Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 25 1917 (Nr. 25 1917)

Sonntag, 24. Juni 
Die Cotenbatterie. 
(Schluß.) VonMax Glaß. 
„Der Krieg ist eine Schinderei", sagte philosophisch 
Leutnant Bergner und reizte das Schwein, das friedlich 
seinen Stall im Zimmer hatte. „Ein Gewaltmensch", 
sagte Oberleutnant Riegler und zuckte die Achseln. „No 
ja —", sagte der dicke Kadett. 
Bis zur Erde verneigte sich der Hausherr, aber seine 
Augen funkelten böse. „Au revoir“, winkt leutselig Leut¬ 
nant Bergner. 
Keuchend lagen die Pferde in den Strängen. Tief 
sanken sie in den Schnee ein, rissen sich immer wieder 
empor, ein gewaltiger Ruck, die Kanoniere krumpften 
ihre Hände in die Speichen der Räder, das Geschütz 
kam ein paar Meter weiter. Der Weg stieg steil empor, 
eine grobe Schicht Eis lag darüber, die Pferde stürzten, 
das Geschütz rollte ein Stück zurück. Wieder hinauf, 
immer das gleiche Spiel. Die Menschen spannten sich 
vor, der Schweiß rann ihnen von der Stirne, in den 
kurzen Pausen lagen sie schweratmend auf dem Schnee. 
„Herr Hauptmann, es geht nicht so, wir müssen 
Hilfskräfte ansprechen, wir kommen nicht hinauf", sagte 
Oberleutnant Riegler. 
Stimme aber zitterte. Leutnant Bergner sah ihn ängst¬ 
lich an. Er verstand etwas nicht. 
So begann die Todesmaschine — 
Wie ein wildes Tier lag Karl Gasser in seinem 
Beobachtungsstand auf der Lauer. Wehe, wenn sich 
drüben etwas Leben regte, unbarmherzig brüllte die 
Todesmaschine ihren haßerfüllten Gesang. Wenn er 
durch das Scherenfernrohr die furchtbare Wirkung er¬ 
kannte, hatte er kein Freudengefühl, nur ein verächt¬ 
liches, sicheres Lächeln war es. Meine Maschine ist 
stärker als euer armseliges Menschengezeug. Er gönnte 
sich keine Ruhe, ein paar Stunden Schlaf in der Nacht, 
das war genügend. 
Wenn Leutnant Bergner zur Batterie hinunter kam, 
stöhnte er: „Meine Ruh' ist hin, mein Herz ist schwer, 
werde dünn wie ein Telephondraht", und mit blitzenden 
Augen fügte er hinzu: „Ein Mordskerl, angst und bang 
wird einem manchmal vor ihm, aber wir zwei — bitte 
sehr — halten ganz allein die Karpathen, meine Herren, 
Sie sind überflüssig —", er verbeugte sich nach der 
Richtung hin, wo die anderen Batterien standen. 
Stundenlang saß Karl Gasser vor dem Fernrohr 
unbeweglich, wie aus Stein gehauen und schaute — 
schaute — Seine ganze Kraft und Energie war jetzt in 
seinen Augen konzentriert. Er entriß dem Boden all 
seine Geheimnisse, kämpfte selbst mit der verhüllenden 
Erde. Die Nachbargeschütze schossen, er schwieg, schont 
Luster und schwarz standen Dte Geschütze tn einer 
kleinen Mulde. Wenn die Sonne darauf schien, glänzten 
sie gierig und lüstern, wie böse Augen. Auf der Kuppe 
war der Beobachterstand. In einer kleinen Schneehütte 
hauste der Hauptmann, vor ihm lag offen das Gelände. 
Die Telephondrähte liefen zur Batterie. 
Als Karl Gasser da oben zum erstenmal durch das 
Glas schaute und schwarze, lebendige Pünktchen sah, da 
hätte er aufschreien können im wilden Taumel. Jetzt 
hab ich dich, jetzt bist du in meiner Gewalt. Eine un¬ 
bezähmbare Lust erfaßte ihn, toll und vergessend hin¬ 
überzulaufen über die eigenen Linien hinweg, den anderen 
Hang empor und mit den Fäusten dreinznschlagen. Er 
mußte über sich lächeln. Geduld — 
Der erste Schuß — 
Er wartete darauf mit zitternder Spannung. Sein 
Werk sollte werden. Wie ein hungriger Musiker war er, 
der vor seinen toten Noten steht, die zum erstenmal 
erwachen sollten zum klingenden Leben. Den Ton wollte 
er hören, den zischend wilden Klang, die Probeschüsse 
auf dem Exerzierfelde waren nur ein Kinderspiel. Er 
war ein Glockengießer, zum erstenmal sollte die große 
Wunderglocke klingen. Seine Glocke läutete den Tod. 
„Batterie schußbereit!" Leutnant Bergner rief es in das 
Telephon. Hauptmann Gasser 
— ——, saß beim Fernrohr. DieMuskeln 
im Gesichte arbeiteten. Wenn das 
Vom russischen Kriegsschauplätze: Indenfriedhof in Sokak 
Arbeiten der Linzer Pioniere am Lovcen: Wiederherstellung eines ge¬ 
sprengten Straßenteiles. <wt. @=>w«er.) 
„Wir müssen —".sagte ruhig der Hauptmann. „Auf, 
alle Kanoniere an das erste Geschütz!" kommandierte er. 
Einzeln brachten sie jedes Geschütz im wilden Kampfe 
mit Schnee und Eis bis zu dem ersten Einschnitt. Die 
Nacht kam. Gespenstisch bei Fackelbeleuchtung bewegte 
sich der Zug, die Schatten tanzten auf dem Schnee, die 
schwarzen Ungeheuer knirschten und stöhnten. Bis zum 
Zerreißen spannten sich die Muskeln von Mensch und 
Tier. Es mußte gehen. Der'Hauptmann wollte es. Die 
Soldaten blickten scheu nach ihm, sie fühlten seinen 
Willen, und so wuchsen ihre Kräfte. Er war überall, 
und drohte etwas zu versagen, da sprang er selbst 
hinzu, und es ging wieder aufwärts. Die Nacht war 
kalt und finster. Durch laute Zurufe verständigten sich 
die Männer. In langen Pausen hörten sie den dumpfen 
Einschlag von Geschossen. 
„Vorwärts, vorwärts —!" 
Als der Morgen kam, waren sie oben. Wie erschlagen 
warfen sich die Soldaten neben ihre Geschütze, ihre Kraft 
war zu Ende. Sie keuchten schwer, dann fielen ihnen die 
Augen vor Erschöpfung zu. Karl Gasser aber lächelte; 
er war auf der Höhe. 
Mit scharfen, harten Augen schaute der Hauptmann 
in die klare Luft. Er sah die Bahn vor sich, die die 
Geschosse nehmen mußten, und dort, ein schwarzer 
Streifen in blauer Ferne, dort mußten sie einschlagen, 
dort war der Feind. Mit ruhiger Ueberlegung hatte er 
sich orientiert, sachlich und kühl, eine neue Umgebung, 
das war alles; er war wieder in einer Fabrik. 
und wartete. — Bei der..Batterie unten waren sie un¬ 
ruhig, das Schweigen ihres Hauptmannes da oben, sie 
wußten: plötzlich reißt es und dann — sie mußten auf 
dem Platze stehen, ihre Kräfte aufspeichern, wenn er ruft. 
So standen sie, jeder bereit, die Hände fast schon zum 
notwendigen Griff ausgestreckt und warteten — 
„Warum er wieder so lange schweigt", sagte nervös 
Oberleutnant Riegler und wippte von einem Fuß auf 
den anderen. 
Vom vorliegenden Honvedregiment kam oft die ängst¬ 
liche Frage: „Was ist denn los, warum schießt ihr denn 
nicht?" Leutnant Bergner wagte davon seinem Haupt¬ 
mann nichts zu sagen. Er kannte seine kurze, abweh¬ 
rende Handbewegung, wie. ein Schlag wirkte sie. So 
stand auch er, wie gebannt, starrte auf ihn und wartete 
auf das erlösende Wort. 
In dem harten Gesichte begannen plötzlich die Mus¬ 
keln zu spielen und ohne die Augen vom Glase zu 
wenden, stieß der Hauptmann die Kommandowortc 
hervor, wie wuchtiges Eisen flogen sie den jungen Of¬ 
fizier an, der Draht trug sie weiter und dann — In 
wilder, zischender Wut entlud sich die Batterie, der Haß 
ihres Hauptmannes flog todbringend durch die Luft. 
Schuß auf Schuß — Karl Gasser hatte wieder ein Ziel 
gefunden. 
Die,Infanterie aber atmete auf. Fast jeden Tag war 
Karl Gasser in der Schwarmlinie. Er ging durch den 
ersten Graben, suchte eine Stelle aus und starrte durch 
sein Glas hinaus. Hier war er dem Feind nahe, da 
Rohr jetzt springt, zuckte es Zhm plötzlich durch das Hirn. 
Eine sonderbare Angst erfaßt ihn. Wenn das Eisen den 
Druck nicht aushält, wenn — Er wußte nicht, woran er 
alles dachte. Nur dieser erste Schuß mußte vorüber sein, 
dann war alles wieder gut, dann war er wieder der 
Herr und 1 bann \— [bann kam die große Aussprache. 
Monat um Monat hatte er darauf gewartet. 
Das Telephon piepste. Leutnant Bergner hielt die 
Muschel an das Ohr, dann meldete er: „Die Batterie 
soll das Feuer eröffnen, Befehl von der Division." 
„Das Feuer — ja — ja —" Der Hauptmann sagte 
es zerstreut. Seltsam, wie wirre Bilder er vor sich sah. 
Da schrien Menschen auf, blutige Klumpen flogen in 
der Luft herum, Blut floß — und Tränen fielen 
dazwischen. 
„Die Division —", begann noch einmal zögernd 
Leutnant Bergner. 
Hauptmann Gasser fuhr auf. „Jawohl, die Di¬ 
vision —" Er fuhr sich über die Stirne. Dann gab er 
ruhig und kaltblütig die ^Schußdaten, und der Leut¬ 
nant,leitete sie durch das Telephon weiter. 
Mit starren Augen schaute Karl Gasser durch das 
Fernrohr. Ein scharfer Knall löste sich los, und im 
wilden, haßerfüllten Peitschen flog ein Stahlgeschoß 
durch die Luft. Sekundenlange Stille, dann ein dumpfer, 
donnernder Einschlag. Noch immer starrte der Haupt¬ 
mann durch das Glas, dann stand er langsam auf, 
tiefe Bläffe lag auf seinem Gesicht, und schweratmend 
sagte er langsam: „Sie haben gut getroffen." Seine
	        
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