Volltext: Heimatland Wort und Bild aus Oberösterreich Nr. 1 1924 (Nr. 1 / 1924)

414099 
Verloren! J 
Angstpochenden Herzens sah er in das Grau, das an dem 
Wrack heraufspülte. Und — sah sein Gesicht, das sich im Wasser 
spiegelie, das sich durch das Tändeln des Wassers verzerrte, 
— D—— 8* 
Er sah sein Gesicht; das erste menschliche Antlitz seit Mon— 
den. Er, der jedem aus dem Wege gegangen, der mensch— 
Bundeskanzler Seipel und Landeshauptmann Hauser. 
tundeskanzler Prälat Dr. Ignaz Seipel wurde am 1. Juni 
das Opfer eines Attentates seitens eines Arbeiters. 
Phot. Weidinger, Linz. 
liche Züge trug, sah jetzt zum ersten Male wieder ein Gesicht, 
sein eigenes Gesicht. Er hatte sich erhaben gefühlt über die 
Menschen und trug selbst nur ein Menschengesicht. Er wußte 
nicht in seiner Furcht, sollte er den bemitleiden oder hassen, 
der da unten im Wasser zitterte, angstverzerrt, mit stierem, 
halb flehend, halb hassendem Aug' — immer weiter herauf⸗ 
kommend.. 
Bald sah er nur noch einen tanzenden Schatten, Umrisse. 
Dann wurde es dunkler. Der da unten — sein Schatten — 
war ertrunken. Ertrunken! — Auch er würde ertrinken. 
Horch! wie drinnen im Wrack das Wasser gurgelte, spie. 
Wie es heraufleckte, langsam, so langsam . .. 
Er wollte um Hilfe schreien. Doch wer würde ihn hören? 
Er war starr vor Furcht. Keinen Gedanken, mehr zeugte 
sein Hirn. Nur ein schwacher Hoffnungsschimmer spiegelte 
ich in ihm, so schwach wie die Reflexe der brennenden Leucht-⸗ 
lürme. Und doch war seine Lage hoffnungslos. 
In diesem Zustande döste er dahin. Im Halbschlummer. 
kam eine Anwandlung über ihn, seinen Feinden zu verzeihen ... 
Aber die waren weu und er — er würde bald nichts mehr, 
zu verzeihen haben. Es war zu spät. Er würde ertrinken, 
wie sein Bild da drunten in der Dämmerung. — 
Dana war ihm wieder, als läge er in einem großen Ge— 
häude, allein, zusammenschreckend bei jedem Geräusch, auf— 
horchend auf jeden Laut, der menschenleeren Räumen eigen. 
Es war gräßlich, allein zu sein. . n 
Wieder kam er halb zu sich — und erschrak über seine trost— 
lose Lage. Dann horchte er freudig auf: klang das nicht wie 
das Schrauben eines Dampfers?! — Und brach matt wieder 
zusammen:“ es war nur die Schlagader seines Halses! 
Dieses Warten! Ihm war, als warte er von einer Ewig⸗ 
keit auf die andere. Und das Meer und der Wind spielten 
wie eine ewige Uhr. Wenn er doch käme der Tod .. 
Hoooh! — Hoooh! — Hoooh!“ Da ist er! Dreimal, 
langgedehnt. — J. 
Und wieder Stille. — Noch nicht. 4 
„Hallo! — Oooh!“ 
Was ist — was ist das? 
„Hallo! — Hallo!“ 
Gott — was ist das? — Menschen — Menschenstimmen! 
„Hallo! —ütt ... —ütt!. .. Hilfe hier!“ 
Er sprang auf: „Menschen! Menschliche Stimmen!“ 
„Herr Lütt!“ 57 
Sein Name. Wirklich, Menschen — „Menschen! Menschen!“ 
— jubelt er auf und vor Freude bricht seine Stimme in dem 
Ueberlaut zusammen ... 
Menschen 
Sie nahmen ihn in das Fischerboot und enttrugen ihn 
dem nassen Verhängnis. Und das Wasser schäumte vor Wut 
über den entrissenen Raub. Es spritzte hoch und warf seine 
Kümme in das Boot, daß es schwankte. Aber die starken Arme 
geübter Fischer kämpften in ruhigem Takt gegen die sprudelnde 
RGewalt.“ Das Schiff schoß langsam durch die graue Gischt, 
die zu beiden Seiten vorüberschmolz und glitt vor dem Stroh⸗ 
feuer am Strande in den knirschenden Sand. 
Er war gerettet . .. 
Um keinen Preis der Welt hätten die Fischer eine Be— 
lohnung angenommen für ihre mutige Tat. Da er sich aber 
doch erkenntlich zeigen wollte, nötigte Herr Lütt die Leute, 
mit ihm einen heißen Grog zu trinken. Sie gingen in das Wirts⸗ 
haus / das einzige im Dorfe, wo das Erscheinen des Sonderlings 
nicht wenig Erstaunen hervorrife. 
Jetzt erst betrachtete Lütt den jungen Fischer Timm, 
der die Gefahr zuerst erkannt und die Führung des Rettungs— 
werkes übernommen hatte. Er war ein kräftiger Bursch, Ende 
der Zwanziger, dessen scharfe Augen wie Sterne aus dem 
wettergebräunten Gesicht heraussahen. Zwischen den weißen 
Zähnen stak die kurze Pfeife und der kurze Bart, der wie hin—⸗ 
geklebt auf den Oberlippen und den Wangen saß, war etwas 
Feflen als das blonde, glattgestrichene Haupthaar, das unter 
RBoOO 0 0 
— 
— 
8 p 
—FVVVIE 
Kommerzialrat Franz Edliyger , 
Bankdirektor i. R, Verwaltungstat der *. 
Zant fur Oberoösterreich und Salzburg 
4 27. Mai 1924 
—AA—
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.