Volltext: V. Jahrgang, 1900 (V. JG., 1900)

Nr. 1. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 3. 
Trauergerüstes mit freiem Umgänge um dasselbe, sowie 
für die beiderseits anzubringenden Sitzbänke etwas wenig 
wäre, so wurde vorgeschlagen, die Kapellen im Innern 
so viel wie möglich weiter zu machen, welches auch, 
ohne von der ursprünglichen Form abzuweichen möglich 
war. Die innere Weite wird daher 8‘01 Meter betragen. 
Dadurch werden die Kapellen neben dem mächtigen 
Thurme auch im Aeusseren etwas imposanter erscheinen. 
Durch diese Erweiterung wurde es nöthig, die schon im 
Jahre 1886 gelegten Fundamente zu ergänzen. Dieselben 
bleiben intact und wird von aussen um dieselbe herum 
das neue Fundament in Bruchsteinen ausgemauert. 
Neben den Kapellen, sich an das Seitenschiff an¬ 
lehnend, werden kleine Sacristeien angebaut, welche 
jedoch nur bis zum Anfänge der Seitenschiffenster empor¬ 
reichen werden. Diese Anbauten mussten ganz neu funda- 
mentiert werden. Die Ausführung dieser Fundament¬ 
arbeiten wurden von der Oberösterreichischen Baugesell¬ 
schaft übernommen und am 6. October angefangen. Das 
überaus günstige Wetter liess diese Arbeiten sehr rasch 
fortschreiten, so dass die neue Fundamentierung Ende 
November fertig wurde. 
Sobald die Versetzarbeiten am Thurme eingestellt 
sind, wird der Aufbau des Herz Mariä-Altars, zu welchem 
bereits alle Theile von dem Marmorwerk Oberalm geliefert 
sind, in Angriff genommen.“ 
Im Inneren ist vollendet worden der heilige Geist¬ 
oder Apostel-Altar. Der Unterbau des Herz Mariä-Altares 
ist bereits versetzt und wird auch der Oberbau heuer 
noch vollendet werden. Für den Altar der schmerzhaften 
Mutter Gottes und des heiligen Franz Salesius sind bereits 
die Einleitungen getroffen, dass deren Vollendung im 
Jahre 1900 in sicherer Aussicht steht. 
Am Hochaltäre wurden im Jahre 1899 der Marmor¬ 
aufsatz (Retable) vollendet. An der Vorderseite sind vier 
Geheimnisse des schmerzhaften Rosenkranzes in Mosaik¬ 
bildern dargestellt (das fünfte Geheimnis enthält das 
Altarkreuz selbst). Auf der Rückseite erscheinen auf den 
Breitflächen die Bilder der Kreuzabnahme und Grab¬ 
legung, in der Mitte in kostbarer Metallrahme der auf¬ 
erstandene Heiland in Mosaik. Eine zierliche Metallgallerie 
krönt das Gesimse. Im Jahre 1900 wird auch der gross¬ 
artige Oiborienbau über dem Hochaltäre, der bereits 
grösstentheils vollendet ist, zur Aufstellung kommen; 
ebenso das hohe Eisengitter um den Hochaltar herum. 
Weiters wird auch an die Beschaffung einer geziemenden 
Sacristei-Einrichtung und eines Theiles der Chor Stühle 
geschritten, so dass Ende des Jahres 1901, wo mit Gottes 
Hilfe der Thurm zur Vollendung kommt, auch das Innere 
des fertigen Theiles der Kirche in seiner vollen Aus¬ 
stattung sich zeigen wird. 
Wie lange werden unsere Häuser stehen 
und wie wird Wien in hundert Jahren aus- 
sehen? 
Sicherlich haben viele diese Frage schon an sich 
gestellt, man möchte doch gern die Zukunft lüften und 
das Kommende schon jetzt erfahren. Nun, so schreibt 
hierüber die „National-Zeitung“, unsere grossen Kirchen- 
und Monumentalbauten werden in hundert Jahren noch 
stehen, aber ein grosser Theil unserer Wohnhäuser dürfte 
verschwunden sein und anderen Wohnbauten Platz ge¬ 
macht haben. Kirchen- und Monumentalbauten sind aus 
guten, um nicht zu sagen aus den besten Materialien 
errichtet und sie bieten mithin Gewähr, dass sie Jahr¬ 
hunderte überdauern und für den Stil unserer Tage 
Zeugnis ablegen. Denn Stil steckt in ihnen, mag auch 
vielfach die Ansicht vertreten sein, als habe unsere Zeit 
überhaupt keinen Stil. Jedes Menschenwerk hat seinen 
Stil — unbewusst legt der Verfertiger etwas von der 
Eigenart seiner Zeit hinein und die kommenden Ge¬ 
schlechter werden dieses Eigenartige klar erkennen und 
als das stilistische Charakteristiken unserer Tage und 
unserer Kunst bezeichnen. Mögen wir jetzt den romanischen 
und gothischen Stil, den italienischen, französischen oder 
deutschen Renaissancestil, den Barock oder das Rococo 
oder das Empire nachahmen, immer wird doch etwas 
Selbständiges in diesen scheinbaren Imitationen der 
architektonischen Formen zum Ausdruck kommen, be¬ 
dingt durch die Lebensgewohnheiten, Anforderungen und 
künstlerische Auffassung unserer Zeit. 
Zweihundert Jahre kann man unseren Monumental¬ 
bauten mindestens zuerkennen — Gebäuden, die, wie der 
Reichsrathsbau, mit höchster Sorgfalt und in ausgewähl¬ 
testem Materiale errichtet sind, sogar vierhundert Jahre 
und mehr, sofern ihre Unterhaltung nicht vernachlässigt 
wird. Aber unseren Mietshäusern sind besten Falls nur 
hundert Jahre, den Speculationsbauten kaum neunzig 
Jahre zuzuerkennen. Wer die Entwicklung Wiens seit 1866 
verfolgt hat, wird sogar finden, dass viele Wohnhäuser, 
die seit jener Zeit erbaut wurden, wieder niedergerissen 
sind, weil sie schon nach fünfundzwanzig oder dreissig 
Jahren Reparaturkosten und Zinsen verschlangen, die zu 
dem Ertrage des Hauses in keinem richtigen Verhältnisse 
mehr standen, und weil sie den modernen Anforderungen 
nicht mehr genügten. 
Die moderne Welt ist anspruchsvoller geworden — 
Bade-Einrichtungen, ordentliche Mädchenstuben, helle 
Nebenräume, elektrische Beleuchtung, Aufzüge u. s. w. 
werden verlangt und der Vermieter, der in seinem Hause 
solche moderne Einrichtungen und Wohlthaten nicht 
bieten kann, ist schlimm daran. Und die starke Abnutzung 
im Innern der Mietshäuser. Wenn ein Dutzend Familien 
in einem Hause wohnt; wenn alle drei Jahre gezogen 
wird, wenn sich gar im Erdgeschosse und im ersten Stock¬ 
werke Läden und Geschäftslocale befinden, dann ist es 
mit der langen Dauer des Hauses vorbei. Es muss ein 
Mietshaus in sehr guter Qualität ausgeführt und bezüglich 
seiner Bewohner vom Glück begünstigt sein, falls es 
hundertundfünfzig Jahre stehen soll. 
Und nun gar die Villen in den Vorstädten. Bei ihnen 
greift das Individuelle noch mehr, als beim Wohnhause 
in den Wiener Strassen, Platz, denn dort sind entscheidend 
die Lage und der Geschmack des Besitzers. Völlig freie 
Lage ist nachtheiliger, als eine geschlossene und zusammen¬ 
hängende mit anderen Villenbauten. Fachwerk mit vielen 
verzierten Holzgiebeln, Spitzen, Thürmen, Baikonen, 
Erkern, Veranden und Pergolen ist keine Ausführung, 
die da draussen, wo der Schlagregen gegen das Häuschen 
peitscht, lange Lebensdauer verspricht. Wenn solche 
Bauten sechzig Jahre stehen, dann können sie sehr wahr¬ 
scheinlich ihr altersgraues Haupt zur Ruhe legen. Gewiss, 
auch da draussen in der Umgebung Wiens wird die 
Physiognomie nach sechzig Jahren eine andere sein, ob 
noch so villenartig, lustig und freudig, wie jetzt, mag 
dahingestellt sein. Berger.
	        
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