Volltext: V. Jahrgang, 1900 (V. JG., 1900)

ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 19. 
Nr.#3. 
Der Planbefund von Alt-Wien zeigt noch einen grossen 
hygienischen Vorzug in ähnlicher Weise, nämlich zahl¬ 
reiche Blockbauten, in deren Innenraum die gemein¬ 
schaftlichen Gärten zusammengelegt sind. Die Bewohner 
solcher Häuser haben stets den erfrischenden Blick ins 
Grüne, und eine inmitten von all dem Staub und Gestank 
erstaunlich gute Luft. Der Fremde nimmt äusserlich diese 
gesunden Quartiere nicht wahr, von denen bisher an 
80 Procent in der Wiener Altstadt bestanden haben. Aber 
mehr und mehr fallen diese Gärten der Speculation, der 
Geldgier zum Opfer. Leider taugen in dieser Richtung 
alle unsere Bauordnungen nicht viel und so kann es 
kommen, dass man in Oesterreich gegenwärtig Häuser- 
complexe bauen darf, die nur 16 Procent Gesammthof 
haben. Auf die Einzelhöfe sollen daran allerdings min¬ 
destens 8 Procent entfallen. Es entstehen dann eine Reihe 
enger Lichtschächte, in welche die Fenster der Dienst¬ 
botenkammern und der Aborte ausmünden. Man muss 
unsere Dienstboten bewundern und bedauern, dass sie 
aus solchen Quellen sich Erholung schöpfen können oder 
müssen. Hier kann übrigens der Städtebauer erfolgreich 
ein setzen, indem er in der Planierung neuer Bau viertel 
die Strassen so anlegt — nicht unter 82 Meter und nicht 
über 43 Meter Breite, — dass bei den Häuserblocks 
grössere Hofräume herauskommen müssen, wie dies 
Redner in Olmütz glatt erreicht hat. 
Der Städtebauer darf überhaupt nicht bloss mit dem 
Lineal arbeiten, er hat viele Umstände zu berücksichtigen, 
vor allem die von der Natur gegebenen, Flussläufe, Wind¬ 
richtungen, Terrainverhältnisse, dann die Eigenthums¬ 
grenzen, die voraussichtliche Entwicklung der Stadt etc. 
Wie der gute Architekt beim Baue eines Hauses genau 
vorher berechnet, welche Räume Speise- oder Schlaf¬ 
zimmer sein sollen, und nicht der Partei die Wahl über¬ 
lässt, hat der Städtebauer auch mit den Häuser-Silhouetten 
zu operieren, und auf die Art der Bewohner Rücksicht 
zu nehmen. 
Redner hob hervor, wie er sich auf Grund mühevoller 
Vergleichungen ein Block-Schema für 6 Typen, näm¬ 
lich für Zinsparteien mit etwa 100 Mark jährlich, mit 150, 
300 Mark u. s. w. bis zur 6. Kategorie mit über 2000 Mark 
Jahresmiete geschaffen habe. Redner stellte dabei fest, 
dass nach statistischen Ziffern, die er sich, soweit dies 
einem Privaten möglich, verschaffte, wohl in ganz Europa 
die Zahl der Mietwohner, welche die höchsten, über 2000 
und 3000 Mark betragenden Mieten bezahlt, nur etwa 
1 Procent ausmacht, während für den niedersten Zinssatz 
30 bis 33 Procent in Betracht kommen. 
Eine im Jahre 1890 in Berlin anlässlich des Jubiläums 
der Stadtbahn erschienene Festschrift gibt über dieses 
Capitel interessante Aufschlüsse. Im Jahre 1860 machten 
die in billigster Miete Wohnenden 33 Procent aus, während 
die Gesammtsuinme der Mieten über 2000 Mark etwa 
4x/2 Millionen betrug. Bis zum Jahre 1890 war der vor¬ 
genannte Procentsatz auf 7 gesunken, die Summe der 
hohen Mieten auf 97 Millionen gestiegen, dabei betrug 
1860 die Kopfzahl in den billigsten Wohnungen IU/2 — 
in Wirklichkeit bis zu 17 und 19 Köpfen — 1090 nur 
mehr 5 Köpfe. Das ist ein Fortschritt des Nationalwohl¬ 
standes und eine Gesundung hygienischer Verhältnisse, 
wie sie wohl in der ganzen Welt beispiellos dasteht. 
Sitte erklärte auch, dass es bei Neuschaffung von 
Arbeiterwohnungen eine sittliche "und sociale For¬ 
derung sei, $ass jede solche Wohnung mindestens drei 
Piecen haben müsse, damit das getrennte Schlafen der 
Ehegatten von den Kindern, beziehungsweise der männ¬ 
lichen und weiblichen Familienmitglieder ermöglicht sei 
— ohne dem müsse das Familienglück, die Erziehung der 
Kinder schwer leiden. 
Unter anderem besprach Redner die Markthallen¬ 
frage, die jetzt in ganz Europa brennend geworden, sei. 
Bisher waren die Marktweiber unter offenen Ständen, 
das passte ihnen sehr gut und war auch sehr malerisch, 
aber, das moderne Europa kann nicht mehr mit ansehen, 
dass es die Marktfrauen friert und dass Staubwolken von 
der Strasse über ihre Producte hinziehen, was ja von der 
hygienischen Seite gewiss seine Bedenken hat. Man hat 
darum zu dem Systeme der Markthallen gegriffen, aber 
damit nichts Wünschenswertes erreicht; nachdem alle 
die zum Markte gebrachten Producte einen sehr hohen 
Procentsatz an Wasser haben, das verdunstet, so ent¬ 
wickelt sich in den Markthallen ein Gerüchechaos, gegen 
das auch die stärkste Ventilation machtlos ist. In der 
Markthalle riecht „alles nach allem“, ein Nachtheil, zu 
dem sich noch der gesellt, dass durch die theueren Platz¬ 
mieten eben auch die Preise der Artikel erhöht werden. 
Auch hier schlägt Redner vor, in dem inneren quadratischen 
Raum grosser Häuserblocks Markthallen in der Weise 
anzubringen, dass anlehnend an die Häuser eine gedeckte 
Halle geschaffen würde, ähnlich wie sie bei Bahnhöfen 
verwendet werden, nnd dass in das Erdgeschoss der be¬ 
treffenden Häuser Läden für jene Geschäfte und Betriebe 
eingerichtet würden, denen verschliessbare Räume von- 
nöthen sind. Die sogenannten fliegenden Stände hätten 
in der, als Wandelgang benutzbaren, Vorhalle Platz. Auf 
dem grossen freien Platze in der Mitte wäre dann ein 
Brunnenbassin zum Tränken der Thiere, zum Waschen 
der Gemüse und eine kleine Anlage einzurichten. Die 
Einfahrt in das Quadrat könnte durch einen grossen 
Thorbogen mit einer breiten Passage für Fuhrwerk, und 
breiten Durchgängen für Fussgänger erfolgen, im ersten 
Stocke dieses Portikus könnte man gleich das Markt- 
commissariat unterbringen. In der Form denkt sich Redner 
einen derartigen Markt einem römischen Atrium ähnlich. 
Allerdings hat die Durchführung eines solchen Projectes 
nicht zu unterschätzende finanzielle Schwierigkeiten. Ent¬ 
weder müsste man auf die betreffenden Häuser Servitute 
legen, damit sie immer ihrer Bestimmung erhalten bleiben 
oder es müssen die Städteverwaltungen selbst solche 
Häuserkränze bauen. Der Redner schlug für Olmütz zuerst 
eine solche Marktanlage vor, man fand sie sehr hübsch, 
getraute sich aber nicht, sie zu machen, denn die Sache sei 
„zu neu“. Dagegen wird ein derartiges Project Sittes in 
Mährisch-Ostrau in einigen Jahren zur Ausführung kommen. 
Es würde natürlich viel zu weit führen, bemerkt die 
„Deutsche Bauhütte“, alle die interessanten Mittheilungen, 
die Sitte brachte, wiederzugeben. Nur Einiges sei'noch 
erwähnt. Die, Aufnahme grosser Häuserblöcke in neue 
Lagepläne hält Redner auch deshalb für sehr angezeigt, 
weil sie sich sehr leicht aufscliliessen und in einzelne 
Parcellen zerschneiden lassen. 
Die Entwicklung der meisten Städte zeigt, dass sie 
schalenförmig ansetzen, und zwar in der Weise, dass; 
Bahnhofsanlagen,' Industriestätten, Lagerplätze u. s. w. 
immer in einer Breite-Entwicklung sich als Sperrklötze 
für die weitere Ausdehnung der Stadt erweisen, während 
die Bahnlinien pfeilförmig in die Stadt dringen sollen — 
wie dies z. B. beim Münchener Oentralbahnhofe der Fall 
— und ebenso Stadtparke, grosse Gebäudeanlagen als 
Längskeile in die Stadt sich schieben lassen.
	        
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