Volltext: Eckart Nr. 5 1913/14 (Nr 5 / 1913/14)

Drängte Lutz sich damals, nicht ohne Glück 
und Geschick, in die gefährliche Nähe von 
Hauptmanns herrlichem Florian Geyer, 
so liefert er sich jetzt dem hochachtbaren, 
aber bedeutungslosen Volksstück aus. 
Aber selbst dann, wenn ich an das Werk 
den Festspielmaßstab anlege, vermag ich 
keine Besonderheiten von Belang darin 
zu entdecken. Getreue, geschichtlich be 
stimmte lebende Bilder von einer Grob- 
linigkeit und knallbunten primitiven Far 
bigkeit, daß Schönherr, dagegen ge 
haltert, zartfarbige Pastelle gab — das 
ist^s, was Robert Lutz uns als Drama 
bietet. Irgend ein wesentliches Plus 
gegenüber dem, was jeder Gebildete an 
Gefühl und Anschauung bei Beginn der 
Lektüre bereits besitzt, gibt Lutzens Andreas 
Hofer weder durch das Wort, noch durch 
die Gestalten, noch durch seinen Anschau- 
ungs-, seinen Gefühls- und seinen Jdeen- 
Gehalt. Auch das aufgeplusterte feuille- 
tonistische Vorwort „Die Entscheidungs 
stunde" vermag an diesem Urteil nichts zu 
ändern. Eher schon pulst in der, dem 
Gegenspieler Napoleons gewidmeten, 
„Rückschau 1913" jenes Gefühl, das in 
dem Werk in Gestaltungen umgesetzt 
werden mußte, wenn es Eigenart be 
sitzen sollte. So klingen die Stellen dieser 
Rückschau, die sich, statt leitartikelnde 
Versausführungen zu geben, mühsam 
dem Dichterischen wenigstens annähern. 
Und aus dem Mark des Volks, das er 
verachtet, 
stand ihm mit Ungewitters Kraft 
der Gegner auf. 
Mit Riesengrimm hob sich der Arm 
der Männer, Knaben, Greise, 
auf die er seinen Fuß gesetzt. . . . 
Und wie die Scholle den Ackersmann, 
der eisern jährlich sie gepflügt, 
am letzten Tage in sich schlingt —• 
von seinem Schweiß, 
zuletzt von seinem Leib gedü igt —• — 
So haben wir ihn niedergerungen 
und niedergeschlungen. 
Georg Hermanns „Jettchen 
Gebert" ist wie Henry Rathansens hier 
kürzlich besprochenes Schauspiel „Hinter 
Mauern". (Heft 3, Jahrgang VIII) ein 
jüdisches Milieustück, aber eins, das weit 
mehr (freilich nicht völlig) tendenzlos 
und wenn auch nicht volldichterisch, so 
doch ohne Zweifel um vieles dichterischer 
ist. Stoff, Figuren und Handlungsführung 
decken sich in allem Wesentlichen mit Her 
manns gleichnamigem Roman und dem 
Eingang seiner Fortsetzung „Henriette 
Jakoby"*). Gerade weil derlei nachträg 
liche Dramatisierungen in der Regel eine 
künstlerische Barbarei darstellen, sei aus 
drücklich betont, daß der Dichter — denn 
ein Dichter ist Hermann, wenn auch kein 
starker, großer und vielseitiger! — sich auch 
hier als vornehmer Künstler bewährt. 
Gewiß sind die Schilderungen und Ge 
staltungen des Romans, wie das in der 
Sache liegt, eindringlicher und farbiger, 
aber dennoch bleibt es, trotzdem manches 
fehU, erfreulich, wieviel des Besten 
Hermann aus seinem Roman in das 
Drama hinübergerettet hat. Das Berliner 
Judentum der Biedermeierzeit, wie es 
leibt und lebt, präsentiert sich auch in dem 
Schauspiel noch so humorvoll und echt, 
daß die Wirkung, die bei der Lektüre 
allerdings weit stärker als beim An 
schauen der Bühnendarstellung ist, nicht 
ausbleibt. An einen Aquarellisten wird 
man erinnert, der immer wieder die 
gleichen Flächen überpinselt und trotz 
hundertfachen Auftrages niemals die 
starke Leuchtkraft der Farben dessen, der 
in Ol malt, aber eine Delikatheit und 
Zartheit der Tönung erreicht, die diesem 
durchaus verwehrt ist. Lediglich der 
Schluß des Schauspiels ist von jener 
ästhetischen Barbarei, die sonst die ganze 
Arbeit des Roman-Dramatisierers kenn 
zeichnet. Wenn Jettchen auch hier un 
mittelbar noch der Trauung mit dem 
*) Dieser liegt bereits in der 28., jener gar 
in der 38. Auflage vor.
	        
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