Volltext: Eckart Nr. 5 1913/14 (Nr 5 / 1913/14)

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ungeliebten Manne fortläuft, statt, wozu 
sie ausreichend Gelegenheit hat, die Sach 
lage vorher zu klären und entweder einen 
Bruch herbeizuführen oder aber- sich dem 
Zwange der Verhältnisse zu fügen und 
still zu resignieren, und wenn, im Gegen 
satz zu dem Roman, mit der Flucht das 
Stück abschließt, ohne daß wir hinterher 
volle und ausreichende Erklärungen er 
halten und ohne daß wir den Leidensweg 
sehen, durch den Jettchen sühnt, was an 
dem Verhängnis ihre Schuld ist, so wirkt 
das für den, der den Roman nicht kennt, 
als eine unüberlegte Handlung, eine Ge 
fühlsunklarheit, eine Rücksichtslosigkeit 
gegen die Pflegeeltern, ja als eine Herzens 
roheit, die das Charakterbild, das Hermann 
auch in seinem Drama mit liebevoller 
Geduld zusammengepinselt hat, durch 
einen brutalen Schnitt hoffnungslos zer 
stört. Das ist, da man nicht erwarten 
kann, daß dem Betrachter des Stückes 
der Roman selbst noch in dem Teil, der 
in den Rahmen des Dramas nicht mehr 
hineinging, bekannt zu sein hat, Theater, 
übles, mißverstandenes Theater. Hier hätte, 
da dieser Schluß gänzlich resonanzlos 
ist, ein neuer aus den Bedingungen des 
Dramas heraus entwickelter Schluß ge 
funden werden, hier hätte Hermann neu 
formen, nicht bearbeiten müssen. Der 
jetzige Schluß verstimmt umsomehr, als 
Hermann, wie stets, so auch in diesem 
Schauspiel, sonst ein Mann der leisen 
Worte und des stillen sorgsamen Tuns ist. 
Auch über Frank Wedekinds 
„Simson" kann ich mich kurz fassen. 
Vergleicht man dies dreiaktige dramatische 
Gedicht mit dem vorjährigen Stück 
„Franziska" (siehe Heft 1 Jahrgang VIII), 
so muß man zugestehen, daß eine gewisse 
Selbstbesinnung, eine Steigerung des 
Wollens und auch des Könnens es nicht 
nur über die unfreiwillige Faustparodie, 
sondern über manches hinaushebt, was 
Wedekind in den letzten Jahren hervor 
gebracht hat. Die (relative) Höhe 
seiner Erstlinge ist auch diesmal nicht 
erreicht. Krampf, Unnatur, Zuckungen 
sind im Laufe der Entwickelung 
an die Stelle des (spezifischen) Kön 
nens, der (abseitigen) Natur und der 
(fahrigen) Bewegungen getreten. An 
einen im Erlöschen begriffenen Krater 
wird man erinnert. Wohl grollt es unter 
irdisch noch dumpf, Erschütterungen zeugen 
für ringende Kräfte, zu einem schaurig 
schönen, zu einem durch seine Gewalt be 
zwingenden Ausbruch kommt es nicht mehr. 
In äußerer Anlehnung an die biblischen 
Vorgänge hat Wedekind die Simson- 
legende nachgestaltet, mühsam und schlecht 
versifiziert und, statt sie von innen her zum 
Drama zu entwickeln, ins Wedekindsche 
umgedeutet. Im ersten Akt finden sich, 
obwohl die Philisterfarce schon hier jene 
abstoßende Maßlosigkeit zeigt, die Wede 
kinds Gesamtwerk beherrscht, noch Stellen, 
denen balladeske Wucht nicht abzustreiten 
ist. Dann aber drängt sich, während Sim- 
son aus einem seiner Sinnengier erliegen 
den Helden zum traurigen Repräsentanten 
des in echt wedekindscher Weise aufge 
faßten Dichtertums wird, Delila, die 
Hure mit dem Heiligenschein, und der 
Philisterkönig Og von Basan, der blut 
rünstige Beherrscher der blöden Masse, 
gegen die Wedekind seit Jahren seine 
Dichtungen schleudert, immer weiter vor, 
und alles endet in platte Ohnmacht. 
Betrachtungen, Redereien, Vorträge über 
hundert und einige Fragen machen sich 
breit und wirken um so lächerlicher, als 
sie nicht nur Banalitäten mit falscher 
Vänkelsängergeste vortragen, sondern auch 
in eine nur ganz obenhin versifizierte Form 
gefaßt sind, bei der uns nichts bleibt als 
das höhnische Lachen. Man höre: 
Einmal preisgegeben 
Den Blicken fremder Männer, wählt das 
Weib 
Sich aus den fremden Männern den, der 
fürchtet, 
Es zu verlieren, der nicht prahlerisch
	        
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