Volltext: VIII. Jahrgang, 1903 (VIII. JG., 1903)

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0 B E K 0STEKR E IC H ISO H E BAUZEITUNG. 
Nr. 10. 
riclitung, der Dritte das Haus für den Wärter und wohl 
gar ein Vierter einen Fonds zur Unterhaltung des Ganzen 
gestiftet. Für solche Zwecke scheuen die Engländer 
tatsächlich keine Opfer. Sie sind eben enthusiastische 
Freunde der Natur. Dies zeigt sich auch in der Art, 
wie die bewohnten Grundstücke bebaut und eingerichtet 
sind. Zunächst haben die Wohnhäuser, auch die der 
Arbeiter, fast ohne Ausnahme einen zirka 3 Meter breiten 
Front- und einen mehr oder weniger grossen Hinter¬ 
garten. Der letztere enthält bei dem kleinen Mann neben 
einigen Gemüse- und Blumenbeeten regelmässig Käfige 
für Federvieh und dient vor allem als Tummelplatz für 
die Kinder. Die vornehmeren Häuser besitzen ausserdem 
nicht nur einen grösseren Obstgarten, sondern auch noch 
fast ausnahmslos ein Winter-Blumenhaus (hot house). 
Es ist auch typisch, dass mindestens die Fenster im 
unteren Stockwerk aller Wohnhäuser nach Art unserer 
Erker hinausgeschoben sind, so dass sie den Bewohnern 
einen freien Ausblick gestatten. Allerdings sind diese 
blumengeschmückten bow Windows ebenso wie die 
charakteristischen schimney pots — 2 bis 6 etwa 
U/2 Fuss über den Schornstein hinausragende Rauchrohr- 
Ausmündungen — auch geeignet, den im allgemeinen 
düsteren Eindruck der englischen Häuser wesentlich zu 
mildern. Einen freundlichen, über das Verfugen hinaus¬ 
gehenden Aufputz lässt das ozeanische Klima nicht zu 
und macht hellere Farben schnell verwittern. So hat 
z. B. das kaum 60 Jahre alte, in Sandstein ausgeführte 
Parlamentsgebäude in London, nebenbei bemerkt, wohl 
der grösste gotlösche Bau der Welt, eine, wenn wir so 
sagen sollen, Alterspatina, als ob schon Jahrhunderte an 
seinen Mauern vorübergerauscht seien. Ein Umstand 
freilich, der in diesem Falle den gewaltigen Eindruck 
des stolzen Bauwerkes nur noch vertiefen kann. 
Im übrigen sind die englischen Wohngebäude 
meistens aus dunkelroten Ziegeln hergestellt und im 
Durchschnitt kontinentaler Grösse, eher niedriger als 
höher. Sehr beliebt sind die, vorzugsweise von kleinen 
Leuten bewohnten Zweifamilienhäuser. Es ist daran 
namentlich interessant, dass die beiden Wohnungen nicht 
horizontal, sondern vertikal von einander geschieden und 
mit je einem völlig getrennten Eingänge, Beigelass und 
Garten ausgestattet sind. Beide Parteien wohnen also 
wie in verschiedenen Häusern. Jede derselben hat unten 
nach vorne heraus eine gute Stube, nach hinten ein 
Wohn- und ein Esszimmer mit anstossender ausgebauter 
Küche, ferner oben zwei Schlafzimmer, den Abort, sowie 
Dachbodenraum. 
Aehnlich verhält es sich auch mit der baulichen 
Einrichtung der Einfamilienhäuser. Unten rechts und 
links vom Eingänge Wohn-, beziehungsweise Speise¬ 
zimmer, hinten Küche, Kinderzimmer, sowie Badestube. 
Oben die verschiedenen Schlafräume. Die einzelnen 
Räume haben in allen Häusern mit einander keine direkte 
Verbindung. Eine solche, die uns unentbehrlich erscheint, 
liebt der Engländer nicht. Zu der Küche führt übrigens 
regelmässig von der Strasse um das Haus herum ein 
besonderer Eingang für Dienstboten, Händler etc. Andere 
Besucher machen sich an der vorderen, stets ver¬ 
schlossenen Türe mittels des bekannten Klopfers (knocker) 
bemerkbar. Die elektrische Klingel vermag gegen diese 
uralte Einrichtung nicht aufzukommen. Sie findet sich 
lediglich in den Geschäftshäusern. 
Ja, die Geschäftshäuser! Die verraten so recht den 
raffiniert kaufmännischen Sinn der Engländer. Zwar nicht 
grösser, als bei uns, im Innern mit allen Mitteln der 
Technik auf das bequemste ausgestattet, das Aeussere 
unschön und überladen mit aufdringlicher Reklame, sind 
sie sprechende Repräsentanten des modernen kosmo¬ 
politischen Geistes, der in „Greater Britain“ zum Aus¬ 
drucke kommt und bilden den Grundzug in dem Charakter 
der englischen Städte. Allerdings haben es sich recht 
viele der letzteren seit jeher angelegen sein lassen, nicht 
nur interessante alte Bauten zu konservieren, sondern 
auch die neuere Bauweise diesen Ueberlieferungen an¬ 
zupassen. Sie haben dadurch ihre ursprüngliche Eigen¬ 
art zu erhalten gewusst, was ihnen freilich insofern ver¬ 
hältnismässig leicht gewesen ist, als die Baupolizei, Erlass 
der Bauordnungen und deren Handhabung ausschliesslich 
in der Hand jedes town councils liegt. Chester steht 
unter diesen alten Städten obenan, dürfte überhaupt 
einer der interessantesten Wohnplätze der Welt sein. 
Die Stadtmauern, die anderswo, sobald sie fortifikatorisch 
überflüssig geworden sind, niedergerissen zu werden 
pflegen, sind hier noch weiter ausgebaut, indem ihre 
Krone zu einem unvergleichbar köstlichen Fusspfade 
hergerichtet ist. Sie führen teils mitten durch die Stadt, 
teils um dieselbe und bieten eine herrliche Aussicht auch 
auf die weite, ebene, einem grossen Garten gleichende 
Umgebung. Am Fusse der Mauer ausserhalb der Stadt 
schlängelt sich der Dee River mit seinen romantischen 
Brücken und Mühlen. Und in einer seiner Biegungen 
liegt der schöne Pferderennplatz, für den die Mauer einen 
Zuschauerstand ersten Ranges darbietet. Das Innere der 
Stadt vollends scheint der Zufluchtsort des entthronten 
Kulturgeistes früherer Zeiten zu sein. Fluss und Mauer 
dienen ihm gleichsam als Deckung für den kostbaren 
Rest seiner einstigen Herrlichkeit. Diese vielen alten 
prächtigen Gebäude! Haus bei Haus. Eines immer 
interessanter als das andere. Ganze Strassen lang. Unter 
ihnen Gods providence house und Stanley house, aus dem 
16. Jahrhundert stammende Holzbauten und Fassaden- 
Schnitzerei allerfeinster Art. Neben diesen ancient houses 
sind die sogenannten Rows eine einzigartige Sehens¬ 
würdigkeit der Stadt. Es sind dies hölzerne Galerien, 
die etwa 31/2 Meter breit den Bürgersteig einnehmen, 
am ersten Stockwerke der Hänser entlang führen und 
unten sowohl wie oben zu beiden Seiten des Wandel¬ 
ganges Geschäftsläden enthalten. Sie sind gleichfalls noch 
strassenweise vorhanden. 
Von allen englischen Städten hat auch Chester 
diesem überkommenen Stil bei Neu- und Umbauten am 
sorgfältigsten Rechnung getragen, ohne dass dabei 
praktische Forderungen der Neuzeit irgendwie zu kurz 
gekommen wären. 
F'erner hat Stratfort on Avon noch recht viele alter¬ 
tümliche Gebäude, darunter Shakespeares Geburtshaus. 
Von sonst baulich interessanten Städten, soweit wir 
sie kennen gelernt haben, muss dann noch das selten 
schön gelegene Oxford genannt werden, mit seinen zahl¬ 
reichen, ehrwürdigen Colleges und Kirchen. Ueberhaupt 
hat England Kirchen und Kathedralen, welche geradezu 
Wunderwerke der Baukunst darstellen, vom romanischen 
bis zum perpendikulären (nachgotischen) Stil. 
An wirklich imposanten alten Profanbauten sind 
indes die englischen Städte auffallend arm. Dass z. B. 
neben der Kirche und der Burg auch noch das Rathaus 
als Sehenswürdigkeit rivalisiert, wie wir es bei uns ge¬ 
wöhnt sind, ist in England nicht der Fall. Die älteren 
Stadtverwaltungs-Gebäude (Town oder Guild Halls) heben,
	        
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