Volltext: Heimatland Wort und Bild aus Oberösterreich Nr. 20. 1928 (Nr. 20 / 1928)

Hallig Hooge 
Ein Nordsee-Roman von Anny Wothe. 
Amerikanisches Copyright 1917 by Deutsche Verlagsanstalt, 
Stuttgart. 
11. Fortsetzung. Nachdruck verboten. 
„Nicht nur, weil mir Herr vou Thümen das armselige 
Leben rettete, sondern weil ich zum ersten Male seit langer 
Zeit suhle, daß das Lebeu doch schön und lebenswert ist. Wer 
jahrelang wie ich, durch Dunkel und Leiden ging, der empfindet 
jeden Sonnenblick als köstliches Geschenk." 
Britta sah unsicher in Juttas Gesicht. Wie sich die blassen 
Wangen vor innerer Erregung heiß röteten und in welchem 
Feuer ihr seelenvoller Blick Britta in das Herz leuchtete. 
Britta wurde ganz irr an sich selbst. Sollte sie die Frau 
doch zu hart beurteilt haben? Sollte ihr auch vielleicht Thümen 
Unrecht tun? Etwas wie Beschämung stieg in Brittas Seele 
auf. Hatte sie ein Recht, der Fremden so feindselig zu begegnen, 
die, kaum dem Tode entronnen, doch ihres Mitleides, ihrer 
Teilnahme bedurfte? 
Schon wollte sie voll warmen Mitempfindens Jutta die 
Hand entgegenstrecken, da fiel ihr wieder ein: 
„Sie hat den Mann betrogen, der mehr als jeder andere 
das Beste und Schönste im Leben verdiente", und sie trat weit 
von Jutta zurück. 
Jutta hatte wohl den Umschwung in Brittas Stimmung 
bemerkt. Ein sinnbetörendes Lächeln zuckte um ihren blaß 
roten Mund. Die dumme Deern wollte sie schon kriegen. 
Brittas Zurückweichen störte Jutta nicht weiter in ihrer Sieges 
gewißheit. 
Sie hatte schon andere bezwungen, als die Schwester des 
Schulmeisters von Hallig Hooge. 
Als Britta aus der Hütte schied, begleitete Frau von Este 
das junge Mädchen sogar noch ein Stück des Weges zurück. 
Sie dachte, dabei Holm von Thümen zu treffen. Ihre 
Seele war voll innerem Jubel, denn hier auf dem kleinen 
Eiland, kaum eine halbe Quadratmeile groß, konnte er ihr nicht 
entschlüpfen, wie wohl anderswo. 
Weint er nun aber die Insel verließ? 
Einen Augenblick setzte Juttas Herzschlag aus, dann 
musterte sie Brittas ranke, schlanke und doch sH kraftvolle 
Schönheit. Nein, Holm müßte ja gar kein Mann sein, wenn 
ihm dieses Mädchen nicht gefiel. 
Aber den Kampf mit dieser da nahm sie auf, sie kannte 
ihre Macht und wollte sie um jeden Preis geltend machen. 
Als Britta ins Haus zurückkehrte, war die Schule aus und 
Ow stand in der Tljr und sah zu, wie sich seine kleine Schiller 
schar, flachsköpfige „Deerns" und blauäugige „Jungs", den 
schmalen Steg zum Vorland hinabtummelten. Bei Brittas 
Kommen wurde sein Heller Blick finster und durch ein Zeichen 
deutete er ihr, zu ihm in die Schulstube zu treten. 
Sie tat es rasch und gewappnet, denn sie wußte, der 
Blick ihres Bruders bedeutete nichts Gutes. 
„Was soll's, Ow?" fragte sie, „ich habe Eile. Es ist bald 
Mittngzeit und noch nichts hergerichtet." 
„Natürlich", gab er zurück. „Wenn du Tag und Nacht 
spazieren gehst." 
Britta sah ihren Bruder groß an und sein zorniger Blick 
wurde etwas unsicher unter ihren ernsten grauen Augen. 
„Du machst es schon wie Eike", grollte er. „Statt unseren 
Gast zu unterhalten, läufst du des Nachts aus dem Hause und 
ich kann dich wie eine Stecknadel suchen. 
Britta lächelte fein. 
„Es wird wohl dem Gast so lieber gewesen sein und — 
dir vielleicht auch, Ow." 
„Was soll das heißen?" 
„Na, du warst doch gestern in so angeregter Unterhaltung 
mit der schönen Frau, daß ich vollständig überflüssig war", 
gab Britta ein klein wenig überlegen zurück. „Und dann mußte 
ich mich muh nach Eike umsehen, die wieder verschwunden 
war." 
„Es ist ein Kreuz mit dem Mädchen", seufzte Ow Erkel 
unwillkürlich auf. 
„Herr von Thümen, den ich traf, sagte mir, er habe Eike 
weinend vor Peer Owens Hütte gefunden", fuhr Britta 
schnell fort, „und ich selbst sah, wie sie in unser Haus lief." 
Der Lehrer wunderte sich. 
Sie erwähnte also ganz richtig, daß sie Holm von Thümen 
getroffen, als etwas ganz Selbstverständliches. Und gestern 
Abend hatte ihn doch der Gedanke über alle Maßen erregt, 
daß Britta, seine Schwester, die Braut von Marne Rickmers, 
mit dem Gast draußen eine heimliche Zusammenkunft haben 
könne. 
Ihm fiel ein, daß die schöne Frau, als er besorgt nach der 
Abwesenden gefragt, mit einem so eigenen Lächeln äußerte: 
„Lassen Sie doch die junge Schwester, Fräulein Britta 
wird gewiß mit Ihrem Gast, der sich so rar macht, eine schöne 
Mondscheinpromenade unternehmen, das wird für beide 
sicherlich sehr unterhaltend sein." 
Merkwürdig, im Augenblick, da Frau Jutta so zu ihm 
gesprochen, war plötzlich all der sinnverwirrende Nimbus, der 
sich ihm um die seltsame Frau gewoben, wie verflogen. Nur 
der Zorn über Britta war geblieben, weil diese Fremde sich 
über sie so verletzend äußerte. 
Und nun stellte Britta einfach die Tatsache fest, die er 
ihr zum Vorwurf machen wollte. 
Der Schullehrer sah ganz hilflos um sich. Eigenartig, 
immer entsanken ihm alle Waffen, die er in der Hand hielt. 
„Du mußt doch einsehen, daß es sich nicht schickt, draußen 
herumzulaufen, wenn wir einen Gast haben", wiederholte er 
unsicher, im Bestreben, einzulenken. 
„Vielleicht wollte ich diesem Gast ebenso entgehen, wie 
Herr von Thümen", bemerkte Britta, „was du, trotzdem er 
dich doch gebeten hatte, Frau von Este nicht im Schnlhanse zu 
beherbergen, nicht zu begreifen scheinst." 
Ow Erkel strich sich verlegen das schlichte, braune Haar 
aus der Stirn. 
. Natürlich hatte ihn Thümen gebeten, daß er das auch 
hatte vergessen können! Unsicher und verwirrt sah er auf die 
Schwester. 
„Darum ist er auch wohl schon wieder fort?" stotterte er, 
und es fiel ihm bleischwer auf die Seele, wie berauscht er von 
der Aussicht gewesen, daß die schöne Frau hier den ganzen 
Sommer bleiben könne. 
„Ja", antwortete Britta hart, „Herr von Thümen hat 
mir erklärt, er wolle, wenn Frau von Este bleibe, die Hallig 
verlassen." 
Staunend sah der Lehrer die Schwester an. 
„Warum nur?" fragte er schnell. „Da habe ich ja was 
Schönes angestellt." 
„Du mußt Herrn von Thümen selbst danach fragen. Ich 
habe kein Recht, über das zu reden, was er mir klarlegte." 
Das Mitleid mit der rührenden Hilflosigkeit Ows hinderte 
Britta nicht an einer kleinen, geheimen Schadenfreude und 
sie dachte:
	        
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