Volltext: VII. Jahrgang, 1902 (VII. JG., 1902)

Seite 108. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 13. 
die Gerufenen. Die Rufer wurden vereinzelnd Millionäre 
und die Gerufenen konnten abziehen mit leeren Taschen, 
oft mit zerrütteten Familienverhältnissen und mit zer¬ 
rüttetem Geiste. Es gibt keine Stadt und kaum ein Dorf 
in unserem Vaterlande, die nicht schwere Opfer der 
einstigen Gründungsperiode darbrächten. Diese Richtung, 
die fieberhaft um sich griff, die die ganze Anschauung 
über Erwerb und Besitz beeinflusste und durchdrang, 
die alle Schichten der Gesellschaft, von der standesherr¬ 
lichen an bis zum standeslosen Proletarier einnahm und 
blendete, diese Richtung nach Geld und Gold mittels 
der hundertfachen Verwertung dessen, was man einzu¬ 
setzen hatte, musste keiner Entwicklung feindlicher 
sein als dem technischen und soliden Gedeihen der 
Professionen. Alle geistigen und materiellen Bedin¬ 
gungen, welche die innere Ausbildung und die äussere 
fortschreitende Entfaltung einer Profession erfordern, 
wurden von der damaligen Zeitrichtung als nebensächlich 
hintangesetzt. 
Die Pflege der Gewerbe erfordert jedoch hingebenden 
Sinn; aber der Sinn stand manchen Leuten nach Erwerb, 
ohne Hingabe an die Sache, von der der Erwerb kommen 
sollte. Die Gewerbe erfordern Mühe und Mühung, ver¬ 
langen einen langsamen und sicheren Gang. Die Gewerbe 
sind die natürlichsten Feinde des Sprunges, sie sind das 
Huhn, das goldene Eier legt, das heisst, wenn man dem 
Huhn zum Hervorbringen Zeit lässt. Aber die frühere 
Zeit hasste den Gang und liebt den Sprung; sie wollte 
das Huhn schlachten, um die goldenen Eier sämmtlicli 
mit einemmale zu besitzen. Deshalb betheiligten sich 
auch viele Gewerbetreibende an den Gründungs-Specula- 
tionen und verloren dabei ihre jahrelangen Ersparnisse. 
Mancher Betrieb nahm durch: die damaligen Zeit¬ 
verhältnisse einen ins Grossartige gehenden Schwung 
an, aber der innere Trieb war bald erlahmt und der 
Schwung hat sich als Schein und Schaum erwiesen. 
At>er wie Alles, das nicht wahren Lebenskeim enthält, 
kein wirkliches Leben entfalten kann, sondern nur 
für kurze Zeit ein vergilbtes Scheinleben äussert, so 
ergieng es auch diesen durch Künstlichkeit upd Machina¬ 
tionen geschaffenen Zuständen. Sie brachen zusammen 
und an die Gesellschaft trat die Aufgabe heran, wieder 
fundamental aufzurichten, was bis in seine Grundfesten 
erschüttert war. Ein zwiefacher Sinn hat seit dem Grün¬ 
dungstaumel wieder angefangen, in die Professionen ein¬ 
zudringen: der Sinn für Arbeit und die Ueberzeugung, 
dass man nur durch Arbeit zu seinen gerechten An¬ 
sprüchen, Erwartungen und Hoffnungen gelangen könne. 
Der Arbeitgeberstand hat darauf Bedacht za nehmen, 
dass nicht die vage Speculation sich der Production be¬ 
diene, um ihr Spiel zu treiben: Blendwerk statt wahren 
Leistungen hinzustellen, um Täuschungen aus- und duroh- 
zuführen. 
Staub-Explosionen. 
(Von Kurt von W a 1 f e 1 d.) 
Die moderne Wissenschaft hat es auf den Staub 
abgesehen, sie stempelt ihn zu einem Bösewicht aller¬ 
ersten Ranges. Der Staub ist nicht nur ein gefährlicher 
Krankheitserreger, nein, er soll sogar jetzt noch explodier¬ 
bar sein und so mit einem jähen Schlag zahlreiche 
Menschen tödten können. Staub explodierbar, das wird 
vielen Lesern nicht einleuchten aber dennoch ist es so. 
Freilich muss es organischer Staub sein, wie Mehl, Holz 
oder Kohle; und dann muss dieser Staub fein vertheilt 
und mit der nöthigen Menge Luft gemischt sein. Der 
organische Staub spielt dann genau die Rolle wie Sumpf¬ 
gas, Wasserstoff- und Leuchtgas. Die genannten drei 
Gase brennen an sich ruhig und gefahrlos. Mischen sie 
sich aber mit der mehrfachen Menge ihres Volumens 
mit Luft, so entsteht ein explodierbares Gasgemenge. 
Das ist eine Thatsache, die seit Jahrzehnten bekannt ist. 
Es war den Feuerversicherungen der ganzen Welt 
bekannt, dass Kornmühlen leicht der Explosionsgefahr 
ausgesetzt sind, und sie nahmen dieselbe nur gegen be¬ 
sonders hohe Prämie in ihrer Versicherung auf. Man 
konnte sich keinen Grund denken, warum gerade die 
Mehlmühlen so sehr der Explosionsgefahr ausgesetzt 
sein sollten, aber die Thatsachen sprachen doch für die 
Versicherungs-Gesellschaften. Von Zeit zu Zeit ex¬ 
plodierten in jedem Erdtheile mehr oder weniger grosse 
Mehlmühlen und kein Mensch fand eine Erklärung dafür, 
wenigstens keine richtige. Bei vielen Fällen glaubte man 
auch eher an eine Brandstifung als an eine Staub¬ 
explosion. 
So wurde im Jahre 1875 in Frankreich ein Müller 
Berthier verurtheilt, obgleich der Verurtheilte bei Gott 
und allen Heiligen schwur, dass er unschuldig sei, dass 
die Mühle durch eine Explosion zerstört worden sei. Der 
Fall erregte Aufsehen und wurde in Pariser Blättern 
eingehend besprochen. So kam er auch zur Kenntnis 
Marcellin Berthelots. Dieser grosse Entdecker warf sich 
jetzt mit der ganzen Wucht seines Geistes auf die Er¬ 
scheinungen der sogenannten Staub-Explosionen. Sein 
Eifer wurde noch dadurch gesteigert, als sechs Monate 
spater die Nachricht durch die Zeitungen lief, dass die 
grössten Kornmühlen der Welt, die Washburnmühlen zu 
Minneapolis, durch eine Explosion zerstört worden seien. 
Bei dieser furchtbaren Explosion wurden 40 Menschen 
getödtet und ein Grundstück im Werte von fünf Millionen 
in wenigen Minuten zerstört. Ein Jahr später erklärte 
Berthelot vor der Pariser Akademie der Wissenschaft 
Folgendes: „Die Staub-Explosion ist nichts als eine 
äusserst schnelle Verbrennung. Eine innige Mischung 
von Luft und feinem organischen Staub kann einer 
Mischung von Luft und brennbaren Gasen gleichgestellt 
werden.“ Diese Behauptungen bewies Berthelot mit 
schlagenden Experimenten. Auf seine Veranlassung hin 
wurde der Fall Berthier nochmals verhandelt und der 
Müller wurde freigesprochen. 
Durch Berthelots Entdeckungen und Untersuchungen 
ist die ganze gebildete Welt aufgeklärt und gewarnt 
worden. Das Leuchtgas hat mit den Explosionen nichts 
zu thun; jede Flamme, eine Kerze, ein Fidibus kann 
das Gemenge von Luft und Staub entzünden. Berthelot 
wies bei seinen Erklärungen auf einen Fall hin, der sich 
im Jahre 1785 zu Turin ereignete. Ein Bäckergeselle 
arbeitete bei dem Licht einer einfachen Oellampe. Er 
rührte seinen Teig ganz in der Nähe einer FörderÖffnung 
durch welche das Mehl aus einem höheren Stockwerk 
in den im Keller gelegenen Backraum fiel. Bald hüllte 
den jungen Menschen eine Mehlstaubwolke ein, die sich 
nach einiger Zeit an der Oelflamme entzündete und eine 
gewaltige Explosion hervorrief. Der Geselle erlitt schwere 
Verletzungen und kam nur mit knapper Noth mit dem 
Leben davon. Berthelot betonte diesen Fall, der mehr 
als hundert Jahre zurücklag, ganz besonders, weil hier 
keine Gasflamme die Entzündung hervorgerufen hatte, 
sondern eine kleine, einfache Oellampe.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.