Volltext: VII. Jahrgang, 1902 (VII. JG., 1902)

Nr. 4. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEIT UNO 
Seite 27. 
den Gesetzen des Verkehrs entsprungen. Beachtet man 
ausserdem die Eigenthümlichkeiten der Terraingestaltung, 
so ' wird man in zwangloser Weise statt der starren 
geraden Linie oft geschwungene Linien wählen und 
dadurch dem Strassenbilde eine lebendigere, ab¬ 
wechslungsreichere Gestaltung verleihen können. Redner 
erläutert diese Grundsätze der Linienführung von 
Strassen an einer Reihe von Beispielen, so an dem von 
Goecke aufgestellten Bebauungsplan von Eisenach, an 
dem von Gerlach entworfenen Plane für einen Theil von 
Schöneberg, an seinem eigenen preisgekrönten Plane für 
die Bebauung des Löberfeldes bei Erfurt und an einer 
Reihe von Strassenanlagen in Halle, unter diesen be¬ 
sonders an der Strassenanlage im Nordgraben der 
Moritzburg. 
Wie schon gesagt, machte man früher die Strassen 
meist gleichmässig breit. Heutzutage fragt man sich bei 
der Aufstellung eines Bebauungsplanes zuerst, welchen 
Zwecken jede einzelne Strasse voraussichtlich zu dienen 
haben wird. Man unterscheidet da vornehmlich zwei 
Gruppen von . Strassen, nämlich die Geschäftsstrassen, 
auch Verkehrsstrassen genannt, und die Wohnstrassen. 
Die ersteren haben die Aufgabe, dem Verkehr zu 
dienen. Sie müssen also gerichtet sein, dass sie grössere 
Verkehrsmittelpunkte miteinander verbinden, stets eine 
Fortsetzung haben und sich niemals todtlaufen. Während 
man, wie schon gesagt, bei der Aufstellung eines Be¬ 
bauungsplanes für neue Stadttheile bezüglich der Geschäfts¬ 
strassen aus Verkehrsrücksichten meist auf vorhandene 
Wege angewiesen ist, hat man bei der Projeetierung der 
Wohnstrassen mehr-Freiheit. Man ist daher oft in der 
Lage, die Forderung der Hygieniker zu erfüllen, die 
darin besteht, dass die Strassen wegen der besseren 
gleichmassigen Belichtung durch die Sonne nicht den 
Haupthimmelsrichtungen folgen, sondern gegen diese 
um etwa 45°/0 geneigt sein sollen. Ebenso kann man es 
leicht erreichen, dass die Richtung der Strassen nicht 
mit der herrschenden Windrichtung zusammenfällt, wo¬ 
durch die Staubentwicklung beschränkt wird. Endlich 
gelingt es hiebei, oft ohne Schwierigkeit, die aus 
Schönheitsrücksichten aufgestellte Forderung zu be¬ 
rücksichtigen, die Strasse so zu legen, dass ein schöner 
Kirchthurm, ein Wasserthurm, ein Thorthurm oder ein 
sonstiges hervorragendes Bauwerk gerade in die 
Richtung der Strasse zu liegen kommt. Das spätere 
Strassenbild wird dann von diesem Bauwerke voll¬ 
kommen beherrscht, es erhält durch dasselbe sein 
besonderes, charakteristisches Gepräge. Nebenbei sei 
bemerkt, dass man besonders in Frankreich schon von 
jeher viel Gewicht auf einen solchen hübschen Ab¬ 
schluss der einzelnen Strassen gelegt hat. Ich will da¬ 
bei ganz von Paris und seinen gewaltigen Strassen- 
perspectiven absehen und nur erwähnen, dass es z. B. 
in Nancy, einer Stadt von 90.000 Einwohnern, nicht 
weniger als sieben Triumphbogen gibt, welche lediglich 
den Zweck haben, den Strassenbildern einen gewissen 
künstlerischen Abschluss zu geben. 
Man wird ferner da, wo man in der Lage und 
Richtung der Strasse weniger gebunden ist, auch 
leichter die Forderung der Schönheitslehre erfüllen 
können, dass zwischen Länge und Breite der Strasse 
ein gewisses harmonisches Verhältnis obwaltet. Von 
Stübben wird dies zu 30 : 1 angegeben. Vor Allem 
hüte man sich davor, dass die Strasse in einer 
Richtung zu lang geradeaus geht und ordne im ge¬ 
gebenen Augenblick eine Abschwenkung oder einen 
Knick an, letzteren etwa in Verbindung mit einer 
Platzanlage. 
Bei der Lage und Richtung der Strasse sind ferner 
noch möglichst zu berücksichtigen die vorhandenen 
Grundstücksgrenzen insofern, als man nicht ohne Noth 
die Strassen so anlegen wird, dass besondere Schwierig¬ 
keiten in der späteren Bebauung durch vorgelagerte un¬ 
bebaubare Chicanierstreifen und dergleichen für die 
einzelnen Grundbesitzer entstehen. 
Endlich ist von ganz besonderer Wichtigkeit die 
Eintheilung der Blöcke. Hiebei ist zuerst wiederum die 
Frage zu untersuchen, welche Art * von Bebauung die 
projectierten Strassen später voraussichtlich bekommen 
werden. Fabriken erfordern grössere Blocktiefen, die 
Nähe vorhandener Schienenwege oder die Möglichkeit 
der Anlage von solchen der Art, dass von den Höfen 
und nicht von der Strasse aus leicht einzelne Schienen¬ 
anschlüsse geschaffen werden können. Wohngebäude 
verlangen geringere Blocktiefen und zwar für die 
wohlhabendere Bevölkerungsclasse verhältnismässig 
grössere, für die ärmere Bevölkerungsclasse ver¬ 
hältnismässig geringere. Hierbei spricht auch wesentlich 
mit die für die betreffende Stadt gütige Bauordnung, 
namentlich dann, wenn diese, wie es für die meisten 
Städte als dringend erwünscht bezeichnet werden muss, 
eine abgestufte Bauordnung, d. h. eine solche, welche 
für die verschiedenen Stadtgegenden verschiedene Be¬ 
stimmungen über die bauliche Ausnutzung des Grundes 
und Bodens enthält. Unter vorsichtiger Benutzung dieser 
für einzelne Stadtgegenden verschiedenen Bestimmungen 
kann man schon durch Anordnung des Bebauungsplanes 
eine übermässige speculative Ausnutzung des Grundes 
und Bodens oft wirksam verhindern und dadurch zur 
Linderung der Wohnungsnot!! beitragen. Auf diese 
ebenso wichtige wie auch schwierige Frage hier näher 
einzugehen, muss -ich mir aus Mangel an Zeit indessen 
leider versagen; ich empfehle nur nochmals auf das 
Dringendste, dort, wo es noch nicht geschehen ist, den 
Mietern und den Besitzern der Einfamilienhäuser, also 
der bei weitem zahlreichsten Olasse der Stadtbevöikerung, 
die Segnung der abgestuften Bauordnung nicht länger 
vorzuenthalten. 
Da es nicht immer möglich sein wird, im Voraus zu 
sagen, welche Art von Bebauung dieser oder jener 
Bezirk der Stadterweiterung später erfahren wird, so 
thut man gut, beim Bebauungsplan im Wesentlichen nur 
die Hauptlinien, namentlich die unbedingt notliwendige 
Verkehrsstrasse von vornherein festzusetzen, im Uebrigen 
aber die weitere Untertheilung der Blöcke im Wesentlichen 
der Zukunft zu überlassen. Bei einem derartigen Ver¬ 
fahren ist man dann auch in der Lage, wenn die be¬ 
treffenden Grundstücksbesitzer wegen Erschliessung ge¬ 
wisser Gebiete der Stadterweiterung an die Stadtgemeinde 
herantreten, berechtigten Wünschen entgegenkommen zu 
können. Man erleichtert auf diese Weise die Bebauung, 
ohne dass die Gesammtheit Schaden erleidet, und ver¬ 
hindert unter Umständen das Auftreten einer Wohnungs- 
noth. Einen nach meinem Dafürhalten allgemein gütigen 
Satz möchte ich noch aussprechen, der dahin lautet, dass 
man die Baublöcke für Wohnhäuser, wo es irgend an¬ 
geht, nicht quadratisch, sondern rechteckig anlegt. Und 
zwar empfiehlt es sich, der Schmalseite des Recht¬ 
ecks die Länge von zwei mässigen Grundstüokstiefen zu 
geben, so dass nach den Bestimmungen der herrschenden
	        
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