Volltext: IX. Jahrgang, 1904 (IX. JG., 1904)

Nr. 5. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Seite 35. 
170 und mehr Millimetern, während zirka einer halben 
Minute vorhanden war, so dass unbedingt behufs Aus¬ 
gleichung des Druckes ein bedeutendes Luftquantum 
ausgeblasen werden musste. Die durch die Manometer- 
Beobachtungen nachgewiesene Existenz eines so be¬ 
deutenden Ueberdruckes im Innern eines brennenden 
Theaters, beim Modell 1/50 bis 1I60 Atmosphären, erklärt 
das Verlöschen der Gasflammen im Ringtheater in Wien, 
die später nach Auf hören des Ueberdruckes wieder an¬ 
gezündet werden konnten, sie lässt ferner die Ursache 
erkennen, aus welcher Türen aufgerissen^ wurden etc. 
Die Versuche geben ferner zu der unliebsamen 
Wahrnehmung Anlass, dass die sogenannte „Notbe¬ 
leuchtung“ beim Ausbruche eines Bühnenbrandes wohl 
die Gasbeleuchtung etwas überdauert, jedoch in relativ 
kurzer Zeit nach dem Erlöschen der Gasflammen eben¬ 
falls den Dienst versagt, ehe sie noch ihren Zweck voll¬ 
kommen erreichen konnte, wenn dieselbe nicht, wie 
schon früher erwähnt, eigene Luftzuführungskanäle be¬ 
sitzt und gegen das Eindringen der expandierenden 
Luft geschützt ist. Bei elektrischer Beleuchtung muss 
ein Teil der Lampen im Zuschauerraume in einen eige¬ 
nen gegen Zerstörung durch Feuer möglichst geschützten 
Stromkreis geschaltet sein. 
Weiter muss auf den Umstand hingewiesen werden, 
dass wohl kein eiserner Vorhang so stark ist, um einen 
einseitig wirkenden Druck von 1/50 bis 1/G0 Atmosphären 
(bei einem Vorhänge von 120 m2 Fläche entsprechend 
20 bis 24 Tonnen) Widerstand zu leisten. 
Es wird somit der Vorhang durchgebogen werden 
und durch die so an seinem Rande entstehenden 
Oeflhungen werden die erhitzte Luft und die Ver¬ 
brennungsgase in den Zuschauerraum dringen. 
Zur Bestätigung dieser Ansicht weisen wir auf den 
Brand des neuen Stadttheaters in Szegedin hin, bei 
welchem nach allerdings spärlichen, gewiss teilweise 
auch oberflächlichen Zeitungsberichten der eiserne Vor¬ 
hang aus seinen Führungen gerissen, sich durchbog und 
die herausbrechenden Flammen die in den Logen postier¬ 
ten Feuerwerleute schon nach kürzester Zeit (angeblich 
nach Sekunden) zum Rückzuge zwang; und neuerdings 
auf den Theaterbrand in Chicago, wo der feuersichere 
Vorhang zweifellos auch aus den Führungen gerissen 
wurde, bevor er ganz herunter ging. 
Als ein weiterer Beleg hiefür möge noch angeführt 
werden, dass die aus starkem Schwarzblech angefertigte 
zweiflügelige, mit einem Hakenriegel verschliessbare 
„Einsteigtür“ an der Hinterwand der Bühne unseres 
Modelles infolge des enormen Druckes sich durchbog, 
um dem Rauche einen Abzug zu verschaffen. 
Es ergibt sich somit der Schluss, dass bei der der- 
maligen Einrichtung unserer Bühnen die Notbeleuchtung 
im Falle der Gefahr im Theater selbst den Dienst sehr 
bald versagt, wahrscheinlich früher, als die letzten Be¬ 
sucher den Zuschauerraum verlassen haben können, und 
dass die eiserne Kurtine ohne ausreichende Essen auf 
der Bühne die Katastrophe für die Zuschauer nicht ab¬ 
halten wird. 
Es soll damit nicht behauptet werden, dass diese 
beiden Sicherheitsvorkehrungen überflüssig sind, es soll 
vielmehr die Aufmerksamkeit nur darauf gelenkt werden, 
dass auch bei tadelloser Handhabung der Vorschriften 
beim Ausbruche eines Bühnenbrandes eine Katastrophe 
mit demselben Effekte, wie im Ringtheater in Wien, wie 
in den Theatern in Brooklyn, Nizza etc. auch heute noch 
möglich ist, wie es eben der Brand des Iroquois-Theaters 
in Chicago wieder bestätigt hat, nur dass das Herein¬ 
brechen derselben durch eiserne Vorhänge etc. wohl um 
Sekunden verzögert, aber nicht abgewendet werden kann. 
Die vorgenommenen Analysen der Luft im Zuschauer¬ 
raume bei den Versuchen an dem Modelle haben ein 
Resultat ergeben, das die Unatembarkeit der Luft 
ausser Zweifel stellt, indem der Gehalt an Kohlensäure 
zwischen 4 und 6 °/o, jener an Kohlenoxyd stets mit 1/2 °/o 
bestimmt wurde. 
Obersanitätsrat Professor Hofmann hat im Ring¬ 
theaterprozesse angegeben, dass Luft, welche 10 °/0 
Kohlensäure enthält, zur Erstickung genügt, ungleich 
gefährlicher jedoch sei ein Gehalt von Kohlenoxydgas, 
welches schon in Mengen von 0*05 °/o der Luft bei¬ 
gemischt Atembeschwerden hervorruft, und in Mengen 
von 05 bis 1 °/0 unbedingt den Tod zur Folge hat. 
Nach denselben Angaben tritt das Zusammenstürzen 
bei Kohlenoxyd-Vergiftung sehr rasch und in Fällen 
besonderer körperlicher Disposition sogar momentan ein. 
Die Leichen, die nach dem Brande im Iroquois-Theater 
auf ihren Plätzen sitzend mit auf die Brust geneigtem 
Kopfe aufgefunden wurden, sind allem Anscheine nach 
Opfer der Kohlenoxydgas-Vergiftung, die nicht einmal 
soviel Zeit mehr gefunden haben, um ihren Platz zu 
verlassen und den Ausgängen zuzueilen. 
(Schluss folgt.) 
Einiges über die Bedeutung des 
historischen Stiles. 
Je weiter wir in der Kunstgeschichte zurückgreifen, 
umsomehr war es zunächst die Architektur, die in den 
öffentlichen Gebäuden Trägerin des Stils, als Ausdruck 
der leitenden Zeitidee, wurde und auf die übrigen 
bildenden Künste und deren Stil massgebend einwirkte; 
schon durch den abhängigen Platz, den diese in der 
Architektur einnehmen, waren sie dazu genötigt. Mit 
der Freiheit des individuellen Privatlebens haben sich 
auch Skulptur und Malerei frei gemacht; und die Archi¬ 
tektur hat ihre Herrschaft, die sie bisher selbst auf alle 
Erzeugnisse der Industrie bis zum Stickmuster und Koch¬ 
löffel hinunter übte, eingebüsst. Sie selbst entlehnt ihre 
Formen bald dieser, bald jener Epoche und meist wird 
der Künstler nur durch Studium und Reflexion abge¬ 
halten, Ungehöriges zusammenzuschweissen, was dem 
Ungeschicktesten in alter Zeit nicht passieren konnte. 
Das Handwerk hat, trotz der krampfhaften Bemü¬ 
hungen ihrer kapriziösen Alleinherrscherin, der Mode, 
keine neuen Formen auftreiben können; es ist auf keinem 
Felde gelungen, unserer Zeit einen überzeugend zeit- 
gemässen Stil abzuringen. Den Kulturhistoriker könnte 
diese Beobachtung zu interessanten Resultaten führen: 
vielleicht würde er den Grund darin finden, dass es erst 
der Zukunft Vorbehalten sei, all das überreich sich an¬ 
sammelnde Material der Erkenntnis der neuen Zeit¬ 
aufgabe — der Idee der politischen Freiheit — dienstbar 
zu machen und alle Verhältnisse von dieser durchdringen 
zu lassen, während in alten Zeiten allen Lebens¬ 
beziehungen eine von der Zeitidee abhängige Bedeut¬ 
samkeit beigelegt wurde. 
Nach der antiken Zeit diente bis zum XVI. Jahr¬ 
hundert die Kunst fast ausschliesslich der Kirche, und 
wenn sie dabei auch hie und da im Handwerk stecken 
blieb und in Konventionalität verfiel — das heisst die
	        
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