Volltext: Eckart Nr. 5 1913/14 (Nr 5 / 1913/14)

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entschiedener entweder zur gereimten 
Strophe oder zu freien reimlosen Rhyth 
men bekennen und wenigstens in den ein 
zelnen Gedichten nicht zwischen beiden 
schwanken. Dieses Schwanken geht so 
weit, daß der Reim häufig durch den 
Gleichlaut (gefürstet — gefürchtet, emp 
fänglich — unendlich, — trug — grub, 
braust — taut, Spitzen — nisten) ersetzt 
wird, was jedem einigermaßen musikali 
schen Ohr peinlich zu hören ist. Manches 
der kürzeren Gedichte im Anfang des 
Buches scheint überflüssig. Das Wort 
„Jungfrau" verliert an Unberührtheit, 
wenn es immer wiederkehrt. Aber nach 
alle diesem wollen wir sagen, was wir 
so gerne sagen, daß dies Buch eine. starke 
Verheißung — und mehr noch — schon 
eine blühende Erfüllung bedeutet. 
„Bin ich 
Ein noch unbekannter König?" 
heißt es in dem kleinen Gedicht von 
„Joseph". Darin liegt kindlich ernsthaft 
und noch ein wenig unbeholfen jene große 
Gebärde, die diese junge Dichterin kenn 
zeichnet, und die freier hervortritt in den 
wundervollen Liedern vom „Sieger" 
vom „Wächter" und vom „Wickinger", — 
„Sein Haar riß der Sturm lobsingend 
nach vorn, 
Das Schiff unter seinen Füßen stieg auf 
Wie ein Hengst unterm Sporn ..." — 
irrt „Geleitspruch" oder im „Goldenen 
Vließ", — all diesen Versen, die in einer 
knabenhaften Herbheit und Enthaltsam 
keit von jedem Beiwerk, in ihrer Rassig- 
keit und ihrem verhaltenen Temperament 
vollkommen sind. Eine Gefahr für die 
Anschaulichkeit ihrer Verse mag Elisabeth 
Paulsen in ihrer Neigung zum Gedank 
lichen, ja, in jenen: Zug zur mystischen 
Versenkung suchen, der eine Lebensquelle 
für die Rnn]t feit: kann, wenn er Ausgleich 
in der Freude am wirklichen Geschehen 
findet. So rund gesehen, so in knappen 
Zeilen volle Bilder von tiefen Farben 
gebend wie der Zyklus „Veatrice" ist 
keines der anderen Gedichte. Hier folgt 
die Hand mit zartem, festem Strich un 
mittelbar den Weisungen der schauenden 
Seele. Die Bilder der englischen Prä- 
rafaeliten fallen einem dabei ein, wie 
einem überhaupt beim Lesen der Ge 
dichte die verzückte Innigkeit Vurne- 
Jones^ scher Frauengeftalten zuweilen 
traumhaft vorüberzieht. — 
Auch kurze, sangbare Lieder gelingen 
der Dichterin, aufjubelnd wie ein Vogel 
schlag am Frühlingsmorgen („Wanderlied" 
„Wenn ich fröhlich bin"); andere, schwer 
und bebend, Tropfen unverfälschter 
Traurigkeit („Abschied", „Vor Abend", 
„Als er noch bei ihr war"). 
Kaum einer von denen, die ungeduldig 
in das verworrene Getön unserer heutigen 
Lyrik hineinlauschen, wird sich dem reinen 
und vollen Klang dieser neuen Stimme 
entziehen können. Man wird den Namen 
Elisabeth Paulsens nicht vergessen, sondern 
begierig aufhorchen, wo und wann immer 
er wieder erklingt. Ina Seidel. 
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Schubring, Paul. Hilfsbuch zur Kunst 
geschichte. He ilige nle gend en, My th olo gie, 
Technische Ausdrücke, Zeittafeln. K. 
Curtius, Berlin 1913. Zweite Auflage. 
244 S. 6 Karten, geb. 3,60 Jt. 
Mit außerordentlichem Glück kommt 
der Verfasser durch dieses Buch einem Be 
dürfnis entgegen, das umso stärker fühl 
bar wurde, je weiter die Beschäftigung 
mit der bildenden Kunst in die breiten 
Schichten des Volkes gedrungen ist. Der 
Beschauer, namentlich der älteren Kunst, 
begegnet auf Schritt und Tritt Rätseln, 
die ihm von den Bildern aufgegeben 
werden. Da ist, um nur ein Beispiel zu 
nennen, die Brust der Maria von sieben 
Schwertern durchbohrt. Ein Blick in die 
erste. Abteilung des Hufsbuchs belehrt 
uns bei dem Artikel „Maria" darüber, 
daß sie die sieben Schmerzen Mariens, 
die einzeln aufgeführt werden, bedeuten. 
Ein alphabetisch angelegtes Verzeichnis 
berichtet über die wichtigsten Heiligen und 
deren zum Verständnis so notwendige 
Symbole; ein anderes über jene mytho 
logischen Szenen, die sich in der bildenden 
Kunst am häufigsten dargestellt finden; 
ein drittes handelt von den zahlreichen 
technischen und kunstgewerblichen Aus 
drücken, die uns tagtäglich im Leben und 
bei der Lektüre begegnen und doch so 
manches Mal unverständlich sind. In 
einem besonderen Abschnitt wird die 
italienische Renaissancekultur, die Hoch 
burg der Kunst, geschildert. Die bedeu 
tendsten außerdeutschen Museen finden 
sich zusammengefaßt, und die notwendig 
sten Daten aus der gesamten Geschichte 
werden in einer übersichtlichen Zeittafel 
vorgeführt. Alles Dinge, die man wohl 
getrennt in großen Werken müh sän: nach 
schlagen konnte, deren Zusammenstellung 
aber bisher fehlte. Dabei schöpft der Ver 
fasser. aus der Fülle eines reichen und
	        
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