Volltext: V. Jahrgang, 1900 (V. JG., 1900)

Seite 18. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEIT CRC. 
Nr. 8. 
Herzog Friedrich II. der Streitbare hatte im Jahre 
1242 als Eigenthümer der Herrschaft Wachsenberg die 
Pfarre Gramastetten an das Stift Wilhering geschenkt 
und damit gelangten auch die Filialen Ottensheim, Ober- 
weissenbach, Leonfelden, Zwettl und Oberneukirchen, die 
alle damals noch der Hauptpfarre Gramastetten gehörig, 
in Besitz des Klosters Wilhering. 
Im Jahre 1526 erscheint Oberneukirchen schon als 
selbständige Pfarre, deren Kirche um 1509 gebaut wurde. 
Mit Ausnahme kleiner stylloser .Anbauten, wie die 
Vorhalle beim südlichen Hauptportal, der Emporen-Auf¬ 
gang auf der Westseite, die Sacristei an der Südseite 
und die Capelle nebst der Emporenstiege an der Nord¬ 
seite ist dieser Bau im ursprünglichen Zustande bis heute 
geblieben. An der Nordseite wurden die Fenster im Schiff 
modernisiert und in diese Wand auch andere Oeffnungen 
gebrochen. Das Glockenhaus wurde ebenfalls aufgebaut 
und der Thurmhelm mit seinen hässlichen Giebeln 
und unförmlichem Kreuz erneuert. Die bis zum ersten 
Schiffspfeiler vorgebaute hölzerne Empore verunstaltet 
den Schiffsraum durch seine dominierende Ausdehnung 
und Gestalt. Schon seit vielen Jahren wird vom Kirchen¬ 
neubau in Oberneukirchen gesprochen, da man allgemein 
der Ansicht war, dass aus der alten Kirche nichts mehr 
zu retten sei. 
Im Vorjahre gab der hochwürdige Herr Abt von 
Wilhering dem Civil-Architekten Herrn Raimund Jeb- 
linger in Linz den Auftrag, für Oberneukirchen eine 
neue Kirche zu entwerfen, die mindestens für tausend 
Sitze Platz haben soll. Da nun aber einer grösser ange¬ 
legten neuen Kirche örtliche Hindernisse, wie vorne der 
Thurm, links und rechts der schmale Marktplatz, der 
eine Desorientierung der Kirche nicht zulässt, und an der 
Ostseite das Schmiedhaus entgegen standen, ferner in An¬ 
betracht des Umstandes, dass der gothische Th eil der be¬ 
stehenden Kirche gut erhalten ist, wurde seitens des 
Pröjöctanten von einem Neubau abgesehen, und dann 
vom Bauherrn beschlossen, die Kirche in Oberneukirchen 
im ursprünglichen Style zu erweitern, so wie der Grund¬ 
riss und die perspectivische Ansicht zeigen. 
Die Ausführung ist. eine monumentale zu nennen; 
das Mauerwerk ist in Granitstein in der sogenannten 
Steinblossmanier aufgeführt und alle Gliederungen, wie 
Sockeln, Stufen, Thürgewände, Leibungen, Fensterge¬ 
wände, Masswerke, Sohlbänke, Strebepfeiler-Abdachungen 
und alle Gesimsungen wurden, ingleichen auch im Innern 
die Pfeiler, Widerlagsquader für die Gurtungen und Rippen, 
in einheimischen Granit gemeisselt, durchgeführt. Sonst 
wird das Innere rauh geputzt, die Gliederungen in der 
Steinschnittmanier gefugt und polychromiert. 
Am bestehenden Thu-rme werden bloss die Giebeln, 
die Glockenhausfenster und das Thurmkreuz gothisiert. 
Mit der Ausführung des Baues sind die dortselbst 
ansässigen Baugewerbetreibenden (Herr Ferdinand 
Simader,- Maurer- und Zimmermeister, übernahm die 
Maurer- und Zimmermannsarbeiten) unter der Leitung 
des Planverfassers beschäftigt. d. r. 
Ein interessanter Vortrag. 
Vom k. k. Regierungsrath. Camillo Sitte. 
ImMünchener'Architekten- und Ingenieur¬ 
verein sprach in der letzten Versammlung über Städte¬ 
bau Regierungsrath Camillo Sitte aus Wien vor 
‘einem überaus zahlreichen Auditorium, das aus den 
namhaftesten Münchener Fachgenossen, Künstlern 
und Vertretern der Stadt sich zusammensetzte. In 
einer von liebenswürdigem Humor durchwebten, überaus 
lebendigen und fesselnden Darstellungsweise führte Re¬ 
gierungsrath Sitte seine Hörer — im Geiste — in sein 
Atelier, um da an verschiedenen Projecten, die er 
aus geführt, die Principien zu erläutern, deren Be¬ 
achtung für den Städtebauer von Wichtigkeit ist. 
Zuerst erzählte uns der Vortragende, wie er nach Salz¬ 
burg gerufen worden sei, als dort die Gersbach- 
regulierung mit Verlegung der Rign er brücke ge¬ 
plant gewesen sei. Sitte demonstrierte den Salz¬ 
burgern, die G e r s b a c h r e g u 1 i e r u n g sei doch etwas 
nebensächlich, da könne man gleich mehrere der schwe¬ 
benden Projecte zusammenfassen, und entwarf einen Plan, 
wie man das projectierte Künstler haus, dasMuseum 
der Kunstgewerbeschule in einen grossen monu¬ 
mentalen Gebäudecomplex vereinigen und die Brücke 
gerade auf diesen Platz hinführen könne. Als er diese 
Ideen entwickelt hatte, war der Erfolg bei den Inter¬ 
essenten ein helles Gelächter. Inzwischen ist das 
Künstlerhaus gebaut worden, und zwar in einer 
Wasserwüste, die Kunstgewerbeschule hat man 
an einen Platz gestellt, wo sie niemand findet, für das 
Museum wird voraussichtlich ein ebensolcher ausfindig 
gemacht werden, und die Brücke mündet nun so, dass 
sie nirgends hinf ühr t. Das ist auf der ganzen We 11 
so. Nirgends findet man das'einheitliche Zusammenfassen 
grosser Ideen, wie es in der Antike bei den Griechen 
gang und gäbe war, alles wird verz etteit, die Denk¬ 
mäler werden in den Städten schön gleichmässig von 
einander vertheilt, damit keiner den anderen beisst 
und bei jedem grösseren Projecte existiert eine aus¬ 
führende Gesellschaft, ein 0 o m i t e, deren oberstes 
Princip ist, „dass ihnen keiner was dreinreden darf.“ 
Nach dieser Iritroduciion kam Redner auf verschiedene 
Lag er pläne zu sprechen, die er für Teschen, Mährisch- 
Ostrau, Olmütz und andere Städte entworfen. Als sehr 
praktikabel habe es sich erwiesen, Stadt parke und 
Kinderspielplätze in der Mitte grosser Häuserblocks 
zu verlegen, wofür die in Wien bestehenden alten Parke 
— Esterhazy-^ Schwarzenberg- und Liechtenstein-Park, — 
die heute mitten in den Stadtcentren, von Häusern um¬ 
friedigt, dem öffentlichen Verkehre freigegeben sind, ein 
sprechendes Zeugnis sind. Diese alten Vorbilder wrären 
in der Neuzeit mit Erfolg zu copieren. Nicht nur das 
Zinserträgnis solcher Häuser, deren Bewohner rings ins 
Grüne sehen, wäre sehr gut, auch den Besuchern der¬ 
artiger Anlagen böten die Häuser Schutz vor Wind und 
Staub, die Kinder sind gesichert vor Unfällen durch 
Ueberfahrenwerden und durch entsprechende Läden in 
den Erdgeschossen der Häuser, durch Anlage von Kiosken, 
einer gedeckten Gartenhalle u. s. w. kann für alle mög¬ 
lichen menschlichen Bedürfnisse gesorgt werden. Dass 
durch breite Thorwege auf mehreren Seiten genügender 
Zutritt zu solchen Quadraten geschaffen werden muss, 
ist selbstverständlich. — Die Anlage sogenannter amerika¬ 
nischer Squares auf Flächen, auf denen ein Bebauungs¬ 
block ausbleiben musste, hat jene Annehmlichkeiten nicht 
für sich — Staub und Wind, sowie Strassenlärm, das 
Fehlen aller Bequemlichkeiten verleiden dem Ruhe¬ 
bedürftigen das Verweilen an diesen Stätten, während in 
Wien in Parkanlagen, die von solchen Häuserquadraten 
umgeben, sind, im Sommer kaum ein Plätzchen auf einer 
Bank zu haben ist.
	        
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