Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 22 1916 (Nr. 22 1916)

dann das vierte Gebot! Wenn auch ihr Herz darüber 
brechen sollte, Peter darf nicht in Unwissenheit bleiben, 
er muß alles erfahren. Bei ihm steht die Entscheidung. 
Mit diesem hart errungenen, aber festen Entschlüsse ver¬ 
ließ die Frau die Kirche. 
Droben auf den tiefbeschneiten Höhen des Geisel¬ 
berges standen tausend silberne Christbäume um die tief 
in Felsen hineingebaute Almhütte. Drinnen in der Hütte 
aber saß ein Mann. Seine Gedanken weilten beim nahen 
Weihnachtsfeste. Ein einsamer, trostloser, heiliger Abend 
wird es werden für ihn, den Geächteten. Wohl wird 
heuer in Tirol traurige Weihnacht gefeiert werden. Nur 
verstohlen werden die Leute ihre schönen Weihnachts¬ 
krippen aufstellen können, wurden doch alle äußeren reli¬ 
giösen Gebräuche, seit das arme Land unter der Fremd¬ 
herrschaft stand, abgeschafft und verboten. Plötzlich schrak 
der Einsame empor. Er hörte das Knistern gefrorenen 
Schnees unter menschlichen Tritten. Waren es Feinde? 
Er lugte durch eine Spalte scharf aus. Nein, Gott lob, 
es war ein Bauer von Olang, ein treuer, guter Mensch. 
Ein Glücksgefühl wallte ob des Besuches in ihm auf. 
Wie merkwürdig gedrückt der Bauer aber aussah. War 
den Seinen ein Unglück zugestoßen? Nun trat der An¬ 
kömmling in die Hütte. Trotz der scharfen Kälte wischte 
er sich den Schweiß von der Stirn. „Peter, der heutige Weg 
ist hart gewesen. Liaber vor dem Feind stehn, als die 
Botschaft, die i dir zu bringen hab, ausrichten. Mit mei'm 
Bluat wollt i jed's Wort davon anslösch'n." „Mei 
Weib tot? -Die Kinder? Was ist's? ... Sag's 
glei heraus", rief der Geächtete erschrocken. „O 
Wiit, Soldaten sein ins Tharerhans kommen, 
um dt zu suchen. Wir alle hab'n di nöt verraten, 
niamand im ganzen Dorf, aber.." „Was aber?" 
frug Sigmair hastig. „Aber .. ., weil sie di nöt 
g 'funden hab'n, haben sie den alten Vater nach 
Bruncck g'führt." „Den blinden Vater! O mein 
Gott, warum denn dös?" „Stellt sich der Sohn 
binnen drei Tagen nicht, so stirbt der Vater an 
seiner statt! So hat die Botschaft g'lantet. Peter, 
jetzt weißt alles." Leichenblaß stand der junge 
Tharer da. „Den alten Vater erschießen, an 
meiner statt. .." murmelte er. „Wirt, es wird 
wohl nur a Schreckschuß sein, um di aus ’n Ver¬ 
steck zu locken. Erschießen werd'n sie ’n blinden 
Greis wohl nöt. Und noch eins mnaß i dir aus¬ 
richten vom Vater selber. Er verbiatet dir, dich 
zu stellen, dös sei sein Testament, das du heilig 
halten sollst." „Der Vater an meiner statt! Na, 
Vater, da kann und derf i dir nöt folgen! Heut' 
no geht's nach Bruneck; vor morgen wer i frei¬ 
lich nöt ankemmen, aber koa Stund länger als 
nötig, sollst für mi leiden, und wenn die Frist 
a Jahr lang dauern tät." Der Unglückliche stöhnte 
auf. „O, mein Weib, meine kloanen Kinder! Wie 
tragt's die Thres?" „Die Thres selber schickt 
mi. Wissen, sagt sie, muaß es der Peter, dös 
verlangt 's vierte Gebot." 
Wie erlöst atmete der junge Tharer auf. 
Schweigend verließ er die Höhen des Geisel- 
berges. — Es war in den Morgenstunden des 
heiligen Abends. Eine eigene friedvolle Weihe 
lag auf der ganzen Natur, auch in den Herzen 
der Bewohner des unglücklichen, unterjochten 
Landes regte sich, trotz aller Trauer, weihevolle 
Weihuachtsstimmung. Nur in dem Kanzleiraum 
des Generals zu Bruneck merkte man nichts 
davon. „Ha", schrie General Broussters heisere 
Stimme, „habe ich es nicht gesagt? Ein Feigling 
ist dieser Peter Sigmair. Heute ist der dritte 
Tag, die letzte dem alten Sigmair gestellte Frist 
läuft ab, und der Sohn stellt sich nicht!" Oberst 
Almeras erhob sich: „Vielleicht war es dem Ge¬ 
ächteten unmöglich, schon gestern einzutreffen. Wer weiß, in 
welch abgelegenem Teil oder auf welch unzugänglichem 
Gebirge er sich verborgen hielt. Der Weg nach Brnneck ist 
weit und dann ... General, Ihr werdet doch den blinden, 
schutzlosen Greis nicht erschießen lassen." „Natürlich, 
werde ich das! Führt den Alten hieher", befahl er einem 
im Zimmer anwesenden Soldaten. „Vor seinem Haus 
in Olang soll er erschossen werden und vierundzwanzig 
Stunden wird seine Leiche als abschreckendes Beispiel 
vor den Augen der Seinen dort hängen. Ueberall, wo 
ich diese Art Hinrichtung vornehmen ließ, hatte sie Erfolg 
und schüchterte das Volk ein" — „und erfüllte die Herzen 
mit Haß", sagte Oberst Almeras, ein menschenfreundlich, 
edeldenkender Franzose, leise. „General", sprach er noch¬ 
mals, „ich fütche, Ihr beurteilt die Tiroler falsch. Wer 
ihre Liebe zu gewinnen weiß, der besitzt auch ihr felsen¬ 
festes Vertrauen, ihre unerschütterliche Treue. Gerade 
darum hängen die Tiroler dem Hanse Habsburg so 
sehr an, weil dies allzeit gut gegen sie war und ihre 
Volksseele richtig verstanden hat. Mit Grausamkeit, ver¬ 
zeiht dies Wort, General, erreicht man bei den Tirolern 
nichts". Zornadern standen auf der Stirn Broussiers. 
„Und ich sage, ehvor nicht dies Land in Blut schwimmt, 
so daß ihm aus hundert Jahre jede Erhebung verleidet 
Tannenberg. 
(Nachdr. Verb.) 
Herr Hindenburg, der weise Held, 
Den Zaren wollt' er schlagen; 
Drum lockt’ er ihn bei Tannenberg 
ln den Sumpf mit Rofj und Wagen. 
Kanonendonner, dumpf und schwer, 
Erbrauste auf zum Himmel; 
Cs zog der Russe sich zurück 
3m buntesten Gewimmel. 
Da hob der Held die saust empor; 
Cin ölih schoh aus den Brauen : 
„Half ein, Herr Zar, dein Heer ist mein; 
Gleich sollst dein Unglück schauen!“ 
kr fprach’s. Geschlossen ward der Kreis! 
Gefangen Rußlands ITleute! 
Durch Deutschlands Gaue tönte laut 
Des Sieges feftgeläute! 
seopold Re sch, St. Florian. 
Vermißte aus Oberö|terreich 
Johann Wnttinger 
vom Ehofergute in Neuhofen bei Ried, Jnnkreis. 
Geboren 1891 und zuständig in Neuhofen, aktiv 
das dritte Jahr beim k. k. LSchR.Nr. 1, 8. Feld¬ 
kompagnie, Feldpost 53, dienend. Seit 6. Jänner 
1915 ist keine Nachricht eingetroffen. 
Wenn Kameraden oder sonst jemand über ihn 
Auskunft geben könnte, so bittet darum dessen 
Vater Josef Buttlnger, Ehofer in Neuhofen bei 
Ried, Jnnkreis, Oberösterreich. 
Zwei Vermißte aus Wartberg ob der Nist. 
m.- 
Johann Wodingöauer 
Bauerssohn aus Obergaisbach, 
Pfarre Wartberg ob der Aist 
Zugsführer im k. u. k. IR. Nr. 14, 
11. Komp. 
wird feit 22. Oktober 1914 bei Nysko 
am San vermißt. Selber stand im 
29. Lebensjahre. 
Ikorian Kalmanstorfer 
Bauerssohn in Reiking Nr. 24, 
Pfarre Wartberg ob der Aist, 
diente beim k. u. k. GAR. Nr. 14, 
Marschbatterie Nr. 1, Feldpost 311, 
wird seit 10. November 1914 ver¬ 
mißt. Alter 34 Jahre. Wahrscheinlich 
in Serbien gefangen oder gefallen. 
Die Angehörigen bitten um etwaige Auskunft die Kameraden. Auslagen 
werden reichlich vergütet. 
wird, ist es für Napoleon nicht gewonnen!" Plötzlich 
öffnete sich die Tür, und in ihr stand eine kraftvolle 
Mannesgestalt. „Ich bin Peter Sigmair, der Tharer- 
wirt von Olang. Ich stelle mich zum Kriegsgericht, 
gebt den Vater frei!" „Hah, du Rebell", lachte in 
grausamer Freude der General, „hat man dich endlich 
gefangen?" „Gefangen nicht, ich stelle mich freiwillig 
aus Kindespflicht." Lärm entstand im Vorraum. Man 
hörte schlürfende Schritte, Kettengeklirr, und von zwei 
Soldaten begleitet, trat mit seinen gefesselten Händen, 
mühsam tastend, Georg Sigmair, der Blinde, in das 
Zimmer. „Vater!" Die Greisengestalt umschlossen schützend 
zwei Arme. Der Alte aber begann am ganzen Körper 
zu zittern, zwei große Tränen rannen aus seinen glanz¬ 
losen Äugen und herzzerreißenden Tones klagte er : „Peter, 
warum hast denn nöt g'solgt und hast di g'stöllt? Gern 
war i für di g'storb'n. Peter, Peter, iatzt ist all's aus, 
beim Broussier gibt's koan Erbarmen." „Da hast du 
recht", spottete der General, „dies weibliche Gefühl 
kenne ich nicht. Nun allerdings, der Alte soll frei sein, 
da wir jetzt den Sohn haben. Legt Peter Sigmair die 
Ketten des Vaters an und laßt den Alten laufen." 
Der junge Tharer hielt seine Hände hin. „Vater, 
nur no a Bitt, segnet's mi." Feierlich zeichnete der Greis 
ein Kreuz auf die Stirn seines Sohnes. „O Peter, 
warum hast di g'stöllt? seufzte er nochmals. „Weil's 
vierte Gebot gilt, wenn a alle andern mensch¬ 
lichen G'sötz ausg'hoben sein und aus Kindesliab." 
Wenige Tage daraus fand das Kriegsgericht statt, das 
Peter Sigmair, trotz Oberst Almeras warmer Vertei¬ 
digung zum Tode verurteilte. Bor seinem Hanse sollte 
er erschossen werden. 
Die Glocken läuteten ein schönes Fest ein: den Namen- 
Jesu-Sonntag. Schon war der Gottesdienst in Olang 
vorüber, da schlug langsam, traurig eine Glocke noch¬ 
mals an. Ihr Läuten sollte den jungen Tharerwirt zum 
Tode begleiten. Gefesselt, inmitten von Soldaten, schritt 
er dem Dorfe zu. Zum letztenmal grüßten ihn die heimat¬ 
lichen Berge, Alpen und Wälder. Peter Sigmair war 
blaß, aber ruhig. Nur als seine Gattin ihn weinend um¬ 
klammerte, als seine Kinder flehend baten, er möge doch 
nicht fortgehen und bei ihnen bleiben, als der alte Vater 
zum letzten Mal segnend die Hand auf die Stirn seines 
Sohnes legte, da zitterte der starke Mann. Dann aber, 
nachdem die Seinen auf Drängen des Priesters ihn ver¬ 
lassen, richtete er sich ruhig auf. „Die Rechnung mit 
dem Herrgott hab' i in Ordnung. Zeit ist's: für Gott, 
Kaiser und Vaterland! Jesus, dir leb' ich, Jesus, dir 
ster6’ ich, Jesus, dein bin ich tot und lebendig." Mit 
diesen Worten fiel der Tharerwirt von Olang, der Held 
der Kindesliebe. 
6int ffflöns ttiimung. 
In diesen Tagen, wo so viele unserer Helden 
sich zu der großen Armee versammeln, wird man 
sich gerne jenes ergreifenden Augenblickes erinnern, 
da der alte Kaiser Wilhelm, der Großvater des 
jetzigen deutschen Kaisers, dem sterbenden Roon 
Grüße an die vielen alten Kriegskameraden auf¬ 
trug, die schon droben versammelt waren. Roons 
Gattin hat den Vorgang in schlichter, unübertreff¬ 
lich schöner Weise in den „Denkwürdigkeiten aus 
dem Leben des Generalfeldmarschalls Kriegs¬ 
ministers Graf von Roon" geschildert: 
Der Kaiser kam ohne Anmeldung zu Roon. 
Der Kranke richtete sich auf, streckte beide Hände 
ihm entgegen und sagte laut: „Majestät, welche 
Freude! Wie dankbar bin ich!" Der Kaiser 
reichte ihm beide Hände bewegt: „Muß ich Sie 
so finden, mein alter Freund?" Der Kaiser ließ 
sich auf einen tiefen Lehnstuhl am Bette nieder, 
die beiden Köpfe der alten Herren waren dicht 
beisammen, der König hielt die Rechte des Kran¬ 
ken in feiner Linken, die Rechte hing noch in der 
schmalen, schwarzen Binde (wegen der Verwun¬ 
dung durch Nobilings Mordanschlag). Siesprachen 
leise; mein lieber Kranker (schreibt Frau v. Roon) 
sprach schon schwer, so daß der König mich zwei¬ 
mal fragte: „Wie sagt er?" Es war immer 
wieder „Dank, Dank, mein König!" und dann 
sagte er ihm auch, daß er morgens immer von 
seinem Krankenbette nach seinem Fenster schaue 
und nach der Fahne und ob er schon auf fei 
und arbeite. Als der König ausstehen wollte, 
durste ich ihn etwas unterstützen, da er nur eine 
Hand brauchen konnte. „Ach, der tiefe Stuhl!" 
sagte der Kranke. „Geht schon, geht schon", sagte 
der König. Dann stand der geliebte Herr noch ant 
Bette, hielt mit der einen Hand die meines 
Gatten und die andere aus der Binde nehmend, 
streckte er die Finger nach oben: „Dort sehen 
wir uns wieder", drehte sich langsam um, sah 
noch einmal zurück und rief: „Grüßen Sie die 
==" alten Kriegskameraden! Sie finden viele!“ 
Im anderen Zimmer hielt er sich das Tuch 
vor die Augen und schluchzte. Seine Tränen fielen auf meine 
und meines Sohnes Hände, als er uns die seine reichte 
und wir sie küssen durften. „Gott stärke Sie!" Damit 
ging er langsam und leise, wie er gekommen, den Kor¬ 
ridor wieder herunter, von meinem Sohne geleitet. 
Das war der Abschied eines großen Königs unb 
Kaisers von seinem treuen Diener. 
Gewiß eine schöne Kaiser-Erinnerung in der Kriegszeit! 
Kriegsbumor. 
Ein Hauptmann der Reserve, in Friedenszeiten Professor 
der Altertumsforschung, steht nicht nur mit den Franzosen und 
Engländern, sondern auch mit der Naturgeschichte auf dem 
Kriegsfuße. Zumal zur Winterszeit kennt er sich in den ver¬ 
schiedenen Holzarten, die in den französischen Wäldern zu finden 
sind, gar nicht aus. So gibt er als Richtungspunkt Birken an, 
die in Wirklichkeit Erlen sind, Buchen werden mit Eichen ver¬ 
wechselt, von Linden, Ahorn, Ulmen usw. gar nicht zu reden- 
Ein älterer Unteroffizier berichtigt stets diese Irrtümer. Dem 
Professor-Hauptmann macht die genaue Kenntnis Eindruck, und 
darum spricht er ernst: „Sind Sie vielleicht gar Kollege von 
der Botanik?" „Zu Befehl, Herr Hauptmann! Besenbinder." 
Patriotisch. Frau (zum Wirt): „Du, der Studiosus Meier 
hat 's Eiserne Kreuz gekriegt!" — „Ist das der, der bei uns 
noch in der Kreide steht?" — „Freilich!" — „Auswischen!"
	        
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