuser zu finden, dagegen 
hat die Baulust in den größeren Städten große Aus¬ 
dehnungen angenommen, ein sicheres Zeichen der Zen¬ 
tralisation. Vor allem kommt hier die christliche Be¬ 
völkerung in Betracht. In Jerusalem sind in der inneren 
Stadt alte vernachlässigte oder eingestürzte Häuser von 
Privatpersonen wie von Gesellschaften wieder hergestellt 
oder neu gebaut worden; außerhalb der Altstadt aber 
sind ganz neue Vorstädte, besonders nach Westen hin 
entstanden. Die Juden haben unter sich Baugesellschaften 
gegründet, welche lange, barackenähnliche Gebäude für 
mehrere Familien errichtet haben. 
Überhaupt hat sich die Zahl der Wohnungen 
während der letzten 25 Jahre mehr als verdoppelt. So 
vor allem in Bethlehem, das geradezu den Eindruck einer 
völlig neugebauten Stadt macht. In Jaffa ist die Stadt¬ 
mauer geschleift, der Graben zugeschüttet und eine An¬ 
zahl großer neuer Häuser und Magazine erbaut worden. 
Auch in den Gärten von Jaffa sind viele neue Häuser 
errichtet, während nördlich und südlich sich arabische 
Vorstädte, meist von Ansiedlern aus Ägypten bewohnt, 
anschließen. In Ramleh und besonders Kaifa, welches 
Herr Schick bei seinem letzten Besuche kaum wieder 
erkannte, ist ebenfalls viel gebaut worden. Nicht weit 
von dieser Stadt, am Fuße des Berges Carmel, liegt die 
neue deutsche Kolonie. Nazareth macht ganz denselben 
Eindruck; dasselbe hat sowohl an Größe wie an Aus- 
Sehen gewonnen. Ebenso hat Tiberias seine neuen Häuser 
erhalten; in Jenin ist ein neues militärisches Arsenal 
errichtet worden, ein eben solches hat Neblus zugleich 
mit einer schönen Baracke erhalten. An letzterem Orte 
hat das ehemals so einsame Tal nach Osten zu ein ganz 
heimisches Aussehen gewonnen. Die Stadt selbst enthält 
auch eine neue Schule, das römische Kloster und die 
Gebäude der protestantischen Mission, Bethlehem hat 
Seite 99. 
gleichfalls eine neue Baracke und Arsenal erhalten. 
Weitere Neubauten finden sich in größerer Zahl in Jifne, 
Ramallah, Beit-Jal, Beit-Sahur und anderen Orten. 
Durch die Schulen und den zunehmenden Handel 
haben die Arbeiter mehr Stil und Geschmack gewonnen, 
so daß die neueren Häuser gegenüber den älteren — 
nicht ältesten — wesentliche Verbesserungen zeigen. 
Gegenwärtig sind fast alle Häuser schon mit Glasfenstern 
versehen, was vor 20 Jahren noch eine große Seltenheit 
war. Der Aquädukt, welcher in alter Zeit das Quellwasser 
von dem sogenannten Brunnen Salomos nach Jerusalem 
brachte, ist wieder aufgebaut worden, so daß er bei dem 
Tempelplatz ausmündet. 
Ein sehr bemerkenswerter Fortschritt ist auch auf 
dem Gebiete der Straßenbeleuchtung und Straßenreini¬ 
gung in den Städten gemacht, obgleich in letzterer Hin¬ 
sicht noch viel zu wünschen übrig bleibt. Nicht mehr 
werden bei Sonnenuntergang die Stadttore geschlossen 
und dadurch der Handel und Verkehr behindert oder die 
Einwohner in die Mauern eingeschlossen. Auch ist mit 
der Straßenpflasterung bereits der Anfang gemacht, so 
daß man beispielsweise in Bethlehem selbst zur Winter¬ 
zeit dieselben schon passieren kann, was früher durchaus 
nicht der Fall war. In Jerusalem sind die Gerbereien 
und Schlächtereien an die äußere Pheripherie der Stadt 
gedrängt. Verschiedene Gebäude haben bereits öffentliche 
Uhren aufzuweisen, dem Volk die Stunde des Tages an¬ 
zuzeigen. Endlich, was nicht gering zu veranschlagen, ist 
die sanitäre Überwachung der Stadt in Jerusalem ein¬ 
geführt und einem deutschen Arzte anvertraut worden, 
wie auch die Baupolizei in den Händen eines deutschen 
Architekten ruht. E. K. 
Der Ingenieur im Baugewerbe.*) 
Die gewaltigen Baudenkmäler der Ägypter, Inder, 
Griechen und Römer haben als charakteristisches Merk¬ 
mal das architektonische Gefüge, die ästhetische Struktur. 
Die Bauleute waren Künstler, deren Streben nach Form¬ 
schönheit die konstruktiven Prinzipien ganz wesentlich über¬ 
wog. Die Baustoffe waren eben damals andere, und daraus 
erklären sich auch die rein architektonischen Formen, die 
wir noch heute an den Schöpfungen des Altertums und 
des Mittelalters bis in das 19. Jahrhundert hinein be¬ 
wundern. Die Bauwerke nach dieser Zeit sind nicht mehr 
vorwiegend Kunstleistungen, selbst nicht die, welche wie 
z. B. die Kathedralen auf das Gefühl wirken sollen, 
sondern sie stellen sich als Leistungen angewandter 
Wissenschaft, und zwar der Mathematik, Physik und 
Chemie darl Man kann sagen, daß im Bauwesen innere 
Veränderungen vor sich gegangen sind und noch immer 
vor sich gehen. Ganz zweifellos hat die Bautechnik 
dadurch gewonnen; es fragt sich nur, ob dabei nicht 
etwa die Architektur gelitten habe. Wenn man die 
pittoresken Häuser sehr alter Städte betrachtet, mag es 
wohl scheinen, als ob die alten Baukünstler mehr Indivi¬ 
dualität besessen hätten, und der Gedanke gewinnt an 
Gestalt durch die Neigung der Gegenwart, die Kunst der 
Alten an den Neubauten nachzuahmen und zu erhalten. 
In Goecke und Sittes „Städtebau“ hat sich Hermann 
Pfeifer-Braunschweig (im 7. Heft 1904) eingehender mit 
der Frage beschäftigt. Er sieht die Baukunst im modernen 
Städtebau zur feilen Dirne erniedrigt und geht mit der 
Aus der „Wochenschrift des österreichischen Ingenieur- und 
Ar chjtekten-Vereines u. 
Oberösterreichische Bauzeitung.
	        
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