Volltext: VIII. Jahrgang, 1903 (VIII. JG., 1903)

Nr. 12. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUJNU. 
Seite 91 
Die Sicherung der Bauforderungen. 
Nach einem Referat des Bürgerworthalters Justizrat Graven¬ 
horst-Lüneberg auf dem Hannoverschen Städtetage. 
Mit dem ausserordentlichen Aufschwünge, den die 
Bautätigkeit seit mehreren Jahrzehnten genommen hat, 
sind namentlich in den grösseren Städten unleugbar 
grosse Misstände im Baugewerbe zutage getreten, welche 
den immer dringender werdenden Ruf nach gesetzlichem 
Schutz der Bauforderungen veranlasst haben. Es soll sich, 
namentlich in Berlin, aber auch in anderen grösseren 
und selbst mittleren Städten, ein förmliches System der 
Ausbeutung der Bauhandwerker und Bauarbeiter heraus¬ 
gebildet haben, durch welches diese sehr erhebliche Ver¬ 
luste erlitten haben, ja zum Teil sogar wirtschaftlich zu¬ 
grunde gerichtet sind. 
Der typische Vorgang, bei welchem die Bauhandwerker 
auf Grund der bestehenden Gesetze mit Leichtigkeit über¬ 
vorteilt werden können, wird folgendermassen geschildert: 
Der Eigentümer einer Baustelle verkauft diese zu 
einem hohen, den wahren Wert des Grundstücks weit 
übersteigenden Preise an einen Bauunternehmer und 
lässt den Kaufpreis ganz oder zum grössten Teile hypo¬ 
thekarisch auf der Baustelle eintragen. Auf die Zahlungs¬ 
fähigkeit des Käufers wird kein Gewicht gelegt. Der 
Käufer schliesst, um sich Gelder zu verschaffen, einen 
Baugeldvertrag entweder mit seinem Verkäufer oder 
mit einem Dritten ab, nach welchem ihm die Baugelder 
nach Massgabe des Fortschreitens des Baues in be¬ 
stimmten Beträgen ausgezahlt werden. Auch für dieses 
Baugeld wird eine Hypothek bestellt. Ein Teil des Bau¬ 
geldes wird dem Käufer (Bauunternehmer) wirklich ge¬ 
zahlt und von ihm auch zur teilweisen Bezahlung der 
Bauhandwerker, Arbeiter und Lieferanten verwendet, da¬ 
mit der Bau in Gang kommt. Ist nun aber der Bau¬ 
unternehmer ein gewissenloser Mensch, der vielleicht 
mit dem Baustellenverkäufer oder mit dem Baugeld¬ 
geber unter einer Decke steckt, so verwendet er die, 
übrigen Baugelder nicht zur Befriedigung der Bau¬ 
gläubiger, sondern zur Berichtigung anderer Schulden 
oder zur Bestreitung eines seine Verhältnisse über¬ 
steigenden Aufwandes. Er ist nicht mehr imstande, die 
Zinsen der eingetragenen Hypotheken oder diese selbst, 
falls sie gekündigt werden, zu bezahlen und das Gebäude, 
welches vielleicht im Rohbau fertig ist, wird zur Zwangs¬ 
versteigerung gebracht und um einen billigen Preis von 
dem Baustellenverkäufer selbst oder durch eine vor¬ 
geschobene Mittelsperson oder von dem Baugeldgeber 
erstanden, während die Bauhandwerker und Arbeiter 
leer ausgehen, da der Erlös nicht einmal zur Deckung 
der Hypotheken ausreicht. Aber selbst, wenn auch der 
Bauunternehmer nicht auf eine Verkürzung der Bau¬ 
gläubiger ausgeht, so kommt es doch leicht zur Zwangs¬ 
versteigerung, weil die Baugelder zur vollständigen 
Deckung der Baukosten nicht ausreichen und dem Bau¬ 
unternehmer genügende andere Mittel zur Verfügung 
stehen oder die Hypothekengläubiger durch unerwartete 
Kündigungen oder schikanöse Ausnutzungen der häufig 
sehr harten Bestimmungen des Baugeldvertrages die 
Zwangsversteigerung herbeiführen. Das Ergebnis ist 
dann das gleiche, der vollständige Ausfall der Bau¬ 
gläubiger mit ihren Forderungen. 
Gegen solchen Bauschwindel bieten die bestehenden 
Gesetze keinen genügenden Schutz. Schon lange hat 
man deshalb ein Einschreiten der Gesetzgebung für not¬ 
wendig erklärt. Der Reichstag und das preussische Ab¬ 
geordnetenhaus haben ein Gesetz zum Schutze der Bau¬ 
forderungen verlangt. 
Die gesetzliche Regelung bietet aber ganz erhebliche, 
vielleicht unüberwindliche Schwierigkeiten dar und bis¬ 
her sind alle Versuche, das Problem zu lösen, gescheitert. 
Im preussischen Justiz-Ministerium sind früher be¬ 
reits fünf verschiedene Gesetzentwürfe ausgearbeitet, die 
sich aber sämtlich als nicht ausführbar herausgestellt 
haben. Im Jahre 1897 ist ein neuer Entwurf ausgearbeitet 
und durch Veröffentlichung der allgemeinen Kritik preis¬ 
gegeben; die Aufnahme, die er gefunden hat, war eine 
sehr geteilte, im ganzen nicht günstige. Auch unser 
Städteverein hat sich 1898 auf dem Städtetage mit 
diesem Entwurf beschäftigt und zwar das Bedürfnis 
einer gesetzlichen Sicherung der Bauforderungen an¬ 
erkannt, aber dem Entwürfe aus mehrfachen Gründen 
nicht zustimmen können. 
Von einer Kommission des Reichsjustizamtes und 
des preussischen Justiz-Ministeriums sind alle Stimmen 
für und gegen den Entwurf, darunter auch die Verhand¬ 
lungen unseres Städte Vereines, gesammelt und einer 
gründlichen Prüfung unterzogen. Das Resultat ist die 
Ausarbeitung eines neuen Entwurfes gewesen oder viel¬ 
mehr, da die Kommissionsmitglieder sich über mehrere 
wesentliche Punkte nicht haben einigen können, die Aus¬ 
arbeitung zweier Entwürfe, A und B, die gleichfalls ver¬ 
öffentlicht und der Kritik zur Auswahl präsentiert sind. 
Unsere früheren Leitsätze lauteten folgendermassen: 
„Der Städtetag erkennt zwar das Bedürfnis einer 
Sicherung der Forderungen der Baugläubiger an, 
kann aber dpm vorliegenden Entwürfe nicht zu¬ 
stimmen, insbesondere weil 
1. das Verfahren bis zur Eintragung des Bauwerkes 
und der Bauhypothek zu weitläufig und zeitraubend 
ist und dadurch auf die reelle Bautätigkeit nach¬ 
teilig einzuwirken droht, 
2. weil der Kreis der Baugläubiger zu eng gezogen ist, 
3. weil die Sicherheit der voreingetragenenHypotheken 
und sonstigen dringlichen Rechte gefährdet wird 
und infolgedessen eine Erschütterung des Real¬ 
kredits zu befürchten ist, 
4. weil die zur Anmeldung der Forderungen gesteckte 
Frist von sechs Monaten zu gross erscheint“. 
Von diesen vier Ausstellungen sind drei durch den 
neuen Entwurf beseitigt. Der Kreis der Baugläubiger ist 
wenigstens in dem Entwürfe B erweitert. Die Bedenken 
wegen der Gefährdung der Sicherheit der voreingetragenen 
Hypotheken sind vollständig gehoben. Die Anmeldefrist ist 
von sechs auf drei Monate ermässigt. Es bleibt deshalb 
hauptsächlich nur übrig, zu prüfen, ob auch die nach¬ 
teiligen Einwirkungen auf die Bautätigkeit überhaupt, 
insbesondere auch auf die solide Bautätigkeit — aller¬ 
dings wohl das schwerste Bedenken — genügend be¬ 
seitigt sind. 
Der Gesetzentwurf ist insofern ein eigentümlicher, 
als er kein im Deutschen Reiche allgemein geltendes und 
sofort in Kraft tretendes Recht schaffen will, sondern er 
stellt nur Rechtssätze auf, welche nur für einzelne 
Gemeinden Geltung haben und auch für diese erst dann 
Geltung erlangen sollen, wenn sie durch landesherrliche 
Verordnung für bestimmte Gemeinden eines Bundes¬ 
staates eingeführt sind. An eine allgemeine Einführung, 
auch für alle Stadtgemeinden, ist nicht gedacht. Aller¬ 
dings soll nicht die Landesgesetzgebung über die Ein¬
	        
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