Volltext: VI. Jahrgang, 1901 (VI. JG., 1901)

Seite 178. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 23. 
Entwurf II ist auch der häufige Fall vorgesehen, dass 
die einem Unternehmer übertragene Herstellung eines 
Bauwerkes an andere, als „Nachmänner“ bezeichnete 
Unternehmer weiter übertragen ist, und ihre Eigenschaft 
als Baugläubiger festgestellt, wobei diese „mittelbaren6 
Bauforderungen natürlich nicht den Betrag der even¬ 
tuellen Forderungen des unmittelbaren Vormannes über¬ 
schreiten dürfen. Der Eigenthümer hat vor dem Beginn 
des Baues dem Grundbuchsamt eine Erklärung einzu- 
reichen, aus welcher ersichtlich sind: 1. die Personen 
der als Baugläubiger anzusehenden Unternehmer des 
Bauwerkes, 2. der Betrag, der jedem Unternehmer zu 
zahlenden Vergütung, 3. die Fristen, in denen die Ver¬ 
gütung zu zahlen ist. Diese Erklärungen sind von dem 
Eigenthümer zu unterzeichnen. Schriftliche Verträge 
können in Ur- und Abschrift eingereicht werden. Wenn 
der Eigenthümer diese Verpflichtungen nicht erfüllt, so 
ist er jedem Betheiligten zum Ersätze des daraus ent¬ 
standenen Schadens verpflichtet. Es ist klar, dass dem 
Baugläubiger eine Bauforderung nur insoweit zustehen 
kann, als seine Leistungen in dem Bau verwendet sind, 
und dass, falls diese Verwendung nicht vollständig er¬ 
folgt ist, die vereinbarte Vergütung in dem Verhältnisse 
herabzusetzen ist, in welchem bei dem Abschluss des 
Vertrages der Wert der vereinbarten Leistung zu dem 
Werte der in dem Bau verwendetem Leistung gestanden 
haben würde. Wenn die vereinbarte Leistung die übliche 
Vergütung offenbar in erheblichem Masse übersteigt, so 
kann jeder Betheiligte verlangen, dass bei der Berechnung 
der Ansprüche aus der Bauhypothek an Stelle des ver¬ 
einbarten der übliche Preis zugrundegelegt wird. Die 
den Entwürfen beigegebene Begründung, sowie die 
Uebe.rsicht der zu dem früheren Entwürfe ergangenen 
Aeussemngen lassen erkennen, dass eine sehr sorgfältige 
Vorbereitung stattgefunden hat. L. S. 
Bäder und Heilstätte'nbauten. 
VI. 
Der ausserordentliche Erfolg, den die Einrichtung 
der Seebäder in England fand, spornte die Länder des 
europäischen Festlandes, zur Nachahmung an. In erster 
Reihe war es das gegenüberliegende Belgien, dessen 
flache Ufer besonders für diese Zwecke geeignet er¬ 
schienen. An dem Aermelcanal und der Nordsee, an 
der meist wellenbewegten Meeresküste gelegen, war hier 
alles vereint, um zu errichtenden Seebädern eine glän¬ 
zende Zukunft zu sichern. Bekanntlich fehlt es in dem 
industriereichen Belgien, welches verhältnismässig das 
grösste Eisenbahnnetz besitzt, nicht an Unternehmungs¬ 
geist. Hat doch Belgien stets auch für Unternehmungen 
im Auslande Capital, besitzen wir auch in Oesterreich 
eine grosse Zahl von belgischen Actiengesellschaften für 
Verkehrs- und industrielle Zwecke. 
So entstand Ostende a. d. Nordsee, heute das meist- 
besuclite Vergnügungs- und Seebad Europas, das von 
den besten Gesellschaftskreisen besucht wird. Ostende 
bietet heute auch alles, selbst für den besten Kenner 
frohen Lebensgenusses. Ein flüchtiger Gang durch die 
hochmoderne Stadt mit ihren vornehmen Hotels und 
Villen belehrt uns, dass das. einstige Fischerdorf zu den 
ersten Luxusbädern der Welt emporgeschnellt ist und 
heute eine ständige Bevölkerung von beinahe 30.000 
Personen besitzt. Auch als Seehafen hat die Badestadt 
Bedeutung gewonnen, namentlich für die Ueberfahrt 
nach England, da die Linie Ostende—Dover neben Calais 
—Dover die kürzeste Projectstrecke ist und die Ueber¬ 
fahrt bei selten ruhiger See nur fünf bis sechs Stunden 
währt. 
Kommt man zu Lande oder zur See nach Ostende, so 
fällt der erste Blick auf die hochragenden Gebäude der 
Badeetablissements, deren eigentümlicher, ganz originaler 
Stil als mustergiltig für derartige Bauten zu bezeichnen 
ist. Trotz der grossen Abmessungen und Höhe des Haupt¬ 
gebäudes bietet das in seinen Einzelnheiten graziöse Bau¬ 
werk mit seinen mächtigen Rundbogenfenstern, welche 
eine Fülle von Licht in die hohen Räume werfen, eine 
staunenswerte Gesammtwirkung. Die wirkungsvollsten 
und besten Baumaterialien Porphyr und Marmor, Eisen 
und bunte Verblender wurden hier verwendet und durch 
richtige Verwendung zu einem farbenreichen Fagaden- 
werk geeint. Sind doch auch die grossen Spiegelscheiben 
Reflectoren für die Sonnenstrahlen und erglühen des 
Morgens und Abends im funkelnden Roth in seltener 
Schönheit, und lassen die Massen der Gebäude in einer 
feenhaften Beleuchtung erstrahlen. Auch die Innen- 
decoration der zahlreichen Säle, Speise-, Lese- und Spiel¬ 
zimmer ist mit einem vornehmen Luxus ausgeführt, der 
alle ähnlichen Ausführungen in anderen Bädern und 
Casinos in den Schatten stellt. Die Actiengesellschaft, 
welche die Bäder und das Spielhaus betreibt, hat ersicht¬ 
lich keine Kosten gescheut, um der vornehmen Welt 
oder jenen, die sich hiezu zählen wollen, eine Anstalt 
zu bieten, deren Architektur in Europa mit Ausnahme 
der landschaftlich herrfich gelegenen Spielhöhle Monte 
Carlo unerreicht ist und keine annähernd gleichwertige, 
im Stile der Hochrennaissance besitzt. 
Ostende ist das Seebad der Lebewelt aus Frank¬ 
reich, England, Amerika, Russland. Mersch windend gering 
ist die Zahl der Oesterreich-Ungarn und der Deutschen. 
Da Französisch die Umgangssprache in Ostende ist, so 
ist die Zahl der Franzosen, namentlich der Pariser, über¬ 
wiegend. Man findet hier dieselbe Gesellschaft im Hoch¬ 
sommer, die den Winter in Nizza verbringt, all die grosse 
Welt, doch auch viel falschen Hermelin und Glücks¬ 
jägerthum. Der Ort gewinnt noch durch den Umstand’ 
dass Ostende der Sommeraufenthalt der königlichen 
Familie ist und der König, der sehr gesellige Freuden 
liebt, häufig an Festen und Veranstaltungen theilnimmt. 
In geringer Entfernung von Ostende liegt, man könnte 
sagen als Filiale, das Seebad Blankenberghe mit 5000 
Einwohnern. Gleichfalls ein kleiner Hafen, hat es sich 
auch in ein Seebad umgewandelt, dass jedoch ein viel 
beschaulicheres Leben' bietet, da dort die Gesellschaft 
viel anspruchsloser ist. Blankenberghe hat keine rau¬ 
schenden Feste, nicht eitel Lust und Freude, sondern 
Ruhe und Behaglichkeit, dabei ist es um die Hälfte 
billiger und wird von einem bescheidenen Publicum be¬ 
sucht. Auch die Architektur ist einfach und solid, ent¬ 
sprechend den behäbigen Badebesuchern, zumeist Hol¬ 
ländern und Belgiern. 
Unter den See- und Unterhaltungsbädern steht den 
vorigen Trouville in Frankreich im Departement Calvados 
am Aermelcanal am nächsten. Trouville, einst ein kleiner 
Seehafen mit einer ständigen Bevölkernng von 4000 
Seelen, wird heute Klein-Paris genannt, da ein grosser 
Theil der Pariser „beau monde“ dortselbst den Hoch¬ 
sommer verbringt. Die Etablissements sind in der vor¬ 
nehmen französischen Renaissance ausgeführt, weitläufig, 
jedoch noch immer von jener Intimität, die wenig Archi¬
	        
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