Volltext: II. Jahrgang, 1897 (II. JG., 1897)

Nr. 10. 
ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 75. 
haltenen Offertverhandlung hat bekanntlich die ganze 
Herstellung des Winterhafens und die Normalisierung der 
Donau von Kilometer 202-1 bis Kilometer 203-3 die All¬ 
gemeine Oesterreichische Ballgesellschaft in Wien als 
Mindestfordernde erhalten, und waren die Gesammtkosten 
mit 471.000 fl. veranschlagt. 
Ueber modernes Kunstgewerbe. 
Im Kunstgewerbeverein in München hielt Bildhauer 
Hermann Ombrist einen Vortrag über das im gegenwär¬ 
tigen Moment und gerade in diesem Kreise so actuelle 
Thema: „Stillstehen und Portsehreiten im Kunstgewerbe1 
Fortschritt im Kunstgewerbe, so führt der Vortragende 
aus, bedeutet keineswegs eine immer grösser werdende 
technische Fertigkeit, möge dieselbe sich nun in der 
Nachahmung vergangener Stylepochen oder im Mitmachen 
der meist vom Ausland importierten Mode bethätigen; 
ein solcher besteht vielmehr nur im freien schöpferischen 
Erfinden neuer Formen von Gegenständen des Gebrauches, 
constructiver Gebilde, neuer Verzierungsarten in neuen 
Farben und neuen Materialien. Diese Art von Fortschritt, 
die eine Grundbedingung für freudige Arbeit und Reg¬ 
samkeit in der Werkstatt des Künstlers, in der Fabrik 
und in den Kunstschulen bildet, ist in unserer Zeit nicht 
nur wünschenswert, sondern eine gebieterische Noth- 
wendigkeit schon aus commerciellen Gründen. Die be¬ 
drohliche Concurrent, die das Ausland, insbesondere 
England, unserem Kunstgewerbe neuerdings macht, sollte 
uns statt zur wahllosen Nachahmung fremder Erzeugnisse 
vielmehr zum Nachdenken auffordern, welches die Gründe 
sind, weshalb uns unsere Nachbarn in so kurzer Zeit 
überflügeln konnten. Mit überraschender Sachkenntnis 
gieng der Vortragende auf die socialen Bedingungen ein, 
unter denen in England das Kunstgewerbe den plötz¬ 
lichen Aufschwung genommen hat. Die grösste Selbst¬ 
ständigkeit der Fabrikanten in Sachen des Geschmacks, 
ihre Unabhängigkeit von den verständnislosen Wünschen 
des grossen Publicums haben es dort ermöglicht, dass 
man den Markt mit künstlerisch wertvollen Producten 
geradezu gegen den Willen der Käufer erobern konnte, 
indem man einfach durch die Masse des auf einmal Ge¬ 
botenen dem Publicum den Geschmack der entwerfenden 
Künstler aufzwang. Wenn bei uns, wie das zuweilen 
kommen mag, etwas Originelles geleistet wird, so bleibt 
es vereinzelt und deshalb ohne Eindruck auf den Ge¬ 
schmack der Allgemeinheit, oder, was noch schlimmer 
ist, es verfällt verständnisloser Nachahmung und kommt 
nur in verzerrter Gestalt zur Verbreitung. Der Vortragende 
gieng nunmehr auf die einzelnen Gebiete des Kunstge¬ 
werbes ein, auf denen uns die Nachbarstaaten überlegen 
sind. In der Wanddecoration, in der Tapeten fabrication 
sind es die Engländer, die überall, nicht zuletzt in Deutsch¬ 
land, sich der Beliebtheit der Käufer erfreuen. Was ihre 
Ware auszeichnet und so originell erscheinen lässt, ist 
einerseits der coloniale Einfluss, den England von Ost¬ 
asien in reichem Maße erfuhr, und dann die glückliche 
Fähigkeit des englischen Volkes, das Fremdländische, die 
zarten Farben und weichlinigen Formen im eigenen Sinne 
zu verwerten, ihm den Stempel des eigenen Geistes auf¬ 
zudrücken. Für uns muss dieser so recht weibliche Ge¬ 
schmack des englischen Kunstgewerbes, seine doch allzu 
feingliedrigen Möbelstücke nicht ausgenommen, immer 
etwas Fremdartiges behalten, so sehr auch die augen¬ 
blickliche Mode dagegen spricht. Denn diese wird ja, 
wie überall so auch in der Ausgestaltung unserer Innen¬ 
räume vorwiegend von unseren Frauen zum Ausdruck 
gebracht und diesen verdankt das englische Gewerbe mit 
seinem weiblich zarten Charakter seine augenblickliche 
Beliebtheit. In Wirklichkeit ist das deutsche Farben¬ 
empfinden kräftiger, für stärkere Contraste empfänglich, 
und damit hat derjenige zu rechnen, der bei uns auf dem 
Gebiete der Wanddecoration Zeit- und Volksgemässes 
schaffen will. In gleicherweise verbreitete sich der Vor¬ 
tragende über moderne Möbel, Keramik, Zinngeschirr, 
Bucheinbände etc. An einem drastischen Beispiele schil¬ 
dert er, wie der englische Möbelfabrikant durch praktische 
Versuche seinen Stühlen und Sesseln die denkbar grösste 
Bequemlichkeit verleiht, während er die unpraktische 
Schwerfälligkeit und Unbequemlichkeit unseres „styl- 
vollen“ Meublements treffend geisselte. Auf dem Gebiete 
der Keramik ist bei uns durch die ewige Nachahmung 
aller möglichen Styl- und Decorationsarten der gesunde 
Sinn für einfache, aber feine Getässformen abhanden 
gekommen. 
Infolge der sinnlosen Ueberladung mit Decorations- 
motiven, die hauptsächlich der so verderbliche Einfluss 
des Barock verschuldet hat, ist das Constructive der 
Form, wie es sich in der keramischen Technik mit dem 
jeweiligen Gebrauchszweck des Gegenstandes begründet 
verloren gegangen. Anders in Frankreich. Hier ver¬ 
schmähen es Bildhauer ersten Ranges nicht, dem ein¬ 
fachen Töpfer Modelle zu neuen sinnvollen Formen zu 
liefern. Das schöne Zinn mit seinem sympathischen matten 
Glanz hat man nach einem kurzen Aufschwung zum 
Verständnisvollen neuerdings seiner besten Wirkung be¬ 
raubt, indem man den Zinngefässen eine dem Material 
nicht entsprechende Form aufdrängte und diesem durch 
ganze oder theilweise Politur seinen eigentlichen Charakter 
benahm. Unter ähnlichen Misständen leidet auch die 
deutsche Glasindustrie, sowie die Arbeit in gepresstem 
und geschnittenem Leder. Ueberall wies Ombrist die 
inneren Gründe für die Ueberlegenheit des Auslandes 
mit eindringender Gründlichkeit nach. Bei dem Engländer 
betonte er die grösste Naivetät, die glückliche Unab¬ 
hängigkeit von kunstgeschichtlicher Tradition, vor allem 
vom Barock und Rokoko, ferner die Abwesenheit aller 
schulmässigen Schablone. Dazu kommt bei ihm die ver- 
standesmässig klare Einsicht für den Wert des Materials, 
der Sinn für das Materialechte, während sein bekannter, 
praktischer Geist sich in dem Zweckentsprechenden der 
Form und der Klarheit, in dem constructiven Gefüge 
äussert. Bei dem Franzosen hob der Vortragende die leb¬ 
hafte künstlerische Initiative, seinen immer regen Er¬ 
findungsgeist, seinen Hass gegen die Tradition hervor. 
Ein geborener Revolutionär, liegt der französische Künstler 
in stetem Streit mit dem Philistergeist, der in Frankreich 
nicht minder verbreitet ist, wie bei uns zu Land. Aber 
die Reaction gegen diesen Geist des Unkünstlerischen 
sei dort nicht nur leidenschaftlicher, sondern auch pro¬ 
ductiver. 
Nachdem der Vortragende noch an einem praktischen 
Beispiel aus dem Gebiet der Möbelschreinerei die Mög¬ 
lichkeit dargethan hatte, dass auch der nicht schöpferisch 
begabte Arbeiter in gewissen Grenzen Selbständiges zu 
leisten im Stande sei, schloss er mit einem kräftigen 
Appell an das Selbstvertrauen und die Schaffensfreude 
des Einzelnen. Nicht um bizarre Einfälle und Originali¬ 
tät um jeden Preis handelt es sich, sondern darum, das
	        
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