Volltext: VII. Jahrgang, 1902 (VII. JG., 1902)

Seite 118. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZ EIT UNO. 
Nr. 14. 
Die Erfolge der Handwerkerschulen sprechen 
für sich selbst. Wenn nun heutzutage der Handwerker 
bei seiner weit höher geschraubten Ausbildung und Vor¬ 
bildung dennoch über geringe Beachtung und Wert¬ 
schätzung seiner Person zu klagen hat und er sich gerne 
in einer einem schaffenden und denkenden Manne mehr 
zukömmlichen Respectierung sehen möchte, so ist Klage 
und Wunsch sicherlich vollberechtigt; aber andererseits 
ist er oft selbst an der Geringschätzung schuld! Wir 
haben leider noch Handwerker in Menge, die in höhnischer 
Weise über alles, was nach „Kunst“ schmeckt oder mit 
dem Wort zusammenhängt, aburtheilen, ohne zu füllen, dass 
sie damit der Wertschätzung ihres Standes doch erheb¬ 
lichen Schaden zufügen. Und gerade heute ist der Hand¬ 
werker imstande, seine Persönlichkeit in den Vorder¬ 
grund zu rücken, wenn er sich seine Position nicht selbst 
untergräbt! Erst in letzter Zeit ist es für das Publicum 
zum Bewusstsein gebracht worden, was eigentlich beim 
„Handwerk“ und „Kunst“ im Grunde genommen keine 
Gegensätze sind. 
Heute wird es jedem Handwerker deutlich genug 
gesagt, wenn er es nicht etwa selbst wusste, dass jeder, 
der nicht mechanisch nach einer Schablone arbeitet, der 
für eine Idee die richtige schöne Form selbst findet und 
darstellt, in gewissem Sinne ein Künstler ist. Anderer¬ 
seits sehen wir heute, dass sich jeder Künstler, der eine 
gewisse Bedeutung auf dem Gebiete der decorativen 
Kunst erlangen will, bemüht, zunächst ein Handwerker 
zu werden, das heisst die äussere Handhabung der 
Technik zu erlernen. Dadurch also, dass der Handwerker 
die Begriffe „Kunst“ und „Kunstgewerbe“ mit hämischer 
Geringschätzung behandelt, gibt er zu erkennen, dass er 
mit denselben nichts gemein haben will und setzt seinen 
Stand auf den des Sclaven, des todten Materials und 
der urtheilslosen Nachahmung herunter. Der Handwerker 
ohne den productiven künstlerischen Zug ist eben weiter 
nichts als eine zehnfingerige lebendige Arbeitskraft — 
eine lebendige Maschine. Der Handwerker muss sich 
über die Dampfkraft, über die Maschine erheben, sonst 
unterliegt er ihnen. Und zwar unterliegt er ihnen nicht 
bloss materiell, sondern auch dem Stande nach! Das 
klingt paradox, ist aber vollständig richtig. Die grosse 
Menge wird vor der hübschen, eleganten, gediegenen 
Maschinenarbeit stets mit höchster Bewunderung an die 
Maschine denken und alle Ehre widerfahren lassen. Die 
Arbeit des Handwerkers, der sich über jene nicht erhebt, 
findet kaum Beachtung und des Erzeugers wird über¬ 
haupt nicht gedacht. Er bleibt hinter der Maschine 
zurück. Der Handwerker, der seiner Arbeit nicht die 
eigene Individualität, den eigenen Geist und Willen auf¬ 
prägt, steht in seiner Arbeitsleistung nicht höher als die 
Maschine. Ja, er steht damit noch niedriger als die 
Maschine, weil sich in dieser der höchste Grad der 
Virtuosität, verkörpert. 
Es wäre also durchaus falsch und würde die Standes¬ 
ehre in beschämender Weise herunter würdigen, wenn 
der Handwerker sich bemühen würde, als Concurrent 
der Maschine aufzutreten oder wenn er sich zum Sclaven 
der Maschine gebrauchen Hesse. Das Handwerk muss 
die Maschine zu seinem Sclaven machen, es muss ihr 
die mühevolle, zeitraubende mechanische Arbeit über¬ 
lassen, die früher vom Handwerk selbst geleistet werden 
musste, und die durch diese Erleichterungen frei gewor¬ 
dener Kräfte zu höheren und künstlerischen Zwecken 
gebrauchen. 
Der moderne Handwerker darf also nicht dort an¬ 
fangen, wo auch die Maschine mit ihrer Arbeit anfängt, 
sondern erst dort, wo die Maschine nicht mehr weiter 
kann. Wo ihre Leistungsfähigkeit aufhört, fängt die 
frische, productive Arbeitskraft des Handwerkers erst an, 
treten der denkende Geist, der künstlerische Sinn, die 
kunstgeübte Hand wieder in ihre alten Rechte. Für die 
Arbeiten, die die Maschine verrichten kann, muss der 
Handwerker zu gut sein, er muss sich erhaben fühlen 
mit seinem Können, das vom Geiste geleistet wird, über 
jener. Der Handwerker soll als Herrscher über der 
Maschine stehen. Er muss sie möglichst ausnutzen für 
seine Zwecke, zur Arbeit aus dem Rohen, dann aber 
selbständig Weiterarbeiten. Also keine Schablonenarbeit, 
sondern auf tüchtigen Fachkenntnissen und künstlerischer 
Auffassung beruhende Arbeit für den Handwerker! Die 
Scheidewand zwischen Handwerksarbeit und künst¬ 
lerischer Leistung ist zum grössten Theil schon abge¬ 
brochen. Handwerk und Kunst sollen Hand in Hand 
gehen. So war es früher gewesen und was damals dem 
Handwerk seinen geachteten und hochangesehenen Stand 
gesichert hat, ist auch heute noch das einzige und 
richtige Mittel zur Hebung des Standes und des Standes¬ 
bewusstseins. Wir leben hierzu augenblicklich in der 
geeignetsten Zeit. An dem Handwerker selbst liegt es, 
diesen günstigen Zeitpunkt auszunützen. In den Zeiten 
der romanischen und gothischen Perioden und den Zeiten 
der Renaissance kannte man eine Kluft zwischen Hand¬ 
werk und Kunst nicht. Von jedem Zunftmeister wurde 
verlangt, dass er in seinem Handwerk das Beste und das 
künstlerisch Gediegenste leistete. Der Künstler bildete 
sich in der Werkstätte heraus; er lernte mit Eifer und 
suchte die bewundernswerte Geschicklichkeit und die 
künsrlerische Gestaltungskraft seines Meisters zu über¬ 
flügeln. Aus der Kunst sog das Handwerk beständig 
neue Kräfte und die Kunst selbst stieg aus der Werk¬ 
stätte empor. Daher kam es, dass die alten Meister zu 
den Trägern der Bildung gehörten. Daher auch ihr 
Selbstgefühl, ihr Bürgerstolz und ihre Macht den anderen 
Ständen gegenüber. 
Eine gewisse Selbständigkeit in den Arbeiten finden 
wir bei den Handwerkern noch bis zum Beginn dieses 
Jahrhunderts. Von da ab machte sich die blinde Nach- 
ahmungswuth immer breiter. Das grosse Publicum hatte 
kein Verständnis mehr für Kunst im Handwerk. Der 
Sinn für schöne Formen der Gebrauchs- und Luxus- 
gegenstände war fast ganz verloren gegangen. Die Liebe 
für den künstlerischen Schmuck des Heims hatte noch 
keinen Boden gefunden. Man wusste nicht einmal die 
schönen Arbeiten der Vorfahren zu würdigen. Die Schön¬ 
heit des classischen Alterthums wurde mit Pathos ge¬ 
feiert, eine andere Formenwelt hatte keine Berechtigung. 
Jene sollte bewundert werden, aber niemand sollte es 
wagen, eigene Gedanken in Arbeit umzusetzen. 
Der Handwerker sollte nur ordentlich sein Hand¬ 
werkzeug gebrauchen können und flink zur Hand sein, 
wenn man ihn gebrauchte. Der spiessbürgeiJiche Geist, 
die spiessbürgerliche Auffassung, die damals im Hand¬ 
werk durch die Gebildeten, die in ihrer idealen Welt 
des griechisch-römischen Alterthums lebten, mit hoch- 
müthigem Sinn grossgezogen wurden, sie blieben fest 
und bis auf unsere Tage im Handwerke sitzen. Wohl 
hat der Handwerker wieder Zeichen und Zeichnungen 
verstehen gelernt, wohl ist sein Formensinn geschult 
worden, wohl hat er verloren gegangene Techniken
	        
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