Volltext: II. Jahrgang, 1897 (II. JG., 1897)

Nr. 15. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEIT UN G. 
Seite 115. 
durchzuführen, und zwar in einem Erdreich, das nicht 
einmal aus Lehm und Sand, sondern zum grossen Theil 
aus grobem Kiesel bestand. Die Ausführung gelang mit 
Hilfe comprimierter Luft, die schon im Jahre 1830 Lord 
Cochrane dem oben erwähnten Erbauer des ersten 
Tunnels unter der Themse, Brunnei, empfohlen hatte. 
Gebohrt wurde mit dem Greathead’schen Bohrschild. 
Das Bohren geschah in der Art, dass der im Bau be¬ 
findliche Theil des Tunnels durch eine feste Mauer vom 
fertigen Theile abgeschlossen wurde und mit einer derart 
verdichteten Luft gefüllt war, dass das meist nur fünf 
Fuss über dem Scheitel hinströmende Wasser der Themse 
an den Stellen der Themse, wo gebohrt wurde und wo 
Eisenplatten diesen Tunnel inwendig bekleiden, noch 
nicht mit Schrauben oder Gement aneinander geschlossen 
waren, nicht durchdringen konnte. Die Wand, welche 
den mit verdichteter Luft gefüllten Theil des Tunnels 
abschloss, erhielt kleine Zwischenkammern, in die der 
ankommende Arbeiter zuerst eingeschlossen wurde und 
die sich allmählich mit der comprimierten Luft füllten, 
bis der Mann sich unter demselben Luftdrucke befand, 
Vvie Arbeiter im inneren Tunnel und im Bohrschilde. Das 
war kein leichtes Verfahren, dem sich jeder Arbeiter 
täglich unterwerfen musste, denn die hereinströmende 
Luft drückte zuletzt, wenn die zweite Thür zum Tunnel 
sich öffnete, mit einem Gewicht von 27 Pfund auf jeden 
Quadratzoll des Körpers über den gewöhnlichen atmo¬ 
sphärischen Druck. Bis der Arbeiter sich an diesen 
grossen Luftdruck gewöhnt hatte, war ein ziemlich 
schmerzhaftes Gefühl im ganzen Körper zu überstehen 
und lange konnten es die Leute in dieser verdichteten 
Atmosphäre nicht aushalten. Manchem drang beim 
Arbeiten das Blut aus der Nase und dem Munde und er 
musste den Arbeitsplatz verlassen und sein Uebergang 
von der comprimierten zur atmosphärischen Luft war 
abermals unbehaglich und schmerzvoll. Man befürchtete, 
dass eine grosse Anzahl Todesfälle für die bei dem Werk 
beschäftigten Arbeiter eintreten könnte, da es, wie ge¬ 
sagt, absolut nothwendig war, unter comprimierter Luft 
zu arbeiten. Während der Erbauung des Hudson River- 
Tunnels in New-York, bei dem Moir weitgehende Er¬ 
fahrungen gesammelt hat, betrugen die Todesfälle, die 
man auf das Arbeiten in comprimierter Luft zurückführte, 
25°/o pro Jahr, zu der Zeit, als er die Arbeit übernahm. 
Infolge der sofort von Moir getroffenen Anordnungen 
reducierte sich diese Zahl auf 1U°jo- Ls wurde bei Er¬ 
richtung des Blackwall-Tunnels auf seine Anordnung in 
sanitärerWeise derart für die Arbeiter gesorgt, dass von 
den 200 Leuten, die unter Luftdruck arbeiteten, nur 
fünf leidend sind und keiner gestorben ist. Unter anderem 
war für jeden Arbeiter, der die comprimierte Luft ver- 
liess, ein warmes Bad bereit und keiner durfte wiedei zui 
Arbeit, der nicht vorerst jedesmal durch einen eigens 
angestellten Arzt untersucht worden war. Auch hatte 
der Londoner Grafschaftsrath für die daran betheiligten 
Arbeiter eine.. eigene Unfallentschädigung und Witwen- 
und Waisenpension festgesetzt und damit der staatlichen 
Gesetzgebung in überaus lobenswerter Weise vorgegriffen. 
Die eigentliche Bohrarbeit geschah in dem Bohr¬ 
schilde, einem grossen eigenen Cylinder vpn 27 Fuss und 
8 Zoll äusserem Durchmesser, IQ1/* Fuss Länge und 
250 Tonnen Gewicht. Dieses gewaltige Instrument, das 
mit einem hydraulischen Drucke von bisweilen 5000 Tonnen 
vorwärts getrieben wurde, war im Innern durch drei 
horizontale und drei verticale Wände in zwölf Zellen ge- 
theilt, und in diesen sechs Fuss hohen Zellen sassen die 
Arbeiter, die die eigentliche Bohrarbeit besorgten. So 
lange in Lehm gearbeitet wurde, blieben die Zellen nach 
vorn ganz offen, sobald man aber an den groben Kies 
kam, mussten sie zum Theile abgeschlossen werden und 
wochenlang konnte man, so lange man unter dem Flusse 
selbst arbeitete, nur Löcher von sieben zu drei Zoll offen 
lassen und aus diesen das Erdreich herausholen. Einmal 
stiess der Bohrschild, welcher stets von 28 hydraulischen 
Rammen vorwärts gedrückt wurde, gegen einen Stein¬ 
block ; das Eisen bog sich wie Zinnblech und die Reparatur 
kostete Lstr. 5000 = Mk. 112.000. 
Die Anwendung der comprimierten Luft musste 
darum mit der grössten Vorsicht abgemessen werden, 
weil jedes zuwenig oder jedes zuviel verderblich war; 
hätte der Druck einmal aufgehört, oder hätte er auch 
nur nachgelassen, so wäre das Themsewasser herein¬ 
geflossen. Noch gefährlicher ist aber die zu grosse 
Spannung der comprimierten Luft, weil dieselbe, sobald 
der Druck grösser ist als der des Wassers und des Erd¬ 
reichs über ihr, nach oben durchbricht und ein Loch 
reisst, in welches dann das Wasser hineingestürzt wäre. 
Dies geschah zweimal. Die Schiffer auf der Themse sahen 
plötzlich eine Masse von Schlamm 30 Fuss hoch über 
dem Wasser aufspritzen und glaubten, das habe eine 
„Seeschlange“ gethan. Beidemale geschah der Unfall, 
ohne dass Arbeiter zu Schaden kamen. Um diese Durch¬ 
bruchsgefahr zu verringern, schüttete man Lehmmassen 
dort in den Fluss, wo unten der Tunnel gebaut wurde. 
Jetzt ist das Werk fertig und man sieht dem schmucken 
Bau mit seinen architektonischen schönen Eingangsthoren 
nicht an, welche Mühe seine Durchführung gekostet hat. 
Der Tunnel ist kreisrund im Durchschnitt und hat einen 
Durchmesser von 24 Fuss, 3 Zoll. Denkt man sich die 
Bemauerung mit weiss glasierten Ziegelsteinen und die 
gebogenen Eisenplatten dahinter, welche den Tunnel 
eigentlich halten, hinweg, so bleibt ein gebohrter Stollen 
von 27 Fuss Durchmesser übrig. Die ganze Länge des 
Tunnels beträgt 6200 Fuss = circa 1890 Meter. Der Theil 
desselben, der direct unter der Themse ist, wurde in 
zwölf Monaten vollendet. 100 Fuss Tunnellänge wurden 
durchschnittlich im Monat gebohrt. Der ganze Bau hat 
etwa fünf Jahre gedauert und \l';2 Millionen Pfund 
Sterling = Mk. 30,600.000 gekostet. 
Bei dieser Arbeit hatten, wie man sich denken kann, 
auch die die Steine liefernden Ziegeleibesitzer erst Er¬ 
fahrungen zu sammeln und dabei keine geringen 
Schwierigkeiten zu überwinden. Sie hatten Steine zu 
liefern, die einen guten Klang gaben, ein gutes Aussehen 
hatten und eine immense Druckfestigkeit besassen. Be¬ 
züglich der Dichtigkeit wurde verlangt, dass die Steine 
nicht mehr als 10°/0 ihres eigenen Gewichtes an Wasser 
absorbieren durften, nachdem man dieselben vorher voll¬ 
ständig getrocknet und gewogen hatte. 
Die ganzen für den Tunnel verwendeten Steine hatten 
eine Grösse von 7*5—8*5 Centimeter. Besonderen Be¬ 
dingungen hatten auch die Lieferanten der zur Verwen¬ 
dung gelangenden glasierten Steine zu genügen. Die 
glasierte Oberfläche musste, wie es ja selbstverständlich, 
vollständig unversehrt und die Glasur bei hoher Temperatur 
aufgebrannt sein. Sie durfte also unter keinen Umständen 
abblättern oder abspringen, sich verfärben oder fleckig 
werden. Diese Bedingungen waren auch unzweifelhaft 
nothwendig, da die Steine mit Wasser, Eisen, der weg¬ 
zuschaffenden Erde und dergleichen mehr in Berührung
	        
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