Volltext: IX. Jahrgang, 1904 (IX. JG., 1904)

Seite 20. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 3. 
Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind uns 
in der Einführung der Acetylen-Beleuchtung führend 
vorausgegangen und haben bereits im Jahre 1896 eine 
Prüfung der zum Bau zulässigen Apparate durch den 
Zentralverband der amerikanischen Feuerversicherungs- 
Gesellschaften eingeführt, eine Einrichtung, die auch bei 
uns adoptiert werden sollte. 
Dass auch jetzt schon Hervorragendes auf dem Ge¬ 
biete des Acetylen-Apparatebaues geleistet wird, lehrt 
uns die Deutsche Städteausstellung. 
Der Rheinischen Acetylen-Industrie G. m. b. H. ge¬ 
bührt das Verdienst, die Vorzüge und die Schönheiten 
des Acetylenlichtes auch jenen Kreisen demonstriert zu 
haben, welche sich bisher dem neuen Kämpen im 
Kampfe gegen die Finsternis gegenüber ablehnend ver¬ 
halten haben. 
Auf der Deutschen Städteausstellung hat diese Firma 
ein komplettes Betriebsmodell einer städtischen Zentral¬ 
anlage ausgestellt, von welchem die Beleuchtung einiger 
Ausstellungsstrassen sowie der Ausstellungsfront an der 
Lennestrasse besorgt wird. 
Die Anlage selbst ist in einem geschmackvollen 
Häuschen untergebracht, welches den Apparateraum, 
ein Bureau und einen Beheizungsraum umfasst; die Be¬ 
heizung geschieht durch Warmwasser-Zirkulation. Die 
Apparate bestehen aus einem automatischen Entwickler 
mit aufmontiertem Karbidbehälter von 200 kg Fassungs¬ 
raum, einem Wäscher, einem Gasbehälter, einem che¬ 
mischen Reiniger und dem den Speise wasserzufluss 
regulierenden Schwimmerbassin. Zwischen Entwickler 
und Karbidbehälter ist eine durch den Niedergang der 
Gasometerglocke betätigte Karbidmess- und Zufuhr-Vor¬ 
richtung eingeschaltet, deren eigenartige Konstruktion 
nicht nur die grösste Betriebssicherheit bietet, sondern 
es auch es absolut unmöglich macht, dass mehr als ein 
bestimmtes und genau berechnetes Quantum Karbid 
zur Zersetzung kommt. 
Sämtliche Apparate sind aus 3 Millimeter starkem, 
doppelt verbleiten Stahlblech in solidester Kesselschmiede- 
Konstruktion ausgeführt und machen einen durchaus 
gediegenen Eindruck. Eine Gefahr ist auch bei nach¬ 
lässiger Bedienung ganz ausgeschlossen. 
Auf jeden Fall muss die Schönheit und Intensität 
des Lichtes anerkannt werden und es stellt sich der 
Preis des Lichtes sowohl wie auch die Kosten einer 
zentralen Beleuchtungs-Einrichtung derart billig, dass 
sich die täglich wachsende Beliebtheit dieser schönen 
Beleuchtungsart vollauf erklärt. 
Die Modellzentralanlage der Rheinischen Acetylen- 
Industrie ist an dem Ausstellungsportal an der Ecke der 
Lenndstrasse und der Stübelallee gelegen und es um¬ 
spannt das Rohrleitungsnetz derselben die gesamten 
Probestrassen, während an der Hauptpromenade der von 
dieser Firma gemeinschaftlich mit der „Acetylenä“ G. m. 
b. H. in Nürnberg, der Vereinigung der zwei grössten 
Gasbrennerfabriken des Deutschen Reiches der Firma 
J. von Schwarz und Jean Stadelmann & Komp, in Nürn¬ 
berg errichtete Acetylen-Pavillon die Schönheit des 
Acetylenlichtes zur vollsten Geltung bringt. 
Obwohl die genannte Acetylen-Industrie auf der 
Deutschen Städteausstellung nur durch diese beiden 
Firmen vertreten war, war selbe doch äusserst gediegen 
und effektvoll repräsentiert und es unterliegt keinem 
Zweifel, dass durch diese in ihrer Art einzige Reprä¬ 
sentation der Acetylen-Industrie zahlreiche Freunde zu¬ 
geführt und manche bisher noch bestandenen Vorurteile 
beseitigt wurden. 
Wie bekannt, ist das Leuchten einer Flamme darauf 
zurückzuführen, dass der ihr zugeführte Wasserstoff sich 
bei der Erhitzung auf .seine Entzündungs-Temperatur 
mit dem Sauerstoff der atmosphärische)! Luft zu Wasser 
in der Form von Dampf verbindet und die hiedurch frei¬ 
gewordene Wärme den der Flamme zugeführten Kohlen¬ 
stoff auf jene Temperatur erhitzt, bei welcher derselbe 
sich in der Weissgluthitze selbst mit Sauerstoff zu Kohlen¬ 
säure verbindet. In je günstigeren Verhältnissen nun die 
beiden Elemente Kohlenstoff und Wasserstoff zur Ver¬ 
brennung gelangen, umso leuchtkräftiger ist auch die 
Flamme. 
Acetylen enthält nun nichts als die beiden Elemente 
Kohlenstoff und Wasserstoff und zwar in den günstigsten 
Mischungsverhältnissen und es repräsentiert daher die 
Acetylenflamme den theoretisch höchsten Leuchtwert 
irgend einer Kohlen-Wasserstoff-Verbindung. 
Die Acetylenflamme kann als letztes Glied in einer 
Kette chemisch-thermischer Vorgänge betrachtet werden, 
deren Anfänge in dem kosmischen Werdeprozess weit 
vor die Zeit einer menschlichen Existenz zurückführen. 
Acetylen ist aufgespeicherte Sonnenenergie 1 
Was einst vor Millionen von Jahren als strahlende 
Energie von der Sonne zur Erde gewandert war und 
hier mit Hilfe riesiger Farne der Kohlensäure den 
Kohlenstoff entriss, um ihn im Steinkohlenwald als 
lebendig begrabene Kraft aufzuspeichern, was später in 
der Hitze des elektrischen Flammenbogens das Calcium 
aus seiner Verbindung mit dem Sauerstoff sprengte und 
sein Metall mit der Kohle zu Calcium-Karbid verschlackte, 
das sehen wir in der Acetylenflamme die äonenlang ge¬ 
tragenen Fesseln abwerfen und als strahlende Energie 
in den Weltraum zurückkehren. 
Von mancher Seite wird Acetylen noch immer als 
Beleuchtungsart zweiten Ranges betrachtet und die Be¬ 
hauptung des Rückganges dieser Industrie ist so oft und 
so lebhaft erörtert worden, dass es sich wohl lohnt dar¬ 
auf hinzuweisen, dass besonders in letzter Zeit viele 
grosse Fabriks-Etablissements, Eisenbahndirektionen und 
Gemeinden Acetylen-Beleuchtung eingeführt haben. Die 
gegenwärtig für die Fabrikation von Calcium-Karbid 
tätigen Fabriken beschäftigen mehr als 50.000 Pferde¬ 
kräfte und es ist der Konsum von Calcium-Karbid in 
den letzten Jahren trotz der allgemeinen wirtschaftlichen 
Krisis regelmässig und ohne Unterbrechung gestiegen. 
Was nun die Kosten der Beleuchtung mittels Acetylen 
anbelangt, so sind auch hierüber so viele und so un¬ 
berechtigte Meinungen verbreitet, dass es wrohl angebracht 
ist, im nachstehenden eine Uebersicht über die Kosten 
verschiedener Beleuchtungsarten zu geben: 
Ein Kilogramm Calcium-Karbid stellt sich auf zirka 
25 Pf. pro Kilogramm und ergibt zirka 300 Liter Acetylen¬ 
gas. Bei Verwendung offener Flammen erfordert eine 
Normalkerze Leuchtkraft pro Stunde 0’6 Liter Acetylen, 
während bei Verwendung eines Glühlichtbrenners für 
jede Kerzenstunde nur 0'25 Liter Acetylen nötig sind. 
Es stellen sich daher 16 HK bei Acetylen im offenen 
Brenner: 
0-6 (Liter) X 16 (HK) X 25 (Pfennig) „ _ _ 
300 (Liter) u ÖU
	        
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