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ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG.
Nr. 10.
zweigende moderne Industrie getrennt worden und bildet
heute jede eine eigene Zunft für sich. Wir wollen heute
einmal einen Gang durch eine der ersten und grössten
Glockengiesserei Deutschlands, in welcher auch die be¬
rühmte Kaiserglocke des Kölner Domes gegossen wurde,
machen und uns näher die Einrichtung und Herstellung
der Glocke ansehen, um einen Einblick in solch’ einen
Betrieb zu erhalten, um mit ehernem Munde zu ver¬
künden der ganzen Welt: „Friede auf Erden und dem
Menschen ein Wohlgefallen 1“
Wohl kaum ein anderer Beruf erscheint uns von
so poetischem Zauber umflossen wie der des Glocken-
giessers. Doch dieser Zauber schwindet bald, wenn wir
eine jener Werkstätten betreten, in denen die metallenen
Kolosse, die von den Türmen der Gotteshäuser mit
ehernen Zungen zu uns reden, geschaffen werden. Fast
die Hälfte des mässig grossen Raumes nimmt eine ge¬
mauerte Grube von etwa 5 Fuss Tiefe in Anspruch.
Neben der Grube erhebt sich ein aus Backsteinen er¬
bauter, mächtiger Flammenofen. Ihm zur Seite sieht
man drei Tiegelöfen, die bedeutend kleiner sind als der
grosse FlammenoTen. In der Grube werden nun die Glocken¬
formen aufgebaut. Man mauert zuerst den hohlen Kern,
dessen Grösse der Höhlung der Glocke entsprechen
muss. Durch Auflegen von Ton gibt man dem auf einem
Fundament ruhenden Kern die gewünschte Form u. zw.
geschieht dies mit einer Holzschablon. Um das Anhaften
des Modells „der sog. falschen Glocke“ zu verhindern,
bestreicht man den Ton ganz dick mit einem wässerigen
Brei aus Holzasche. Auf dem so vorbereiteten Kern wird,
nachdem er durch ein in seinem Innern angezündetes
Kohlenfeuer getrocknet ist, das Modell für die Glocke
hergestellt. Die genauen Formen werden ebenfalls mit
Hilfe der Schablone erzielt. Hiebei muss nämlich auch
auf den Ton, den die erzene Glocke angeben soll, Rück¬
sicht genommen werden. Die vielfach verbreitete An¬
sicht, dass der Wohllaut der Glocke von der Mischung
des Metalls abhängt, ist durchaus falsch. Ist die falsche
Glocke im Umriss fertig, dann wird der letzte dünne
Ueberzug, der Verzierungen und Inschriften darstellt,
aus einer Mischung von Talg und Wachs geformt. Man
sieht, der Glockengiesser muss auch ein geschickter
Zeichner und Modelleur sein. Nun geht es an die Her¬
stellung des Mantels, des wichtigsten Teiles der Vor¬
bereitungen zum Glockenguss. Es muss daher ganz be¬
sondere Sorgfalt darauf verwendet werden. Die unterste
Schicht, die jetzt mit der falschen Glocke und später
mit dem flüssigen Metall in Berührung kommt, besteht
aus einem weichen Brei, dessen einzelne Teile gesiebter
Lehm, Ziegelmehl, Graphit, Formsand, Eiweiss, Bier und
Gummiarabicum sind. Von dieser Schicht hängt es ab,
ob die metallene Form sich glatt und eben aus der Hülse
schälen wird.
Nachdem der Lehmbrei, der sich den Wachstalg¬
verzierungen des Modells genau anschmiegen muss, an
der Luft getrocknet ist, wird der Mantel mit gewöhnlichem
Lehm genügend verstärkt. Im hohlen Innern des Kerns
wird jetzt wieder ein Feuer angefacht, durch die Hitze
schmilzt das Wachs, das in den Lehm dringt und so
den Mantel vom Modell löst. Die Form zur Krone wird
besonders angefertigt, in die obere Oeffnung des Mantels
eingesetzt und mit Lehm befestigt. In dieser Kronen¬
form befindet sich das Giessloch. Daneben münden die
Windpfeifen, durch die die in dem leeren Raum ent¬
haltene Luft entweichen kann, sobald der Guss beginnt.
Die Massnahme ist notwendig um die Gefahr einer Ex¬
plosion zu beseitigen. Um ein Zerplatzen des Mantels
beim Guss zu verhüten, wird er mit Hanf und eisernen
Reifen umgeben. An den Reifen werden Haken zur Be¬
festigung von Seilen angebracht, um unter Benützung
eines Flaschenzuges den Mantel in die Höhe heben zu
können. Ist dies geschehen, so wird das auf dem Kern
sitzende Modell stückweise weggebrochen, der Kern mit
Steinen und Erde, sowie seine obere Oeffnung mit Lehm
gefüllt. In den weichen Lehm senkt man das Hänge¬
eisen, an dem der Klöppel in ledernen Riemen hängt.
Die mit Widerhaken versehenen Schenkel des Eisens
werden beim Guss von dem Metall eingeschlossen. Zu¬
letzt wird der Mantel auf seinen alten Platz herab¬
gelassen und die Fuge um seinen unteren Rand mit
Lehm verstrichen, worauf die ganze Grube, in der man
gleichzeitig vier bis fünf Formen aufbauen kann, mit
Erde, Sand und Asche bis an den Rand zugeschüttet
wird. Damit der Glockenmantel eine grössere Wider¬
standsfähigkeit gegen den Druck des Metalls erhält,
stampft man die Erde um die Formen mit einer Hand¬
ramme so fest wie möglich. Schliesslich wird auf dem
Damm — so heisst die zugeschüttete Grube — mittelst
Backsteinen eine Gussrinne vom Ofen bis zum Giessloch
angelegt. Nun endlich kann der Guss seinen Anfang
nehmen. Das Glockengut, wie man die im Flammwesen
schmelzende Mischung nennt, ist eine Legierung von
78 Teilen Kupfer und 22 Teilen Zinn. Da das Kupfer
schwer schmilzt, wird es zuerst dem mit Fichtenholz
geheizten Ofen zugeführt.
Der Zapfen wird aus dem Ofen gestossen, und
einem feurigen Strom gleich ergiesst sich die glühende
Metallmasse in die Gussrinne und von da in die erste
Form, wenn diese gefüllt ist, in die zweite etc. Etwa
20—24 Stunden nach dem Guss hat sich die Glocke
genügend abgekühlt und sie wird aus der Grube hinaus¬
gewunden. Der Mantel wird abgeschlagen und der
Glockengiesser hat das Resultat seiner wochenlangen
Arbeit vor sich. Nun muss nur noch der Klöppel an¬
gebracht und der Glockenstuhl gezimmert werden, dann
ist die Glocke zur Ablieferung fertig, so berichtet das
„Tirolische Gewerbeblatt“ in Innsbruck, aus dem wir
vorstehenden Artikel entnehmen. L. B.
Einiges über englischen Städtebau.
Naturgemäss bieten allerwärts die Städte in Anlage
und Bau ein getreues Spiegelbild des Charakters ihrer
Bewohner, namentlich von deren vorherrschenden Tätig¬
keit und Neigungen. So auch hier. Ernst und schweig¬
sam geschäftig, wie der Engländer selbst, zeigen sich
auch seine Städte, einförmig nüchtern die Häuser, in
welchen er wohnt. Eine fremden Einflüssen nahezu
völlig unzugängliche Originalität geht mit einem merk¬
würdigen Festhalten am Althergebrachten Hand in Hand
und auf Schritt und Tritt macht sich die Nationalneigung
zu openair-Bewegung, Spiel und Sport, bemerkbar. Zu¬
nächst die städtischen Strassen. Dieselben, Fahrdamm
wie Bürgersteig, sind im grossen und ganzen durchaus
nicht schmal, aber auch nicht von jener verschwende¬
rischen Breite und unästhetisch leeren Länge, wie sie in
deutschen Städten neuerdings vielfach zu beobachten
sind. Anderseits wird das Strassenbild englischer Städte
fast überall von einer auffallenden Unregelmässigkeit
beherrscht, von einer Unregelmässigkeit, die nicht selten