Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 7 1915 (Nr. 7 1915)

oder vielleicht auch ein ganzes Jahr hier in englischer 
Gefangenschaft sitzen zu müssen, für uns nicht mehr so 
schrecklich, wie es euch da drüben vielleicht scheinen mag. 
So stark wir uns nach der Freiheit sehnen, so sehr wir 
danach lechzen, die jetzige große Zeit bei euch im lieben 
Vaterlande mit durchleben zu können: der Gedanke, daß 
wir auf ein siegreiches Ende hoffen dürfen, hält uns 
aufrecht, zumal wir von euch wissen, daß es daheim so 
trefflich steht. Ja, ich frage mich zuweilen, wer es von 
uns besser hat, ihr, die ihr euch nach mir sehnt, oder ich, 
den hier im sonnigen Süden mitunter so etwas wie das 
selige Gefühl des Nirwana überkommt. Heute, am Sonn¬ 
tag, haben wir, statt wie sonst bei Sonnenaufgang am 
Meeresgestade und angesichts des gewaltigen Atlas in 
Pyjama zu müllern, bis 7% Uhr geschlafen. Nach der täg¬ 
lichen Seewasserdusche — im offenen Meer baden dürfen 
wir nur zweimal wöchentlich — sitzen wir bei Tee und 
Marmelade in leichtester Kleidung im Freien. Um 
10% Uhr veranstalten wir bei 33° C. unser allsonntäg¬ 
liches Promenadenkonzert. 40 deutsche Sänger haben 
sich zu einem vierstimmigen Gesangverein zusammen¬ 
gefunden. Die deutsch-österreichisch-ungarisch-türkischeUni- 
verfität, deren hohem Kuratorium vorzusitzen ich die 
Ehre habe, und an der ich gleichzeitig deutsches Recht 
und Völkerrecht doziere, hält heute ihre hohe Pforte 
geschlossen. So kann man nach Herzenslust faulenzen, 
was mir merkwürdigerweise gar nicht schwer fällt. Die 
Woche über sind wir stets ausreichend beschäftigt. Neben 
Stubendienst, Stundengeben und -nehmen, häuslichen 
Arbeiten und Lesen unserer eigenen, 800 Bände starken 
Bücherei gibt es ein lebhaftes politisches Leben hier. 
Um die Art und die Größe der Rationen, um das uns 
— aus unserem eigenen — zur Verfügung gelassene 
Geld (6 bis 10 Mark wöchentlich), um das Wechseln 
der Bettwäsche, um die Reinigung des Abortes und 
andere gleich brennende Tagesfragen kommt es in dem 
öffentlich tagenden Parlament der 22 Stubenältesten 
zu erregten Auseinandersetzungen. (Fortsetzung heute 
abends.) 
Abends. Die Opposition hat unseren bisherigen 
Obmann gestürzt. Die Neuwahl nach dem deutschen all¬ 
gemeinen, gleichen, direkten und öffentlichen Wahlrecht 
hat uns mit der unerläßlichen Werbearbeit für und 
wider die Bewerber und mit den Wahlumzügen nach 
amerikanischer Art den ganzen Tag in Atem gehalten. 
Einen großen Teil nahm natürlich auch die Erörterung 
der Kriegslage ein. Wir wissen zwar wenig, können aber 
eben darum um so besser phantasieren und kombinieren. 
Die strategischen Talente zu Wasser und zu Lande 
schießen wie Pilze nach einem befruchtenden Regen aus 
dem Boden. Die Rosa-Optimisten sind in der über¬ 
wiegenden Mehrheit. Daneben gibt's schwarzseherische 
Pessimisten. Nüchterne Mittelmeinungen sind weniger 
gefragt. Es ist jammerschade, daß die hier ins Mittel¬ 
meer verpuffte seemännische und militärische Weisheit 
der deutschen Admiralität und dem Großen General- 
stab vorenthalten bleiben muß. Der Krieg wäre sicher 
mit der völligen Vernichtung aller Gegner — die Japs 
eingeschlossen — längst zu Ende, und wir säßen bei 
Muttern. Falls bei den zukünftigen Friedeusverhaud- 
lungeu Schwierigkeiten entstehen sollten, so wendet euch 
nur vertrauensvoll nach Gibraltar. Wir haben Europa 
mit sämtlichen Kolonien längst sachgemäß verteilt und 
stellen euch einen Abzug kostenlos gerne zur Verfügung. 
Unsere politische Tätigkeit war heute so angeregt, daß 
ttnr fast die Stunde des amtlichen englischen Dinners, 
verpaßt hätten, woran freilich nicht viel verloren ge- 
wesen wäre, denn es ist ärmlich genug. Schlafend und 
lefeno lagen wir dann, wie stets an arbeitsfreien Tagen, 
in der Sonne, bis der Nachmittagstee uns zu Kräppel- 
Letzte Aufnahme des hochwst. Wischofs Kudolpl) 
vor der neitgeötmle» Kleinkinderbewahranstakt 
in WautHausen. 
Aufgenommen von Pfenneberger, Mesner und Uhrmacher, Maut¬ 
hausen, gelegentlich des Besuches des Bischofs am 24. Okt. 1914. V
	        
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