Volltext: Eckart Nr. 5 1913/14 (Nr 5 / 1913/14)

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geworden sind, und wir reden gerne immer nur von der Perücke jener steifen 
Zeit, die durch die Pariser Revolution, durch die Räuber und den Werther 
besiegt und in ihrer hohlen Lächerlichkeit aufgedeckt worden sei. 
In Wahrheit sollen wir jener Zeit und ihres Geistes nur mit be 
schämter Ehrfurcht denken. Es war nicht die Zeit der galanten Romane 
und der Nippsachen, das ist Außenseite, es war auch nicht die Zeit des unter 
drückten Bürgertums und der Untertanenverkäufe, oder dis Zeit des Puders 
und Zopfes. Das alles kann für jene Tage nicht so wesentlich gewesen sein, 
wie unsere Kulturhistoriker und die Autoren historischer Romane uns glauben 
machen wollen; denn dies alles, das übrigens auch so schon eine recht aner 
kennenswerte und einheitliche Außenkultur darstellt, wird unendlich klein 
und versinkt fast völlig, sobald wir heute mit Ernst den Blick auf jene Epoche 
richten. Wir tun Unrecht, wenn wir die Inferiorität des achtzehnten Jahr 
hunderts aus seiner äußeren Kultur zu beweisen suchen, die der unseren 
immer noch stark überlegen ist. Wir sollten lieber jenes Vorurteil aufgeben, 
welches in Schiller, Goethe und Herder nicht Erben und Vollender, sondern 
Revolutionäre und Stürmer sieht. Sonst wäre Schillers Bedeutung in den 
Räubern, die Goethes im Werther erschöpft, und Schubart oder Lenz müßten 
höher als jene stehen. 
Dies Vorurteil ist zum Teil eine Frucht der Romantik, zum Teil 
auch aus dem Patriotismus der Befreiungskriege geboren, und es wäre gut, 
wenn es bald vollends verschwände. Wenn wir ohne Vorurteil die Perücke 
des achtzehnten Jahrhunderts lüften, um zu sehen, was unter der Maske 
steckt, so finden wir, Name an Name und Werk an Werk, einen kulturellen 
Reichtum und eine kaum übersehbare Ehrentafel des höchsten Menschentunis 
ausgebreitet, vor der wir beschämt verstummen. Auf allen Gebieten des 
Geistes, in allen Wissenschaften und Künsten sehen wir eine Blüte ohnegleichen, 
und nicht nur eine zufällige glückliche Häufung von einzelnen Begabungen, 
sondern eine Höhe des Durchschnitts, welche eben das Zeichen allgemeiner 
Kulturhöhe ist und überall nach demselben Zentrum gerichtet erscheint. 
Philosophen und Naturforscher, Dichter und Artikelschreiber, Politiker und 
Redner zeigen nicht nur eine allgemeine Höhe der Bildung und eine schöne 
formale Tradition, sondern sie haben alle das gemeinsam, daß sie, unserer 
Zeit der Spezialistenarbeit genau entgegengesetzt, stets vom Kleinen und Ein 
zelnen nach dem Ganzen zielen und mit instinktivem Trieb nach einer ein 
zigen, universalen Sonne gerichtet sind, nämlich eben nach jenem mensch- 
heitlichen Ideal. Und welche wunderbare Fülle von Begabung, von Arbeit, 
von Können, von Zusammenarbeit! Welche Schar von großen, herrlichen 
Menschen, deren beinahe jeder uns wie eine Verkörperung jenes Ideals 
erscheint! Nein, das achtzehnte Jahrhundert ist nicht der parfümierte Liebes 
winkel oder der putzige Eitelkeitsmarkt, als welchen die Deutschtümler es 
uns darstellen wollen, es ist vielmehr ein Pantheon, vor dem wir voll Dank 
barkeit und höchster Ehrfurcht stehen sollten.
	        
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