Volltext: Eckart Nr. 5 1913/14 (Nr 5 / 1913/14)

Pletsch selber, der übrigens die „Deutsche Jugend" nur dem Namen 
nach mitredigierte, lernte ich erst etwas später persönlich kennen; und der 
große, kräftige Mann mit dem verhaltenen Selbstgefühl war mir rasch ver 
traut. Seine anmutigen Kinderzeichnungen mit ihren hübschen Einfällen 
setzen sich heute wieder durch, nachdem man sie eine Zeit lang au, ihre 
Überpopularität hin unterschätzt hat. Er war Spezialist, etwa wie Katzen- 
Raphael; aus anfänglicher Unproduktivität durch seine zwei Mädelchen auf 
die Kinderstubenreize geraten; ein erstes Kinderbuch, das der Plötzen- 
seer Stiftspastor Oldenburg mit allerliebsten, gradezu vorbildlichen Kinder 
reimen versehen, hatte der „Landwehrmann Pletsch" Ende der 50er Jahre 
dem Kronprinzen gewidmet und damit sein Glück gemacht. Die Mütter 
überschütteten ihn mit Photographien ihrer „Lieblinge", aus denen er 
Pletschkinder machen sollte, und so hat er ungewollt durch die Individuali 
sierung seiner Kinder zur Entwicklung jenes Kinderkultus beigetragen, aus 
dem „das Jahrhundert des Kindes" geboren worden ist. Die Berliner 
Kollegen wollten nicht viel von ihm wissen, so hatte er sich schließlich in 
eine Villa in Niederlößnitz bei Dresden zurückgezogen. Flinzer, sein einstiger 
Dresdener Studiengenosse, erzählte eine lustige Anekdote, die seine frühere 
Hilflosigkeit charakterisiert: es sah mit dem Nachwuchs der Dresdener Schule 
überaus dürftig aus, das „Mausen" von Vorbildern war so an der Tages 
ordnung, daß eines Tages eine Liste herumging, worin die jungen Akade 
miker sich verpflichteten, hinfort nicht mehr zu mausen. Nur zwei unter 
zeichneten nicht: ein alter Herr und — Oskar Pletsch! 
Wichtiger wurde für mich die persönliche Bekanntschaft mit 
Ernst Keil. 
Er strahlte, als wir uns begrüßten — das Experiment mit „Aus 
gärender Zeit" hatte ihm ungemeinen Spaß gemacht. War der Roman auch 
nicht ganz ohne Widerspruch geblieben: im ganzen war es geglückt. Nament 
lich in Volkskreisen war der Erfolg ein sehr starker gewesen; ich bin den 
Zeugnissen dafür in den folgenden Jahren noch auf Schritt und Tritt begegnet 
— Rudolf Herzog berichtete mir einmal, daß sein ganzer Jugendkreis ein 
Jahr lang geistig ausschließlich im Banne dieses Romans gestanden, für 
keine andere Lektüre Sinn gehabt hätte. Ich selber hatte noch nicht den 
Mut gefunden, ihn zu lesen, als mir die Werner-Bürstenbinder nach acht 
Jahren ganze Stellen aus dem Gedächtnis zitierte und mich dringend zur 
Herausgabe in Buchform aufforderte. Ein Verlegerwunsch machte ein 
Ende, und ich überzeugte mich, daß das Werk einer Durcharbeitung wohl 
wert war. Freilich zerpflückte es dann das letzte Heft von Sacher-Blasochs 
„Auf der Höhe"; dagegen gab es ein glänzendes Feuilleton über „Victor 
Blüthgens neuesten Roman" in der Täglichen Rundschau, und er hat sich bis 
heute, wo er zu den Reclambüchern zählt, durchgesetzt. Bartels schätzt ihn, und 
ein Verzeichnis im Buchhändler-Börsenblatt hat ihn gar vor nicht lange 
zu den 100 besten deutschen Romanen gerechnet! (Vergl. Eckart VI, S. 673).
	        
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