Volltext: Braunauer Heimatkalender 1931 (1931)

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Ein wild heulender Herbsttag ist eben angebrochen. Klat-? 
schend peitscht der Regen die wirbelnden Blätter gegen die 
Fensterscheiben. Allein noch härter als das Toben draußen in 
der Natur ist das Kämpfen, ist das Ringen der alternden Frau 
um das Leben ihres Kindes. 
Mit tiefen, kummervollen Falten im Gesicht, die gebullten 
Fäuste in den Taschen, kämpft auch der Tobelhofbauer draußen 
bei rastlosem, unruhvvilen Wandern seinen erbitterten Kamps, 
Hart und grausam ist sein Ringen gegen die widerstreitenden 
Gefühle. Wie man ihn nach langem vergeblichem Suchen auch 
schließlich herbeirufen kann, kommt er schwerfällig und angstvoll 
in die Wochenstube. Er kann sich kaum entschließen, sein Kind 
— einen Sohn — zu begrüßen. Mit täppischer Zärtlichkeit 
hat er die schlaffen Hände der Bäuerin gestreichelt. Und nun 
— nun mustert er — die Hände in den Taschen — mit verächt¬ 
lichem Achselzucken das winzige, lebensschwache Geschöpflein in 
der Wiege. Ein kurzer Blick nur, und schon hatte er sich ab¬ 
gewandt. 
Der Landarzt — im Begriff, fortzugehen — wirft dem 
Tobelhofbauern unter der Tür einen bedeutsamen Blick zu. Er 
weist aus das Neugeborene in der Wiege: „Zn schwach — höch¬ 
stens sechs bis acht Tage," flüstert er. 
Da aber ereignet sich etwas, was der rauhe, derbe Tobel« 
hofbauer sich nie zugetraut hätte. Er greift, Halt suchend, an 
den Türpfosten und wird plötzlich von einer nie zuvor gekann¬ 
ten, seltsamen Ergriffenheit gepackt. Er starrt auf das weiße, 
eingefallene Gesicht — er sieht die flehenden Augen seines Wei¬ 
bes, sieht, wie es strahlt in erster Mutterseligkeit. . . und 
er, er weiß, daß die Alternde umsonst um ein junges Sein ge¬ 
kämpft und gerungen. Und nun überwindet er sich zum zweiten 
Male. Ungeschickt kniet er vor dem breiten Ehebett, beugt lang¬ 
sam den steifen Nacken und verbirgt den Kopf im prallgestopften 
Kissen seines Weibes —- als schäme er sich und wolle ihm Ab¬ 
bitte leisten. 
Beim „Hirschenwirt" int Dorf ist Leichenschmaus. Der 
Landarzt hatte die Lebensfähigkeit des kleinen Neugeborenen 
unterschätzt, denn noch etliche Wochen durfte sich die Tempelhof¬ 
bäuerin ihres Kindleins freuen. Ach — Gott weiß — es war 
ein zaghaftes, ein wehmütiges Freuen zwischen Beten und 
Hoffen und Bangen. 
Das neueste Ereignis dieses jungen Lebens und Melkens 
hatte viel Teilnahme im Dorfe und seiner Umgebung geweckt: 
Groß, unerhört groß war das Leichengefolge hinter dem win¬ 
zigen, weißen Kindssärglein, das unter Blumen fast verschwand . 
Beim „Hirschenwirt" ist Leichenschmaus. Immer lauter, 
immer lärmender wird des Kindleins Totenfest. 
Nur Vater und Mutter sind still. Scheu streift das Auge 
des Bauern sein Weib zur Rechten — er faßt hie und da nach 
ihrer Hand. Und die Zenzi begreift voll Zartgefühl seine Stim¬ 
mung — sie schaut ihn tief und lange an und nickt ihm traurig
	        
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