Volltext: I. Jahrgang, 1896 (I. JG., 1896)

ÖBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Bewusstsein der Gegenwart und in zuversichtlichem Aus¬ 
blick in die Zukunft, 
Dankbar gegen Gottes Fügung, welche die Träume, 
die Sehnsucht unserer Väter in ungeahnter Herrlichkeit 
erfüllt werden Hess, dankbar gegen die Fürsten, welche 
neidlos dem weisesten Monarchen als Träger der Kaiser¬ 
krone zujubelten, gegen den Kanzler, dessen ehrfurcht¬ 
gebietende Gestalt in einziger Grösse über dem Jahr¬ 
hundert ragt, gegen die Heerführer als Denker und Lenker 
der eisernen Entscheidung, dankbar gegen die todes- 
muthigen Scharen, welche ihr Herzblut hingaben. Ist 
es doch einer stattlichen Anzahl unserer Berufsgenossen 
in jener grossen Zeit vergönnt gewesen, nicht allein mit 
der Waffe in der Hand dem Vaterlande zu dienen, sondern 
auch mit dem Rüstzeug ihres technischen Wissens und 
Könnens im Feindeslande sichere Pfade zu bahnen und 
damit die Schlagfertigkeit unserer Heere zn erhöhen, die 
Verpflegung der mobilen Massen zu sichern und die Für¬ 
sorge für die Verwundeten zu erleichtern. 
Und wenn wir Umschau halten über die Anregungen, 
welche die Jahre des Friedens seither allen Schichten 
unseres Volkes gebracht haben, so muss es uns Archi¬ 
tekten und Ingenieure nicht am wenigsten zu Dankgefühl 
bewegen, dass mit der erhöhten politischen Machtstellung 
auf den Gebieten, welche wir bearbeiten, ein wirtschaft¬ 
licher Aufschwung sondergleichen, verbunden mit einem 
mächtigen Fortschritt in der Naturwissenschaft und 
Technik, uns Aufgaben stellte, an denen unsere Kräfte 
reifen konnten, aus denen Leistungen hervorgiengen, die 
mit dem Besten, was das uns früher überlegene Ausland 
geschaffen, vollberechtigt in die Schranken treten können. 
In erster Linie sind es, dem Zuge des Zeitalters 
gemäss, welches mit realen Grössen zu rechnen liebt, 
die Arbeiten der Ingenieure. Blicken Sie auf die Aus¬ 
dehnung unseres Eisenbahnnetzes, dessen Maschen dichter 
und dichter bis in die entlegensten Winkel des Reiches 
dringen und eine erstaunliche Schnelligkeit, Bequem¬ 
lichkeit und Sicherheit des Verkehres bieten, auf die 
kühnen Brücken, welche die breitesten Ströme über¬ 
spannen, auf die Tunnels, welche die mächtigsten Gebirgs- 
massen durchdringen, blicken Sie auf die Thalsperren, 
durch welche die Kraft des Wassers und sein befruchten¬ 
der Segen der Cultur dienstbar gemacht wird, auf die 
Flüsse und Canäle, deren Fluten geregelten Laufes der 
Schiffahrt und der Landwirtschaft gleichmässig zu nützen 
gezwungen werden, und endlich auf das Riesenwerk jenes 
Canals im Norden, welches nur das geeinte Deutschland 
vollbringen konnte, auf dessen breitem Wasserspiegel 
zur höchsten Freude aller Patrioten die Handelsfahrzeuge 
aller Völker und unsere stolzen Kriegsschiffe sicher ihren 
Weg zwischen Ostsee und Nordsee finden. 
Gedenken Sie ferner der vielseitigen und vielge¬ 
staltigen Anlagen in unseren Städten, welche dem er¬ 
höhten Ansprüche der Neuzeit an Gesundheitspflege, an 
Reinheit der Luft, welche wir athmen, des Bodens, auf 
dem wir bauen, des Wassers, welches unsere Häuser 
versorgt, dem Anspruch an Lichtfülle in Strassen und 
Wohnungen kaum zu folgen vermag, so ist da ein be¬ 
wunderungswürdiger Fortschritt zu erkennen, der nicht 
mehr den reichen Großstädten allein zugute kommt, 
seine Wohlthaten vielmehr auch mittleren und kleinen 
Gemeinden erreichbar macht. Das Alles gewährt ein 
Gesammtbild, auf dem der Blick bei einem Vergleich 
zwischen Einst und Jetzt nur mit hoher Genugthuung 
ruhen kann, zumal für diejenigen, welche solche Werke, 
kühn im Plan, muthig in der Besiegung jeder Schwierig¬ 
keit und zuverlässig in der Ausführung geschaffen haben. 
Bescheidener zwar nach Umfang und Mitteln, in 
idealem Sinne aber nicht minder bedeutend, stellten sich 
dem die Werke der Architektur zur Seite. Unverkennbar 
geht durch alle deutschen Lande gemeinsam der schone 
Zug einer erhöhten Wertschätzung der Denkmäler, welche 
uns die Vergangenheit hinterlassen hat, im pflegsamen 
Erhalten dessen, was als Ganzes auf uns gekommen, 
im Wiederherstellen des Zerstörten und im Vollenden 
dessen, was die Ungunst der Zeiten nicht hat fertig werden 
lassen. Dank der hochherzigen Initiative unserer Fürsten, 
der thatkräftigen Förderung der Staatsregierungen, der 
Opferwilligkeit der Städte und Gemeinden ragen vollendet 
in die Lüfte die Thürme des Domes in Köln, des Münsters 
in Ulm, der Dome in Frankfurt, in Mainz, in Bremen, 
in Schleswig, zeugt von Pietät und Kunstsinn die Wieder¬ 
herstellung der Kathurinenkirche in Oppenheim, der 
Sebalduskirche in Nürnberg, von St. Martin in Kassel, 
der Schlosskirche in Wittenberg, der St. Willibrordikirche 
in Wesel und anderer mehr; im ehrwürdigen Gewand 
ihrer Zeit sprechen wieder zu uns die Burg Dank- 
warderode, die Wartburg, die Marienburg von der Fürsten 
und Ritter Macht und Grösse, die Rathhäuser in Ingol¬ 
stadt, Breslau, Gelnhausen und Lübeck vom stolzen 
Bürgersinn früherer Tage. Und was unsere Zeit in den 
letzten Jahrzehnten neu geschaffen hat, ist es denn gar 
so minderwertig gegenüber den früheren Meisterwerken? 
Wenn man bedenkt, wie unter ganz anderen Bedingungen 
der Architekt unserer Tage arbeitet, wie die Forderungen 
des Programms schwieriger und verwickelter geworden 
sind, wie die Hast des Lebens eine Schnelligkeit des 
Baues verlangt, welche der Vertiefung in die einzelne 
Aufgabe nachtheilig ist, wie der Nützlichkeitssinn nur 
zu oft den entscheidenden Maßstab für die Beurtheilung 
eines Entwurfes bildet, dann wird man getrost den Durch¬ 
schnittswert im Können unserer Baukünstler dem früherer 
Zeit gleich achten und hoffen dürfen, dass aus der grossen 
Fülle der Gebäude, welche das Reich, die Einzelstaaten 
und die Städte zu ihrer Repräsentation, für ihre Ver¬ 
waltungen, zur Pflege des Cultus, der Kunst, der Wissen¬ 
schaft, des Unterrichtes und der öffentlichen Wohlfahrt 
errichtet, welche kunstsinnige Fürsten und Geschlechter 
zu einem vornehmen, und wohlhabende Bürger zu einem 
behaglichen Wohnen geschaffen haben, der gerechte 
Spruch der Nachwelt doch eine beträchtliche Anzahl der 
Ehrenbenennung „Schöpfungsbauten“ würdig erachten 
wird. Es darf der Gegenwart als ein Vorzug zuge¬ 
sprochen werden, dass das Streben ihrer Architekten ein 
innerlich gesundes, auf Wahrheit und gegen falschen 
Schein, auf einen charaktervollen äusseren Ausdruck der 
Zweckbestimmung eines Bauwerkes und auf eine indi¬ 
viduelle Gestaltung gerichtet ist, dass sie sich frei machen 
von abstracten, die Phantasie lähmenden Schullehren, 
vielmehr Befruchtung der Erfindungskraft bei den Monu¬ 
menten selber suchen und sich dabei wieder dem Quell 
zuwenden, der aus der mittelalterlichen Baukunst fliesst, 
in welcher sich deutscher Volksgeist am echtesten und 
wahrsten verkörpert hat. 
Erfreulich ist es auch, zu sehen, wie der fast ver¬ 
loren gegangene Sinn für die ideale Seite des Städte¬ 
baues endlich wieder wach geworden ist, wie bereits 
manche grossen Stadtgemeinden in der Neugestaltung 
ihrer Bebauungspläne diesen Sinn zu pflegen und dem 
Unheil zu steuern bemüht sind, welches aus der unnatürlich
	        
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