Volltext: Heimatland Wort und Bild aus Oberösterreich Nr. 20. 1928 (Nr. 20 / 1928)

wie ich vom Tode auferstand 
Eine tolle Geschichte von Hermann Wagner. 
Um endlich einmal die Wahrheit dessen zn erfahren, was 
die Leute über mich dachten, reiste ich ins Ausland. Zuvor über 
legte ich an: Ufer eines Flusses, in den ich nicht hineinsprang, 
meinen Rock nieder, in den ich einen Brief an meine Frau steckte. 
In diesen: Briefe nahm ich Abschied von der Welt, die, 
wie ich schrieb, mich in den Tod getrieben hatte. Ich bat alle 
die, denen ich etwa Böses zugefiigt hatte, um Verzeihung, 
und verzieh anderseits allen jenen, die mich selbst gekränkt 
hatten. Wie man das eben so macht. 
Dann setzte ich mich in den Schnellzug und fuhr in die 
Schweiz, um mich einmal recht gründlich zu erholen. 
Schon vier Tage später (ich saß eben in einem erstklassigen 
Restaurant und soupierte herrlich) konnte ich in mehreren 
Zeitungen einen lobenden Nachruf auf mich lesen. Ich bekam 
geradezu Respekt vor mir und bedauerte es sehr, nicht schon 
früher auf den Gedanken gekommen zu sein, mich umzubringen. 
Ich ließ mehrere Wochen verstreichen, die ich dazu benutzte, 
mir einen Vollbart wachsen zu lassen. Als dieser so dicht war, 
daß er auch nicht mehr das geringste von jenen: Geist durchlief;, 
den ich früher nicht hatte verleugnen können, reiste ich nach 
Deutschland zurück, um vor allem meinen besten Freund auf 
zusuchen, den ich schon immer in den: Verdacht gehabt hatte, 
daß er mein allerschlimmster Feind sei. 
Ich fand ihn mit einen: Trauerflor an: Aermel seines Rockes, 
und als ich fragte, was das bedeute, sagte er, daß ich gestorben sei. 
„Er war, so fügte er hinzu, „mein einziger Freund, dessen 
Talent ich wahrhaft schätzen konnte." 
Das wunderte mich sehr, denn gerade dieser Mann war 
es gewesen, der nie müde geworden war, nur zu versichern, 
ich hätte meinen Beruf verfehlt. 
„Sie meinen also", so fragte ich, „an Ihren: Freund sei 
der Welt ein Talent verloren gegangen?" 
„Ja", antwortete er, „ein sehr großes Talent sogar. Vieles 
von dem, was er geschrieben hat, wird bleiben." 
Ich suchte nun meinen Verleger auf, den ich gleichfalls 
bat, nur einige Auskunft über mich selbst zn geben. Zwar hatte 
ich sie schon wiederholt von ihn: bekommen; es wäre aber eine 
Lüge, wenn ich sagen wollte, daß sie mich befriedigt hätte. 
Mein Verleger hatte mich niemals so recht geschätzt, und es 
war seine Meinung gewesen, daß das Geld, das er in mich 
hineingesteckt hatte, hinausgeworfen sei. 
„Wie denken S ie über Joachim Amadeus Bierkrug", fragte 
ich, „den durch Selbstmord geendeten Autor Ihres Verlages?" 
Eine vielköpfige Familie. 
Am sogenannten „Ahnlsonntag", d.i. am Weißen Sonntag 1928 konnte die wackere kernkatholische 
Familie Karl und Klarn Mayr in Th anstellen ein seltenes Fest feiern. An diesem Tage 
versammelten sich zun: erstenmal seit längerer Zeit alle Familienmitglieder, Söhne und 
Töchter, Schwiegersöhne und -töchter, Enkelkinder, um „Aehnl und Ahnt". Die Familie, 
die in: Lichtbild festgehalten wurde, zählt 38 Köpfe. In der Mitte das Ehepaar Mayr. 
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„Ah", rief mein Verleger aus, „Joachim Amadeus Bier 
krug war einer der genialsten Köpfe und bedeutendsten Menschen 
der dichtenden Jetztzeit!" 
„Tatsächlich?" 
„Zweifeln Sie?" 
Mein Verleger sagte das fast drohend, und um mir zu 
beweisen, wie hoch er mich schätze, verriet er mir, daß er eben 
dabei sei, eine Gesamtausgabe meiner Werke zu veranstalten. 
„Wenn Sie dabei nur nicht Ihr gutes Geld zusetzen", sagte 
ich skeptisch. 
„Bei Joachim Amadeus Bierkrug? Keine Spur! Dieser 
beste meiner Autoren ist schon bei seinen Lebzeiten sehr gut 
gegangen!" 
„So?" „Jawohl!" 
Es blieb mir jetzt nur noch übrig, jene Frau aufzusuchen, 
die vor meinen: Tode die meine gewesen war. Ich trat diesen 
' Gang nicht ohne Gewissensbisse an, denn ich mußte mir leider, 
wenn ich gerecht sein wollte, sagen, daß ich ihr bei meinen Leb 
zeiten das Dasein nicht gerade leicht gestaltet hatte. 
Nun, dachte ich, um so mehr wird sie jetzt Ursache haben, 
sich zu freuen! 
„Ich bin", so sagte ich zu ihr, „ein guter Freund Ihres 
verstorbenen Gatten gewesen. Gestatten Sie nur, gnädige Frau, 
daß ich Ihnen zu seinen: Tode mein aufrichtiges Beileid aus 
drücke ... Ja, 'ja, — nun ist er tot!" 
Sie sah mich sehr sonderbar an und schwieg. 
In den: Bestreben, ihr etwas Angenehmes zu sagen, fnhr 
ich dann fort: „Freilich, den Schinerz über den erlittenen Verlust 
wird es lindern, wenn Sie daran denken, daß Ihnen der Ver 
storbene das Leben oft zur wahren Hölle geinacht hat." 
„Wer sagt das." 
„Nun, man erzählt sich doch allgemein —" 
„Was?" 
Ich deutete einiges an. 
„Das sind zwar keine Lügen", sagte meine Frau in eisigem 
Tone, „aber es sind Dinge, die Sie nicht das mindeste angehen!" 
Damit wendete sie mir den Rücken und ließ mich stehen. 
„Was konnte ich tun? Rein nichts. Ich konnte gar nichts 
tun und mußte gehen. Ich war voller Empörung darüber, daß 
meine Frau einem Toten noch Dinge nachtrug, die sie den: 
Lebenden wiederholt verziehen hatte! Ich ging zum Friseur 
und ließ nur meinen Bart abnehmen. Meinen schönen Vollbart, 
der mich bis dahin völlig unkenntlich geinacht hatte. Ich stand 
vom Tode auf und war Plötzlich wieder ganz der alte. 
Mein bester Freund geriet über meine unerwartete Auf 
erstehung außer sich, und schrieb nur, ich sei ein ganz gemeiner 
Schwindler. Auch meinenVerleger brachte 
die Tatsache, daß ich noch gar nicht tot 
sei, in nicht geringe Wut. Er drohte, 
mich wegen Geschäftsstörung zu verklagen. 
Nur meine Frau zeigt sich völlig gefaßt. 
„Wie kommt es", fragte ich sie, „daß 
du so gar nicht überrascht bist?" 
Sie sagte: „Mein Gott, ich habe dich 
sogleich erkannt." 
Ich fragte: „Trotz meines Vollbartes, 
der mich doch völlig unkenntlich machte?" 
„Ach, dein Bart!" sagte sie zu nur und 
lachte. „Meinst du, er könnte mir den Blick 
zu dem, was du wirklich bist, verstellen?" 
„O Gott", dachte ich bei mir, „jetzt weiß 
ich wieder nicht, wie meine Frau einmal 
über mich reden wird, wenn ich wirklich tot 
bin!" 
Nein, das Wußte ich nicht. So sind eben 
die Frauen. Sie haben sehr scharfe Augen. 
Und es ist unmöglich, die Wahrheit von 
ihnen zn erfahren; auch dann nicht, wenn 
man gestorben ist.
	        
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