Volltext: VIII. Jahrgang, 1903 (VIII. JG., 1903)

Seite 34. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 5. 
Italienische Ziegelarbeiter. 
Julius von Bük. 
I. 
Es ist sehr erstaunlich, dass in einer Zeit, wo viel 
über Industrie, Sozialpolitik, Sozialdemokratie, Streiks, 
Kartelle, über deren Berechtigung, wirtschaftlichen 
Nutzen oder Schaden von Berufenen und Unberufenen 
gesprochen, geschrieben und gedruckt wird — über die 
Leistungen der Industriearbeiter nur wenig oder gar 
nichts zu lesen ist. 
So wird stets bei jedem Streik die Lohnfrage 
ventiliert und von allen Seiten geprüft und beleuchtet. 
In der Hauptsache dreht es sich daher zumeist um die 
Kardinalpunkte des Wirtschaftslebens. Dem einen ist 
der Lohn zuviel —- dem andern zuwenig. Es steht stets 
die Geld- oder Lohnfrage im Vordergründe. Nur selten 
wird die eigentliche Arbeitsleistung, die tatsächliche 
Leistungsfähigkeit geprüft und erwogen, ob der Lohn 
eine entsprechende Entschädigung für die verwendete 
Kraft und Zeit ist oder nicht. Dann hört man wieder 
von Marktfragen, von der Preisgestaltung, „dass man 
als Produzent bei derartigen Löhnen nicht das Auslangen 
finden könne.“ Da verlohnt sich dann überhaupt nicht 
die Fabrikation, wenn der Arbeiter nicht die Leistungs¬ 
fähigkeit besitzt, Waren zu den möglichen Verkaufs¬ 
preisen herzustellen und soviel zu verdienen, um den 
Lebensbedarf zu decken. Hiezu tritt noch der übliche 
Hauptfehler, dass die Herstellungsrechnung vernach¬ 
lässigt oder unrichtig gehandhabt wird, dass die ent¬ 
sprechenden Einrichtungen fehlen, dass nach alten Ver¬ 
fahren gearbeitet wird, die Maschinen unpraktisch und 
veraltet sind. Was kann dann der Arbeiter leisten, wie 
kann er mit den Arbeiten einer Fabrik, die mit allen 
Errungenschaften der modernen Technik ausgestattet ist, 
in Wettbewerb treten. In welchen Verhältnissen steht da 
Leistungsfähigkeit und Lohn? Und doch stellen beide 
Fabriken dieselbe Ware her. Sie sollen zu denselben 
Preisen verkaufen, die Arbeiter denselben Lohn erhalten. 
Wer hat bei derartigen Verhältnissen wirtschaftlichen 
Schaden? Sicher nicht der Arbeiter. Die Leistungs¬ 
fähigkeit der Arbeiter ist trotz bestem Willen und Fleiss 
infolge nicht gleichwertiger technischer Einrichtungen 
eine ungleiche und der Lohnleistung nicht gleichwertige. 
Anlässlich der grossen Weltausstellungen werden 
stets langatmige Berichte veröffentlicht, die alles andere 
als Kritiken der internationalen Ausstellungsgüter sind. 
In der Hauptsache fällt dann das Urteil dahin aus: „in 
dieser Industrie leistet diese Nation, in jener eine andere 
das beste“. Und mit Recht wird dies behauptet, da es 
Tatsache ist, dass manche Nation ein besseres Geschick, 
ein besseres Talent für ein Gewerbe, für eine Industrie 
ein Kunstgebiet besitzt. 
Daraus folgt, dass, wenn auch der Unternehmer und 
Arbeitgeber derlei Arbeit ersinnt — derselben Form 
und Gestalt gibt, deren Ausführung überwacht, in all 
den Berichten der Preisgerichte und Zeitungen allein als 
der belobte Macher, als verdienter Industrieller und 
Ausstellungsmann erscheint! Wenige blicken auch tiefer 
und forschen weiter nach, wie sieht es mit denen, die 
eigentlich all die Arbeit unter diesem Fabriksbesitzer 
leisten, aus? Sieht man das fertige Industrieprodukt, so 
urteilt man eben über alles andere, hält alles für wichtiger, 
als die Frage nach dem Arbeiter, über dessen Bildung, 
Können und Leistungsfähigkeit. Haben die Arbeiter eine 
besondere Begabung, eine angeborene oder angelernte 
Geschicklichkeit für die gewisse Industrie? Arbeiten sie 
auch mit Geschmack, Geist und Verständnis, oder ersetzt 
die präzise Arbeitsleistung der Maschine, deren Leitung 
und Ueberwachung denselben obliegt, jede höhere geistige 
Betätigung? 
Man hat bisher wenig, trotz der grossen und sich 
stets mehrenden Veröffentlichungen in Büchern, den zahl¬ 
reichen Zeitschriften in den Hauptsprachen (die glauben 
stets ohne Nachdruck), neue Fragen zu erörtern, über 
die Ziegel- und Tonarbeiter gebracht. Und hat man an¬ 
lässlich der Ausstände der Ziegelarbeiter über die Arbeits¬ 
verhältnisse etwas veröffentlicht, namentlich in den Tages¬ 
blättern, so waren diese Darstellungen der Verhältnisse 
je nach dem Standpunkt des Arbeitsgeber oder -Nehmers 
nur einseitige — entweder zu niedrig oder zu hoch ge¬ 
schraubt — daher nicht den Tatsachen und der Wahrheit 
entsprechend. Und sicher hätte diese hochwichtige Frage 
auch in unserer Industrie einer Erörterung, eines Stu¬ 
diums bedurft. Welche Nation hat die besten Ziegel¬ 
arbeiter ? 
Wird diese Frage aufgeworfen, so steht die Frage 
offen, zu welcher Gruppe der Industrie zählen die Ziegel¬ 
arbeiter? Nun die Ziegelarbeit wird mit Recht als die 
anstrengendste des ganzen Baugewerbes betrachtet und 
sowohl von Berufs- als Hilfsarbeitern ausgeführt. Ja, 
wenn man die Technologie der Ziegeleierzeugung richtig 
kennzeichnen will, ist dieselbe in vielen Betrieben, wo 
jede mechanische Einrichtung fehlt und der Handstrich 
allein in Uebung ist, ein Gewerbe, ein Handwerk. Die 
Ziegelerzeugung hat daher gewerbliche und industrielle 
Arbeiter, man erzeugt durch Handfertigkeit oder durch 
Maschinenkraft. Doch gibt es in der Ziegel- und Ton¬ 
industrie auch gewisse Teile des Arbeitsprozesses, die 
auch in Fabriken mit mechanischen Einrichtungen als 
Handarbeit gewerblicher Art zu bezeichnen sind und 
gilt dies von den Massenzurichtern und Brennern. Und 
nebenbei werden für soviele Arbeiten, die keine weitere 
Befähigung beanspruchen, Taglöhner verwendet. 
Die Ziegelerzeugung nimmt beinahe bei allen Na¬ 
tionen eine gewisse Sonderstellung ein. Nicht so leicht 
entschliesst sich jemand zu dieser Arbeit, namentlich 
zur Handstricharbeit, die bei geringem Lohn grosse An¬ 
forderungen an die Körperkraft stellt. Doch gibt es da 
zum Glücke gewisse Traditionen in Familien, ganzen Ge¬ 
schlechtern, man könnte sagen Provinzen und Ländern, 
in denen eine gewisse Vorliebe für schwere Bauarbeiten 
herrscht. Es ist dasselbe wie mit den Erdarbeitern, den 
Steinbrucharbeitern, Steinhauern, Stein- und Ziegel¬ 
maurern, den Gerüstarbeitern an grossen Hochbauten. 
In diese Gruppe der schweren Arbeiter wird auch der 
Ziegler einzubeziehen sein. 
Italien gebührt eine traditionelle besondere Leistungs¬ 
fähigkeit in diesen Arbeiten. Ein jeder geschichtliche 
Rückblick auf all das, was Italien auf diesen Arbeits¬ 
gebieten des Bauwesens überhaupt geleistet, ist wohl 
überflüssig. Man hat eben das praktische Baugewerbe, 
die Baukunst von Italien gelernt, das stets die Schule 
für alle Welt war. In Italien wurde der neuere Stein- 
und Ziegelbau eigentlich erfanden und vervollkommnet, 
die festen Normen für die Herstellung, Bearbeitung und 
Verwendung der natürlichen und künstlichen Baustoffe 
geschaffen. Italienische Baukünstler, Baugewerbetreibende 
und dekorative Künstler gingen, Berufungen folgend, in 
das Ausland schon zur Zeit der Renaissance, und es
	        
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