Volltext: VI. Jahrgang, 1901 (VI. JG., 1901)

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OBEROSTERRE ICHISÜHE BAUZ EIT UN G. Nr. 10. 
Noch laufenden Jahres muss das Gebäude unter Dach 
gebracht werden, weshalb die Offertausschreibung für 
die Uebernahme der Bauarbeiten demnächst erfolgen 
dürfte. Wir werden auf die Herstellung des Baues noch 
Öfters zurückkommen. d. r. 
Ein Unfall infolge Berührung gerissener Tele¬ 
phondrähte mit der Contactleitung der elek¬ 
trischen Tramway. 
Am 4. Februar d. J. gegen Abend trat in Liverpool 
ein ungewöhnlich heftiger Schneefall ein. Bei dem Um¬ 
stande, als seit der Errichtung des elektrischen Bahn¬ 
netzes kein bemerkenswerter Schneefall verzeichnet 
werden konnte, waren die Fachkreise sehr gespannt, wie 
sich dieses System hiebei bewähren werde. Der Tram¬ 
waybetrieb blieb thatsächlich ohne nennenswerte Störung, 
obwohl die Wagen die ganz beträchtlichen Schneemassen, 
die sich an ihren Schutzrahmen auf häuften, vor sich her¬ 
schieben mussten. Dagegen verursachte das Reissen 
zahlreicher oberirdischer Telephondrähte eine vollständige 
Unterbrechung des Tramwaybetriebes in einigen wichtigen 
Strecken und gleichzeitig in der Nachbarschaft eine all¬ 
gemeine Stockung im Strassenverkehr. Der Schneesturm 
begann ungefähr um 6 Uhr abends; eine Stunde später 
brachen die die London Road und den Pembroke Place 
im rechten Winkel und mit sehr grossen Spannweiten 
kreuzenden Leitungsstränge infolge der ausserordentlichen 
Belastung nieder und fielen auf die Contactleitungen der 
elektrischen Bahn, in einer Gegend, wo gerade zu dieser 
Zeit gewöhnlich der stärkste Fussgängerverkehr herrscht. 
Einige Passanten verwickelten sich in den herabhängen¬ 
den Drähten und konnten erst nach langwierigen Be¬ 
mühungen aus ihrer gefährlichen Lage befreit werden, 
während einer der Betroffenen — ein gewisser F. W. 
Singleton aus Liverpool — vor Vollendung des Rettungs¬ 
werkes starb. Ausserdem wurde ein Fuhrmann, namens 
Thomas Hankey, in der Gill Street getödtet. Hankey 
wollte seinem infolge Berührung mit einem der stark¬ 
stromführenden Drähte zu Boden gestürzten Pferde Hilfe 
leisten, erhielt aber dabei gleichfalls einen elektrischen 
Schlag und verschied binnen wenigen Minuten. Im 
ganzen wurden bei diesem Unfälle 2 Personen und 
3 Pferde getödtet, 16 Personen mehr oder weniger er¬ 
heblich verletzt. Das Hin- und Herzerren der gerissenen 
Drähte auf der Starkstromleitung führte zeitweise leb¬ 
hafte Funkenbildungen herbei, welche nicht wenig zur 
Bestürzung des versammelten Publicums und zum 
Schrecken der in den Drähten gefangenen Opfer bei¬ 
trugen. Der Generaldirector der Trambahn, Mr. Bellamy, 
und der Verkehrschef dieser Gesellschaft erschienen als¬ 
bald mit Hilfskräften auf dem Schauplatze und veran- 
lassten die Unterbrechung des Betriebsstromes. 
Mr. Hidden, der Director der National Telephone 
Company in Liverpool, schreibt den beklagenswerten 
Unfall lediglich der abnormen Belastung durch Schnee 
zu, infolge dessen auch in anderen Stadttheilen zahl¬ 
reiche Gestränge zusammengebrochen sein sollen; u. A. 
ist auch in Lodge Lane, D/2 Meilen von der Unfallsstätte 
entfernt, ein Strang von 20—30 Telephondrähten gerissen, 
glücklicherweise ohne irgend welchen Schaden anzu¬ 
richten. Nebenbei bemerkt sind die Arbeiten, das Tele¬ 
phonleitungsnetz in Liverpool, namentlich dort, wo 
Contactleitungen gekreuzt werden, unterirdisch zu ver¬ 
legen, bereits im Zuge, nur erfordert deren Vollendung 
noch sehr geraume Zeit. In Liverpool, sowie im weitesten 
Masse, wenn nicht ausschliesslich, in Leeds sind bei den 
Kreuzungsstellen hölzerne Schutzleisten an den Trolley¬ 
drähten befestigt, was gewiss das billigste Mittel zur 
Verhütung der gefährlichen Collisionen genannt werden 
muss und bisher scheinbar mit Recht als nicht gerade 
das schlechteste galt. 
Die bei der geschilderten Katastrophe in Liverpool 
gemachten traurigen Erfahrungen beweisen jedoch die 
unzulängliche Wirkung der genannten Schutzvorrichtung, 
umsomehr, als dies nicht der erste Unfall in diesem 
Lande ist, der dem Systeme der Holzleisten zuzu¬ 
schreiben ist. 
Die Wirksamkeit der Schutzleisten hängt von folgen¬ 
den Voraussetzungen ab: 
1. Die Isolation des Holzes muss bei jeder Witterung 
eine, genügende bleiben; 
2. die gerissenen Schwachstromdrähte müssen auf 
den Holzleisten aufliegen, ohne den Trolleydraht zu be¬ 
rühren ; 
3. die frei herabhängenden Drähte müssen unter allen 
Umständen in dieser Lage verbleiben. 
Aber (1.) während eines Schneesturmes dürfte die 
Isolation der Leisten nur höchst mangelhaft sein; 
(2.) dünne Broncedrähte haben bekanntlich die Eigen¬ 
schaft, sich aufzurollen, und können dadurch unter der 
Holzleiste mit dein Starkstromdrahte in Berührung 
kommen, und (3.) ist es physisch unmöglich zu ver¬ 
hindern, dass Personen und Thiere die auf der Strasse 
liegenden Drähte berühren und zum Contact mit der 
Trolleyleitung bringen. Es erscheint kaum zweifelhaft, 
dass in Liverpool die gefahrbringende Berührung 
zwischen den Drähten nur auf die letztgenannte Art 
zustande gekommen ist und ist diese Erfahrung keines¬ 
wegs neu; ähnliches ist schon früher in Liverpool und 
in Leeds vorgekommen und auch auf dem Continente 
ereigneten sich in jenen Anlagen, wo Schutzleisten im 
Gebrauche stehen, mehr oder weniger ernste Unglücksfälle. 
In Amerika sind tödtliche Verletzungen so häufig, 
dass sich ein allgemeines Verlangen nach Untergrund¬ 
systemen geltend macht, wobei freilich zugegeben werden 
muss, dass dort nicht einmal hölzerne Schutzleisten an¬ 
gebracht werden. Es ist ausser Frage, dass, wenn die 
Tramway-Ingenieure das Trolleysystem nicht in Miss- 
credit bringen wollen, die Holzleisten bald durch ein 
besseres Schutzmittel ersetzt werden müssen, und wahr¬ 
scheinlich hätten sich die Fatalitäten in Liverpool durch 
Anbringen wirksamer Schutzdrähte vermeiden lassen. 
Die Einwendungen, die seitens der Tramwayvertreter 
gegen die Verwendung von Schutzdrähten erhoben 
werden, beziehen sich theils auf die Kosten, theils auf 
die damit verbundene Verunstaltung des Strassenbildes. 
Die Kosten der Anbringung von Schutzdrähten an den 
Kreuzungsstellen betragen jedoch nur wenige Procente 
von den Gesammtkösten einer elektrischen Bahninstalla¬ 
tion und schliesslich sind alle Einwendungen gegenstands¬ 
los, sobald es sich um den Schutz des Lebens handelt. 
Das jetzt von massgebenden Fachleuten befürwortete 
System der Schutzdrähte besteht in Folgendem: 
Wenn die Contactleitungen nicht mehr als 30 Oenti- 
meter von einander entfernt sind, werden zwei, bei einer 
Entfernung der Trolleydrähte von 30—90 Centimeter drei 
und bei grösserer Entfernung vier Schutzdrähte ange¬ 
ordnet. Die Drähte sollen'von hoher Leistungsfähigkeit 
und Festigkeit sein, müssen mindestens 60 Centimeter
	        
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