Volltext: Kriegsbilder Nr. 7 1918 (Nr. 7 1918)

Trombenflug. "Är 
Von Friedrich Otts. (Schluß.» 
Das Untier, denn der Gedanle, in die Sphäre eines lebenden 
Tieres Wommen zu sein, verließ ihn von letzt ab nicht mehr, schien 
im ersten Augenblick wie vor Bestürzung über die Kühnheit des 
Mens cbenp unk tes feinen Atem anzuhalten. Eine finstere Stille umgab 
den Flieger, der nach unten durchzustoßen oersuchte. Daran hinderte 
ihn aber die Wolke. Sie hielt ihn fest; das Flugzeug lag wie auf 
einer gummiartigen Masse und wurde trotz vollaufende Motors und 
aus abwärts gestellten Steuers Zurückgefedert. Ein neuer Vorstoß in 
die Tiefe scheiterte. Doch das entmutigte Schsnborn nicht Er ver¬ 
suchte einen Ausweg nach der Seite, entdeckte aber Zu fernem Ent¬ 
setzen, daß er garnicht einmal genau wußte, was oben und unten, 
rechts und links war. Die Kompaßnadel drehte sich und die Luft- 
blase nn HoriZontalmefser schien verschwunden zu fem. 
Das Heulen im Leibe der Wolke nahm Zu und übertönte zuletzt 
das Drohnen der Motoren. Blitzschnelle Rucke warfen das Flugzeug 
hin und her, und Schimborn hatte den Eindruck, als ob die Wolke 
ihn als einen Fremdkörper und zu vernichten, zu Zermahlen, 
Zu verdauen verbuche. Er riß alle seine innere und äußere Kraft zu- 
lammen, gewann sein verlorenes GleichZewichtsempftnden zurück und 
beobachtete, noch immer mit einer gewissen wissenschafMchen Aichs, 
daß er in schnellen Kreisen um eine KkWMNche Stelle hermngeriMn 
wurde. Die Maschine knackte in ihren: Gefüge derart bedenklich, daß 
er den Motor abstellte und feine Bufmerksanckeü Verschärfte, verdoppelte, 
bis M ihrer letzten Möglichkeit steigerte. Sofort wurde der Maelftrom 
schneller, aber auch gleichmäßiger. Unheimliches Sausen und Singen 
im tobte ihn. GanZe Stufenleitern mn %Mlem und Dfem umpsiWen 
ihn. Das Unerhörte war, daß seine WWegwrde auch jetzt noch feilte 
Furcht niederhielt. Er fand das MitgMffenWerden m einen 
büren Kreisel mehr interessant als beängstigend Er verMchte seine 
Stimme. Sie klang aber nicht. Die Töne sielen stumpf und schwer 
wie Blei dicht vor ihm herab. Mehrere Male ließ der Flieger den 
Motor anspringen, um dem Wirbel Zu entfliehen. Doch der entsetzliche 
Kreisel ritz ihn rettungslos mit sich, und als Schimborn dennoch das 
Steuerrad, das wie festgeklemmt war, drehen wollte, sprang plötzlich 
mit Hellem Klang das Seil Zum Hohensteuer. Ein Blutstrom durch¬ 
schlug seinen Körper der ganzen Länge nach. Er fühlte ihn in den 
Zehen und bis in die Augen, die eine Sekunde lang ihre Sehkraft ver¬ 
loren. Dann kehrte der Wunsch, leben zu bleiben, trotz des gerissenen 
Höhensteuers in ihm zurück. Vorläufig gehörte ihm weder Leben noch 
Tod. Er spürte, wie die Ringe des Maelstromes enger und enger wurden. 
Ein tiefes Dröhnen lain aus dem des Wirbels. Es glich 
einem Zitternden Ton von ungeheurer Tiefe, einem Röhren, einem 
Orgeln, das plötzlich in ein rasendes KreHendo überging und mit einem 
Male einer hellen Klamme gleich in einem hellen Geräusch endigte, das 
alle Mißlaute der Welt um eine unsichtbare Achse dreht. Scherben- 
schütten, das Heulen von Stoßkatzen, das Knistern großer elektrischer 
Funken, der schlitternde Donnerschlag eines NahblitzeS, der Zusammen- 
bruch brandender Wellen, all' das war m dem Ton, in dessen innersten 
Kreisel Schönborn jetzt hineingerifsen wurde. 
Eiskalte Rüstigkeit rann über ihn und seine Maschine. Die 
Wolke schwitzte kalten Schweiß. Sein Gesicht und seine Hände tropften 
und fühlten sich wie abgestorben an. Irgend etwas in ihm empfand viel- 
leicht rn: voraus den nahen Tod und starb aus Vorahnung schon jetzt. 
Plötzlich vollzog sich ein inneres Wunder im Leibe der Wolke. 
Der rasende Kreisel brach trichterartig nach unten durch, schlagartig, ruck- 
weise. Der Lärm fiel in die Tiefe und auch Schönborn wurde nach unten 
gesogen. Ohne Zweifel, er hatte die Geburt einer Trombe miterlebt; 
daher der rasende- rauschende, kreischende Klang, die Wehen der Wolke. 
Eine kuv, unheimliche trat ein, und der Flieger bemühte 
sich, volle, größte Klarheit über seine Lage zu gewinnen. Die Trombe, 
die sein Tod sein könnte, konnte ihm das Leben retten. Auf ihren 
geheimnisvollen Aus- und 
Abwärtskrästen wollte 
er versuchen, langsam 
die Tiefe zu erreichen.dem 
zerbrochenen Hohensteuer 
zum Trotz. Seine Gedan¬ 
ken wurden von einem 
heftigen Sturz Zerrissen. 
Es war kein gewöhnlicher 
Fall es war em Sturz 
ins Leere, in ein Vakuum; 
er fiel nicht, er wurde in 
die Tiefe geschossen. Er 
war in den Schlauch der 
Trontbe geraten, der 
nahezu luftleer war. so 
arm an Inhalt, daß er 
nur noch ein dünnes , krcfft- 
loses Pfeifen von sich ge¬ 
ben konnte. Der Apparat 
sauste auf der lrnken 
Tragfläche dem Grunde 
Zu, so daß Schönborn 
den Druck der Ma¬ 
schine von oben her wie 
einen Schlag empfand. 
Klanglos ging der 
Sturz ins Nichts, 
Der Flieger fing an M 
ftt&m. An Stelle der 
Lust war ein seltsam riechender Stoff getreten, gereizter Aether, die 
Urmaterie. Er hatte das Gefühl, in der Nohe eines Rnlnnkorff- 
Apparates Zu lein. Ein feiner Hauch von Schwcfelduft war das letzte, 
ums Schimborn spürte. Er war den: Ersticken nahe. Mit letzter 
Kraft, die schon mehr uzibewußten Reflexen glich, warf sich Schimborn 
über seinen Sitz -hinaus und versuchte das Flugzeug umzulegen. Es 
gehorchte den: Druck des Körpers wie ein Stück Papier, geriet in die 
Wand des Schlauches und wurde fast mit einen; Schlage im Sturz 
aufgehalten. Schimborn warf noch einen Blick in den eigentümlich 
leer sausenden Schlauch, in den seine Rufe wie Geschosse so schnell 
hinabfielen. Er glich einem Tunnel mit leichter Durchbiegung. 
Die Mühle begann wieder. Das Flugzeug umkreiste fallend und 
steigend das Innere der Trombe, und als der Flieger seine Augen 
ausriß, entdeckte er, daß die Wand des Schlauches nach außen hm 
durchsichtig war. Er sah den See und die Ufer und erblickte selbst 
einige Häuser, die wie flache farbige Holztafeln auf der Erde lagen. 
Er konnte nur noch einige hundert Meter übe? dem See sein. Em 
unheimlicher langer Schatten verlor sich unter ihm, es war die Trombe, 
die bis auf den See herabreichte. Sie glich einen; Rüffel, den die 
Mammutwolke nach imten ausgestülpt hatte, um Zu trinken. Waffer, 
Staub, Bäume, Gräber, Häuser« Schornsteine, Federvieh, Stühle, Sterne, 
alles, was sie erfassen konnte, Zog sie in sich ein. Schönborn erkannte, 
z aß die Wolke ihren Durst ;n rücksichtsloser Flucht löschte, denn der 
Rüffel raste mit Schnettzuggeschwindigkeit über das Wasser, das feuchtem 
Schiefer glich. In emem" großen Bogen schleifte die flüchtige Wolken- 
bestie ihren Staffel auf dem Wasser nach. 
Der Flieger ließ den Motor nochmals anspringen, um aus der 
Wand des Trichters herauszukommen« denn er fürchtete, daß die unheim¬ 
lichen ansteigenden Kräfte ihn wieber in die Wolke könnten. 
Auch nahm das Gamsen und Schneiden der Mklonischen Wafserwände 
wieder so ZA, baß Schönborn seine innere Widerstandskraft erlöschen 
fühlte. Spiral sonnige, glitzernde Waffermengen schössen wollen aus- 
warts an ihm vorbei. Der Motor brüllte, aber die Trombe überbrüllte 
die Maschine. Der Eigensinn der Kreiselkräfte der Trombe riß den die 
Flucht nach außen suchenden Doppeldecker mit einem scharfen Zug von 
neuem ins Innere der Trombe. Ein Hundertmetersturz. Wieder die 
Stickgefühle und der seltsame AeLhergeruch. Plötzlich ein alles über- 
täubender Knall, die Trombe war in zwei Trichter Zerrissen, von denen 
der eine wie ein entspanntes Gummigebilde in die Wolkendecke zurück- 
schlug, wahrend der andere einen gewaltigen Obelisken bildete* der 
aus grauer Lust, zuckenden Wasserfleischmassen und einer inneren Er- 
regung bestand, die der Wassersäule die übernatürliche Gestalt gab. 
Gleichzeitig brach eine Sintflut von Wassermassen aus dem nach oben 
Zurückschlagenden Schlauch. Mit der Trombe hatte der Cumulus seine 
Kraft Zum Trinken verloren und auch die Fähigkeit, das getrunkene 
Wasser zu behalten. Es stürzte in dicken Strahlen aus dem Leib der 
Wolke herab. Das Gesetz der Schwere rächte sich gegen seine Ver- 
gewaltigung, gegen die Absicht der Wolke, sich wie ein Tier mit eigenen 
Kräften zu benehmen. Mit dem Wasier stürzte Schönborn in die Tiefe. 
Sein Motor arbeitete nicht mehr. Mit einem lauten Klatsch peitschte 
er auf die erregt tänzelnde Wassersäule, die noch im Zurück- und 
Ausammensinken ihre Sehnsucht nach oben behielt. Sie hielt den Fall 
der Mugmafchine auf und nahm sie langsam versinkend in ihr Schatten- 
reich mit sich. Im Osten zersetzten bunte Lichtzuckungen die Nacht 
Zwischen Wolke und Wasser. Im Westen machte sich die Sonne bereit, 
das apokalyptische Ereignis von untenher blutrot Zu beleuchten. 
Die Bahn der Säule verlangsamte sich, doch schlugen noch immer 
erregte Wellen an ihrem Fuß empor, den sie wie eine Krone umgaben. 
Der seltsame Dust der Elektrizität entquoll der Spitze der Säule, die 
endlich ganz in die Tiefe sank und mit einem letzten Schlag das 
Flugzeug auf das Wasser warf. Schönborn fah, wie die erregte 
Stelle, aus der der Wolfenrüfsel getrunken hatte, ihrem einstigen Er- 
Zeuger nachlief, kreischend und brandend, und sich zuletzt verlor. 
Ueber ihm wogte das volle Gewitter. Ein Motorboot schnellte 
auf ihn Zu und brachte ihn ans Land. Der Führer des Bootes gab 
unmnwimden AU, daß 
er an ein biblisches 
Ereignis vom Range 
eines sich ankündigen- 
den jüngsten Gerichts 
gedacht habe, als er 
plötzlich einen schwarzen 
Flügel aus der Trombe 
habe stürzen sehen. Er 
habe alle seine Kraft zu- 
fammennehmen müssen, 
um sich in das Reich 
der menschlichen Ver- 
nunft zurückzuretßen. 
„Es fah aus, als ob 
die Trombe Sie aus- 
gespuckt hätte", sagte 
der Retter zuletzt. „Es 
ist möglich, daß ich an 
ihrem vorzeitigen Aer- 
reißen schuld bin", ant¬ 
wortete Schönborn und 
schüttelte sich vor Frost 
und Nacherregung. 
Bereits nach einer 
Stunde kehrte er auf 
einem Dampfer auf den 
See zurück, um seinen 
treuen Doppeldecker Zu 
retten. 
Ueber dem Feind: Die Schleusenanlagen der Stadt Nieupsrt in Wandern. 
In 200 Meter Höhe von einem deutschen Veobachrmtgsflieger aufgenommen.
	        
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