Volltext: Heimatland Wort und Bild aus Oberösterreich Nr. 23 1925 (Nr. 23 / 1925)

So hörte ich, daß ohne meine Heirat mit Antlaff Gut 
und Wald und Dorf uns längst nicht mehr gehört hätten. 
Es hat Wochen gedauert, bis ich wieder zu nur kam, einen 
Gedanken fassen konnte, bis mir nicht mehr brennende Scham 
jede Begegnung mit Antlaff unmöglich machte. Pjotr war 
davongejagt, er sollte in einem Reitstall unweit von unserem 
Haus eine Stellung gefunden haben. Antlaff war ruhig und 
höflich. Wir verkehrten zusammen wie zwei Menschen, die gut 
erzogen sind, nrit jener Höflichkeit, die trennt, die um jeden 
eine Mauer baut, über die der andere nicht hinwegkommen 
kann. Ueber Pjotr wurde nicht gesprochen, von meinen Eltern, 
denen ich einen verzweifelten Brief geschrieben hatte, bekam 
ich keine Antwort. Ob Antlaff die Briefe abfing? Wie anders 
hatte ich mir Liebe, Ehe und Glück vorgestellt! Ich war einsam, 
so einsam in der fremden Stadt. Nur meine Geige kannte 
mein Weh und sang es, wenn Antlaff im Dienst war oder 
im Kasino spielte und trank, was jetzt fast allabendlich der 
Fall war. O, diese unerträgliche Scham, dies Nichtändern- 
können. Dieses Weh, diese Qual der langen, einsamen Abende, 
dies verzweifelte Spiel, dieses Sich-das-Herz-aufreißen und 
ans strömendem Blut ein Lied formen! Oft sah ich, wenn ich 
spielte, eine geduckte Gestalt vor meinem Fenster stehen; ich 
glaube, es war Pjotr. Wenn ich seinen Namen rief — ver 
schwand er. O, Pjotr, komm zurück! Du bist Felizitas Antlaffs 
einzige Erinnerung an sonnige Tage! Weißt du noch, wie du 
in frohen Kindertagen einmal in den tiefen Teich sprangst, 
eine Puppe zu retten, die mir hineingefallen war? Wie du 
fast ertrunken wärest, wenn der alte Pferdeandor dich nicht 
herausgezogen hätte? O, Pjotr, komm wieder! 
Da kam der große Krieg. Und am ersten Tage zog Antlaffs 
Eskadron ins Feld gegen die Russen. Ich blieb allein in Ja- 
roslaw. Es ist Sünde, aber ich kann nicht, anders: „Wenn 
doch Antlaff fiele!" Dieser Gedanke bohrte in mir, er fraß 
alles Gute in mir. Wenn doch Antlaff fiele, wenn er nicht 
wiederkehrte, wenn du erlöst wärest, wieder zurückkehren 
könntest nach Keczkemet, frei sein, wieder Felizitas sein! Als 
alle Frauen umhergingen mit bangen Gesichtern, in denen 
das Leid durchwachter Nächte geschrieben stand, da trug ich 
ein Kindlein in nur: Wenn doch Antlaff fiele! Als die Russen 
in Jaroslaw einrückten, da kehrte Pjotr zu mir zurück, zu 
meinem Schutz. Wir waren abgeschnitten. Von Antlaff keine 
Nachricht! 
Wochen später: Von Antlaff keine Nachricht! Ob er lebt? 
Ob er gefallen ist? Die Tage gehen in ermüdendem Gleich 
maß mit schweren Schritten durch die schreckliche Zeit, und 
abermals Wochen später: ein wildes Gewimmel in der Stadt, 
die Russen ziehen ab. Kanonen donnern, Kleingewehrfeuer 
prasselt, der Krieg tobt. Ich sitze im Zimmer, ohne Angst, 
nur die bohrende Frage im Hirn: ob Antlaff lebt? 
Eines der Regimenter, das in Jaroslaw wieder einrückte, 
waren Antlaffs Husaren. Er, gesund, frisch, herrisch, sieghaft 
mit seiner Eskadron. 
Mit der großmütigen Geste des sieghaft Zurückgekehrten 
übersah er Pjotrs Anwesenheit. Alles Hoffen, alles Warten, 
alles Sehnen war nun tot: Antlaff war da! Seine Augen 
waren mir noch fremder geworden; diese kühlen Augen, in 
denen sich brennende Dörfer und das Entsetzen Sterbender 
gespiegelt hatten. Fremd war mir der Mund, fremder denn 
je diese messerscharfen Lippen, die wilde Flüche und Harte 
Kommandoworte hervorgestoßen hatten. Antlaff, das Fremde, 
das Quälende, es war wieder in mein Leben getreten; es gab 
kein Entrinnen mehr. 
Wir saßen bei Tisch. Die Kerzen in silbernen Leuchtern 
spiegelten ihr Licht in Besteck und Kristall. Es war 
eine quälendeMahlzeitzweier höflicherMenschen, 
unerträglich, Pjotr bediente, von Antlaff über 
sehen, stumm und lautlos. Antlaff sprach, 
knapp, er war im Krieg wortkarg geworden. 
„Für heute abends mußt du mich entschuldigen, 
Dienst, Patrouillenritt vor die Stadt, Russen 
liegen in Nähe!" Pjotr hörte es, seine Augen 
brannten in meinem Gesicht, bohrten, fragten. 
Ich, ich hab' die Fragen verstanden: „Soll 
ich — ?" Nein, ich habe nicht gesagt: „Ja, 
tu's!" Nein, nein, ich habe es nicht gesagt. Aber 
ich weiß nichts ich glaube nein, das ist doch 
auch unmöglich! Doch, ja, ich will mich nicht 
belügen, ja, als Pjotr mich stumm fragte, da 
zog etwas, was stärker war als ich, mein Haupt 
nach unten: ich habe genickt! Ich habe also doch 
ja gesagt. Aber Pjotr hat doch nicht gefragt — 
das ist ja alles Einbildung, Pjotr kann das 
Nicken ja gar nicht verstanden haben! Wollte 
ich ihn nicht nrit dem Nicken hinausschicken, 
entlassen, für seine Dienste danken? Nein, nicht 
lügen, sagen wollte ich ihm, zuschreien: „Ja, 
tu es!" 
Wer hilft mir? Was habe ich getan? Gott 
hilf mir! 
Die Nacht, die diesem Tage wie ein endloses Grab folgte, 
diese Nacht war entsetzlich, war grauenvoll. Ich hatte nicht 
Ruhe, ich lief treppauf, ich lief treppab, ich lief zum Fenster, 
lief zur Türe, ich legte mich nieder, ich sprang wieder auf. 
Hab' ich schuld? 
Pjotr war verschwunden. 
Leuchtraketen zerrissen den Nachthimmel, Schüsse spreng 
ten die Stille in Scherben, der Himmel rötete sich, und es 
war nicht Morgenröte, Kanonen murrten — ich lief gepeitscht 
durch das Haus. Pjotr kam nicht zurück, Antlaff kehrte nicht 
wieder! 
Auf die fiebernde Nacht folgte ein bleierner Morgen!/ 
Grau war der Himmel. Etwas Furchtbares kroch durch die 
Straßen. Ich wußte es schon, ich wußte es, als die Glocke 
durch das Haus gellte und man Antlaff brachte — tot. Pjotr 
hatte ihn aus dem Hinterhalt erschossen. 
Pjotr wurde festgenommen Man machte dem „be 
stochenen Ruthenen", dem „Russenspion" den Prozeß. Als 
die Ehrensalve über Antlaffs Grab dröhnte, da führte man 
Pjotr, meinen Pjotr, zum Galgen. 
Nonnenkloster-Ruine Pulgarn bei Steyregg.
	        
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