Volltext: Braunauer Heimatkalender 1930 (1930)

Wenn unsere Kinder groß geworden 
find. 
Das oberste Gesetz in der Kinderstube ist das, daß das Kind zu 
gehorchen hat. Lind nichts ist selbstverständlicher als diese Verpflichtung 
des jungen Menschen, seinen Willen dem der Eltern unterzuordnen. 
Denn das unmündige Kind ist noch nicht imstande, zu beurteilen, 
welches die Folgen einer eigenmächtigen Willensäußerung und Be¬ 
tätigung fein werde, da es noch feine Lebenserfahrung besitzt. 
Wächst das Kind heran, so entwächst es dennoch nicht dem 
Gebote der Heiligen Schrift, das besagt, daß es Vater und Mutter 
Gehorsam und Ehrfurcht schuldig ist. Immerhin gestaltet sich das 
Verhältnis zwischen den Eltern und ihren herangewachsenen Kindern 
doch ein wenig anders. 
Nun gibt es genug Eltern, denen das Selbstbestimmen, die 
Alleinherrschaft so in Fleisch und Blut übergegangen sind, daß sie 
auch von ihren erwachsenen Kindern verlangen, daß sie sich ohne 
Nachdenken ihrem Willen unterordnen müssen. 
Aus den verschiedensten Gründen jedoch würden die Eltern gut 
daran tun, an Stelle des harten, bestimmten „Du sollst. Du mußt" 
lieber eine gemäßigtere Nichtung einzuschlagen. Denn wer wollte 
Leugnen, daß nur zu leicht der häusliche Frieden gestört wird, wenn 
die jüngere Generation, die den Kinderschuhen entwachsen ist, ohne 
weiteres am Gängelband geführt wird, während sich ein annehm¬ 
bares Mittelding finden läßt, indem an Stelle des Befehls der 
freundschaftliche Nat tritt. 
Einem solchen, aus Liebe und Fürsorge heraus erteilten freund¬ 
lich beratenden Wort, einem vernünftigen, gemeinschaftlichen Erwägen 
gegenüber wird der junge Mann, die erwachsene Tochter viel eher 
zugänglich sein, als bei dem strengen, unerbittlichen Befehl. Denn die 
Eltern dürfen sich dem Umstand nicht verschließen, daß in jedem 
erwachsenen Menschen auch der Wunsch rege wird, bis zu einem ge¬ 
wissen Grade selbständig handeln und urteilen zu sönnen. Ist es doch 
auch selbst den wohlmeinendsten Eltern nicht immer möglich, ihren 
Kindern, deren Gesichtskreis sich vielleicht durch andere Lebensumstände 
ganz anders als der ihrige erweitert hat, wirklich in jeder Lebensfrage 
allein maßgebend zu fein. 
Nur zu leicht entflieht der häusliche Frieden, wenn ihn harte 
Unduldsamkeit gegen das Selbständigkeitsgefühl der erwachsenen 
Kinder untergräbt. Lind wie mancher Vater, wie manche Mutter, die
	        
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