Volltext: IX. Jahrgang, 1904 (IX. JG., 1904)

Seite 114. 
Öberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 15. 
der bedeutendsten Provinzstädte geworden war. Hat 
Florenz seinen grossen Baukrach nie überwunden, so 
war dies mit Rom, das sich eines steten Anwachsens der 
Bevölkerung erfreute, viel günstiger und man kann 
sagen, dass die Bautätigkeit trotzdem in den letzten 
fünfzehn Jahren als entsprechend zu bezeichnen war. 
Wir sprechen hier nicht von den grossen Bauarbeiten, 
der Flussregulierung, den neuen Brücken, Regierungs¬ 
und anderen öffentlichen Gebäuden, die auf Kosten des 
Staates und der Gemeinde geplant und auch beendet 
wurden. Es kommt hier nur die Privatbautätigkeit in 
Betracht. Diese Bautätigkeit war keine Spekulation, 
sondern durch das rasche Anwachsen der Bevölkerung, 
durch den steigenden Wohnungsbedarf vollkommen ge¬ 
rechtfertigt. Man könnte da den Ausspruch Napoleons III., 
des bekannten Bauförderers, wiederholen, der mit seinem: 
„Hat die Bauindustrie Arbeit, geht alles gut“ das Richtige 
getroffen hat. Rom hat bekanntlich eine Baugeschichte 
wie keine Stadt der Welt. Ein stetes Werden, Vergehen 
und Versinken, ein Ausgraben alter Baudenkmäler. Ist 
Rom, die modernisierte Stadt, noch weit davon entfernt, 
eine Bevölkerungszahl von zwei Millionen Einwohnern 
wie zur Zeit des römischen Kaiserreiches zu erreichen, 
so hat es doch während der mehr als dreissigjährigen 
Periode als Hauptstadt Italiens die Einwohnerzahl mehr 
als verdoppelt und ist der Zuzug aus den Provinzen ein 
steigender. Es liegt daher das Bedürfnis nach neuen 
Wohnungen vor, da das Wohnungsbedürfnis eine ent¬ 
sprechende Zunahme der Miethäuser als notwendig er¬ 
scheinen lässt. Nur ist eine Organisation, ein System 
dieser privaten Bautätigkeit geboten, die nun durch¬ 
geführt wird. Rom hat sowohl innerhalb als ausserhalb 
der Mauern eine Menge von verfügbaren Bodenflächen, 
deren Verbauung zur Anlage neuer Stadtteile trotz des 
wellenförmigen, hügeligen Terrains fortschreitend erfolgen 
muss. Obwohl die Regierung selbst mit grossen Staats¬ 
bauten den Bau des modernen Rom begann, so wurde 
doch kein Generalbebauungs- und Stadterweiterungsplan 
von dem Minister des Innern verlangt noch von der 
Stadtbehörde beraten und angefertigt, so dass der Bau¬ 
lust in der -Wahl der Plätze vollkommen freie Hand ge¬ 
geben war. Die grosse Bautätigkeit eröffnete der viel¬ 
genannte Minister Sella mit der Errichtung des Riesen¬ 
gebäudes für die Finanzverwaltung Italiens. Er war in 
der Wahl des Platzes als eines der gesündesten und 
hochgelegensten sehr glücklich. Seine Idee war die 
Verbauung der Gründe an der Porta Salaria, Porta Pia 
an der Villa Borghese hin gegen Parioli bis gegen den 
Esquilin, also an den höchstgelegenen Stadtteilen. Statt 
dessen entwickelte sich zuerst die Bautätigkeit an den 
tiefgelegenen Stadtteilen, in „Prati Castelli“. Erst später 
kehrte man zum Höhenbau zurück und erstand die 
Strasse „Venti Settembre“, die einen Radius bildende 
„Via nazionale“, an der sich ein neuer Stadtteil erhob. 
In den achtziger Jahren begann die Verbauung der 
Gründe an der Via Venti Settembre, der Gründe der 
Villa Ludovisi gegen Porta Salaria, ausserhalb der Porta 
Pia gegen Parioli. An der Station erstanden die neuen 
Häuser des Esquilin gegen das Tor St. Giovanni mit 
den schönen Strassen „Cavour“ und dem „Corso Vittorio 
Emanuele“ bis wieder zu den „Prati Castelli“ zurück. 
Dann folgte der Bau bescheidener Mietshäuser auf der 
Höhe von St. Lorenzo und zu deren Tiefen auf den 
Wiesen von St. Cosimato. Immer mehr hat sich ergeben, 
dass diese planlose überhastete Bautätigkeit, die so 
vielfach zu Krisen führte, nicht den Interessen der Be¬ 
völkerung entspricht, verschiedene Abstufungen bildet, 
das Gute mit dem Nützlichen, das Mittelmässige mit dem 
minder Nützlichen, das Schlechte mit dem Schlechtesten 
und Wertlosen vereinigt. Diese eigentümliche Art einer 
so regellosen Verbauung führte zu einer unbegründeten 
Grundspekulation. Die zahlreichen Aufträge führten 
auch zu einer Steigerung der Baustoffpreise und Löhne 
der Bauarbeiter und schliesslich zu den Krisen, Falli¬ 
menten, wodurch eine bedeutende Einschränkung der 
gesamten Bautätigkeit erfolgte. Lähmend auf die Ent¬ 
wicklung einer gesunden Bautätigkeit war auch das vage 
Börsenspiel mit den Baugründen. Baugründe waren 
Gegenstand einer regen Spekulation, hatten oft mehr als 
zwanzig Käufer und Verkäufer, bis sie endlich einen 
Käufer fanden, dem es mit dem Bauen ernst war. Eine 
eigentümliche Erscheinung dieser Stadterweiterung ist 
es, dass sich zwei Parteien gebildet haben, die eine Vor¬ 
liebe für die Verbauung gewisser Gegenden haben. So 
strebt die wohlhabende Partei nach dem Plane und den 
Absichten Sellas die Verbauung des Hügelgeländes in 
gesunder Lage an, während die andere Partei, die der 
Geschäfte, der Industrien und Fabriken die Verbauung 
der Tiberniederungen der „Prati Castelli“ in erhöhtem 
Masse, fortzuführen wünscht. 
Ein anderer wesentlicher Uebelstand der bisherigen 
Stadterweiterung und der Privatbautätigkeit, der zu den 
vielen Krisen führte, war der Mangel eines geordneten 
bankmässigen Baukredites. Man arbeitete nur mit kurz¬ 
laufenden Wechseln. Neben geringen Anzahlungen in 
Barem wurden Gründe, Arbeiten, Baustoffe in Wechseln 
bezahlt und diese auch nur in gewissen Raten. Der 
Baukredit beruhte nur auf Wechseln und von diesen 
hing daher die ganze Baubewegung, ein Fortschreiten 
oder Unterbrechen der Bauten ab. Die Banken, welche 
in Hypothekengeschäften tätig waren, arbeiteten mit 
einem Zinsfusse von 5 bis ö*/2 °/o, so dass das Gebäude, 
wenn es nicht in Gänze vermietet war, durch Zahlung 
der Hypothekenzinsen, Wechsel und Teilzahlungen dem 
Eigentümer oder Erbauer nur zum Gegenstände neuer 
Verbindlichkeiten und nicht günstiger Verzinsung ge¬ 
worden war. 
Es war daher während dieser neuen beinahe dreissig¬ 
jährigen Bauperiode die Ursache all der Krisen und Bau¬ 
stillstände der Mangel eines streng einzuhaltenden Be¬ 
bauungsplanes, die unrichtige Wahl der Bauplätze, deren 
spekulative Verteuerung und der Mangel an grossen 
Kapitalien, an Baukredit. Alle diese Misstände der 
früheren Bautätigkeit hatten für die Bevölkerung nicht 
jene Vorteile, mit welchen die Erbauung neuer Stadtteile 
verknüpft ist. All die, welche die alten Gebäude ver¬ 
lassen und in gesunde moderne Gebäude ziehen wollten, 
mussten dies mit hohen Mietzinsen büssen. So blieben 
viele Gebäude in unbeliebten neuen Stadtteilen ohne 
Mieter, wodurch fortwährende wirtschaftliche Schädi¬ 
gungen verursacht wurden. 
Der erfreuliche wirtschaftliche Aufschwung, der sich 
in neuester Zeit in Italien bemerkbar machte, wird be¬ 
sonders in der Hauptstadt Rom bemerkbar. Rom über¬ 
bietet heute die meist an wachsende industrielle 
Hauptstadt Italiens, das weltstädtische Mailand, die 
Zentrale des Handels, des Geldwesens und des geistigen 
Marktes — des Buchhandels. Rom wird immer mehr 
eine Stadt des Handels, der Industrie und neue Fabriken 
und Betriebe zeugen von der erwachten, einst ganz er-
	        
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