Volltext: Eckart Nr. 5 1913/14 (Nr 5 / 1913/14)

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und die Vernunft ist frei und selbst nichts anderes als ein ewiges Selbst- 
bestimmen ins Unendliche. Alle Künstler sind Dezier, und ein Künstler 
werden heißt nichts anderes, als sich den unterirdischen Göttern weihen. 
In der Begeisterung des Vernichtens offenbart sich zuerst der Sinn gött 
licher Schöpfung. Nur in der Mitte des Todes entzündet sich der Blitz des 
ewigen Lebens." 
Diese stete Selbstvernichtung ist eines der Hauptinerknrale der Ironie, 
wie Schlegel sich den Begriff aus der Philosophie Fichtes bildete. Äußerlich 
ging er aber aus von der angeblich sokratischen, wie er sie in den Lyceums- 
fragmenten dokumentierte und praktisch vor allem in Goethe schon sehen 
wollte. Die sokratische Mischung von Scherz und Ernst zog ihn an und ließ 
ihn in der „Geschichte der Poesie der Griechen" einige Äußerungen darüber 
tun. Wichtiger sind die Fragmente, in denen er seine Auffassung weitläufiger 
auf diese Ansicht konzentriert, dabei aber schon eine Wandlung von dem 
ursprünglichen, auch von uns als „sokratische Ironie" bezeichneten Begriffe 
verrät, wie er ihn in dem genannten Aufsatze entwickelt hatte. „Die So- 
kratische Ironie, heißt es im 108. Lyceumsfragment, ist die einzige durchaus 
willkürliche und doch durchaus besonnene Verstellung. Es ist gleich unmöglich, 
sie zu erkünsteln und sie zu verraten. Wer sie nicht hat, dem bleibt sie auch 
nach dem offensten Geständnis ein Rätsel. Sie soll niemanden täuschen als die, 
welche sie für Täuschung halten und entweder ihre Freude haben an der 
herrlichen Schalkheit, alle Welt zum Besten zu haben, oder böse werden, 
wenn sie ahnen, sie wären wohl auch mit gemeint. In ihr soll alles Scherz 
und alles Ernst sein, alles treuherzig offen und alles tief verstellt. Sie 
entspringt aus der Vereinigung von Lebenskunstsinn und wissenschaftlichem 
Geist, aus dem Zusammentreffen vollendeter Naturphilosophie und vollen 
deter Kunstphilosophie. Sie enthält und erregt ein Gefühl von dem unauf 
löslichen Widerstreit des Unbedingten und des Bedingten, der Unmög 
lichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung. Sie ist die 
freieste aller Lizenzen, denn durch sie setzt man sich über sich selbst weg; und 
doch auch die gesetzlichste, denn sie ist unbedingt notwendig. Es ist ein gutes 
Zeichen, wenn die harmonisch Platten gar nicht wissen, wie sie diese stete 
Selbstparodie zu nehmen haben, . . . den Scherz gerade für Ernst und den 
Ernst für Scherz halten." Haym macht (Romantische Schule S. 258 f.) 
mit Recht darauf aufmerksam, daß in dieser Erklärung durch Ausdrücke wie 
„stete Selbstparodie", „Gefühl von dem unlöslichen Widerstreit des Unbe 
dingten und des Bedingten, der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer 
vollständigen Mitteilung", „durch sie setzt man sich über sich selbst weg" 
schon verraten ist, daß Schlegel die historische Bedeutung der sokratischen 
Ironie bereits umgemodelt hat. Noch deutlicher wird diese Entfremdung 
im 42. Fragment, in dem die Ironie als zur Philosophie gehörig bezeichnet 
wird, aber doch in die Poesie übernommen werden müsse. „Die Philoso 
phie ist die eigentliche Heimat der Ironie, sagt er, welche man logische Schön
	        
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