Volltext: Heimatland Wort und Bild aus Oberösterreich Nr. 20. 1928 (Nr. 20 / 1928)

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„Hoffentlich heilt ihn dieser Neinsall ant besten von seiner 
schnell entfachten Begeisterung, die beinahe etwas Beängsti 
gendes hat." 
Ow Erkel strich sich immer wieder verlegen über die Stirn. 
„Was machen wir denn da?" fragte er ganz zaghaft. 
„Herr von Thümen hat sich trotz allen Abmahnens vorhin in 
die Watten begeben und ich fürchte, ich bin schuld, wenn ihm 
etwas geschieht. Er kennt die Gefahren des Schlicklaufens 
noch nicht und man weiß nicht, ob ihn nicht die Flut überrascht, 
ehe er sich dessen versieht." 
Britta war blaß geworden. 
„Allein ist er fort?" fragte sie gepreßt. 
„Ganz allein. Ich sah ihn von: Schulfenster ans recht 
unbedacht über Bai und Priel springen." 
Britta unterdrückte mit Mühe einen Seufzer. 
„Ich habe Herrn von Thümen gebeten, auf Hallig Hooge 
zu bleiben", sagte sie einfach, „weil ich der Meinung bin, Frau 
von Este wird hier nicht lange aushalten, dann würde es sich 
ja erübrigen, ihretwegen die Hallig zu verlassen." 
Ow sah seine Schwester durchdringend an. 
„Du bist unheimlich klug, Britta, viel klüger als wir 
Mannsleute. Aber ich glaube, du unterschätzest Frau von Este 
doch, wenn du glaubst, daß sie etwas freiwillig aufgibt, was 
sie einmal will." 
Und heimlich dachte er und ein Schauer durchrann ihn: 
„Wenn sie deinetwegen bleibt?" 
So hatte ja noch niemand mit dem weltfremden Hallig 
lehrer gesprochen, hatte ihn keine Frau angesehen, noch keine 
sein Blut so in Wallung gebracht, wie die Fremde nut den 
leuchtenden Nixenaugen und dem feenhaft schwebenden 
Gang. 
Und doch war in ihm etwas, das ihn warnte, ein ahnendes 
Erschauern wie vor einer großen Gefahr, in der er rettungslos 
versinken mußte. Dazu der quälende Gedanke, daß er, gegen 
seinen Willen, wirklich Holm keinen Freundschaftsdank geleistet 
hatte. 
Ow zermarterte sich den Kopf noch, als Britta längst in 
der Küche beschäftigt war, was es wohl sein könnte, das Holm 
von Thümen so feindlich gegen die schöne Frau stimmte, die 
so fein und reizvoll war, wie er noch keine gesehen. 
„Vielleicht hat sie ihm einen Korb gegeben", folgerte er, 
und ein Lächeln huschte um seinen bartlosen Mund. War es 
ein Lächeln geschmeichelter Eitelkeit, die plötzlich den sonst so 
Bescheidenen anwandelte? Oder zauberte es die Erinnerung 
an gestern abends herauf, wo die grünschillernden Augen ihn 
verlangend und leuchtend lockten? 
Den: armen Schullehrer, der sonst so selbstgenügsam und 
so unbeirrt im Leben stand, schwindelte fast vor dieser wunder 
lichen Tatsache, doch gefestigt genug, um zu begreifen, daß alles 
das nur Blendwerk war, ein Traum, der entfliehen würde wie 
die Wellen, die so oft schaumgekrönt an seine Fenster schlugen. — 
Und während sein Auge hinausirrte auf das graue Watt, 
wollte es ihn bedünken, als bedeute dieser schimmernde Traum 
ihn: nichts Lockendes, nichts Märchenschönes mehr. 
Was hatte' ihm seine lichte Seele nur so schnell verdüstert? 
Gewiß der Gedanke, daß der arme Schiffer Jens, dem die 
Fremde zum Verhängnis wurde, in den Wellen seinen Tod 
gefunden. Ja — ganz gewiß — das war es! 
Und plötzlich hörte er einen geheimnisvollen, wunderbaren 
Ton ans der Tiefe dringen und er schauerte leise zusammen. 
Oder war der Ton, der aus dem Grund des gärenden Schlam 
mes schwermütig aufstieg, der ihn: immer an die Seele griff, 
ein Seufzer der Toten, die schon lange tief unten in den Wassern 
schliefen? 
Ein einsamer Vogelruf hallte noch durch die Stille und 
leise klagte der Wind. Da schloß Ow, selbst bis ins Innerste 
getroffen, das kleine Fenster. 
* H 
-st 
Eike war in grenzenloser Aufregung. Stine mühte sich 
umsonst, die „Teern" zu irgendeiner Beschäftigung anzuhalten. 
Bald war Eike auf dem Boden und guckte durch Ows Fernrohr 
über das Watt oder sie schoß wie ein Pfeil nach Peer Owens 
Hütte. Dort, als wolle sie ihr Tun verbergen, hob sie sich auf 
die Zehenspitzen und guckte wieder durchs Fenster in die Stube. 
Zornrot, die kleinen Hände zu Fäusten geballt, stand sie 
da und sah, wie Jutta ungeniert Peer Owens Truhe auspackte. 
Die Truhe, die allen so heilig, die Eike nie gewagt hätte an 
zurühren. 
- Peer Owens hatte darin sein Wertvollstes, auch sein 
Gesangbuch, verwahrt. Voll Staunen und Empörung ver 
folgte Eike, wie Jutta mit unbegreiflicher Selbstverständlichkeit 
ein Stück nach dem andern aus der Truhe nahm und es neu 
gierig nach allen Seiten drehte und wendete. 
Eike hätte schreien mögen, so weh tat ihr das, aber sie 
blieb ruhig und starrte nur immer unverwandt in die Stube. 
Jetzt gewahrte Eike, wie die schöne Frau plötzlich erschrack, 
indem sie ein Bündel Kleidungsstücke aufrollte. Dann hielt 
Frau Jutta ein kleines Medaillon an feiner Kette in der Hand 
und starrte, als erblicke sie etwas Entsetzliches, darauf hernieder. 
Und dann — dann geschah das Unfaßbare — die fremde 
Frau, sich ein paarmal scheu in der Stube umschauend, hing 
das feine Kettlein um ihren Hals. Das Medaillon verbarg 
sie rasch unter dem Busentuch, dann verschloß sie eilig, die 
anderen Sachen zusammenpackend, alles wieder in die Lade. 
Eike sprang mit einem Satz zur Tür und in die Stube. 
Die schwarzen Angen des Mädchens flammten. 
„Sofort legt Ihr das Kettlein wieder in die Truhe", 
herrschte sie die Ueberraschte an, „das Ihr Peer Owens ge 
stohlen habt." 
Jutta war leichenblaß geworden. 
„Was fällt dir denn ein, Mädchen?" fragte sie, ihren 
Schrecken bekämpfend. „Wie kannst du dir erlauben, hier 
ohne weiteres einzudringen?" 
„Bevor Ihr kamt, war ich hier", verteidigte sich Eike. 
„Hier bin ich zu Hause und Ihr habt hier nichts zu suchen, selbst 
wenn Ihr an den ,SchoolmesteU dafür zahlt." 
„Höre mein Kind", entgegnete Jutta, die ihre Fassung 
wiedergefunden, mit Gönnermiene. „Du scheinst nur recht 
wenig Lebensart zu besitzen und dein Vormund hat alle Ursache, 
dich strenger zu nehmen. Ich werde darüber mit ihn: sprechen. 
Jetzt mach' gefälligst, daß du aus meiner Stube kommst, sonst 
will ich dir zeigen, wie man mit unartigen Kindern umgeht." 
Eike richtete ihre biegsame, junge Gestalt stolz auf. Die 
dunklen Augen blitzten im Zorn, als sie losbrach: 
„Ihr wollt mich aus meinen: eigenen Hause weisen, 
weil Ihr gestohlen habt? Ja, glaubt Ihr denn, daß Eike Owens 
dumm ist, ganz dumm? Legt die Kette, die Ihr an: Halse 
tragt, sofort wieder in die Truhe oder ich laufe zun: Vogt und 
melde, was ich gesehen." 
Nun wurde Jutta aber doch unruhig. Diesen: unmöglichen 
Geschöpf war ja alles zuzutrauen. 
„Mein liebes Kind", lenkte sie mit überlegenen: Lächeln 
ein, „du hast dich gründlich getäuscht. Vor Langeweile begann 
ich neugierig die alten Sachen durchzusuchen, dabei, als ich 
mich über ein Kleiderbündel in der Truhe, beugte, löste sich die 
Kette von meinem Halse und fiel in die Kleider hinein. Da 
hast du gewiß gesehen, wie ich das Schmuckstück wieder heraus 
nahm und um meinen Hals hing. 
In: übrigen kannst du das Medaillon sehen" — sie fühlte 
in diesem Augenblick selbst, wie gewagt ihr Beginnen war — 
„da, schau her, es ist das Bild meiner Schwiegermutter und 
hat nichts mit Peer Owens,zu schaffen." 
(Fortsetzung folgt.) 
Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Der tatst. Preßvevein der 
Diözese Linz. — Verantnv. Redakteur: Gustav Putz. — Drucker: 
Mab. Buchdruckerei bes kath. Preßvereines (vevantw. Leiter: 
Franz Stinbl). Sämtliche in Linz, Landstraße 41.
	        
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