Volltext: Nr. 9 (9. 1919)

Jüdische Nachrichten 
Nr. 9 
gewöhnt, daß Juden „blinde Verstocktheit", „fanatische 
Verbohrtheit", „Vermessenheit" usw. vorgeworfen wird. 
Das ist nur eine kleine Blütenlese aus dem bezüglichen 
Aufsatze, der mich zwingt, gegen diese in jeder Bezie¬ 
hung ungerechtfertigte und durch keine Beweise erhär¬ 
tete Angriffe Stellung zu nehmen. Durch Beleidigungen 
wird die Ehre des jüdisch-demokratischen Wahlwerber an¬ 
gegriffen. Statt rein sachlich zu sein, wird ein person- 
licher Ton angeschlagen. Auf diesem Gebiete werde ic i 
keine Gefolgschaft leisten. Ich bin überzeugt, daß bei 
allen rechtlich denkenden Juden und hei allen, die noch 
zwischen den beiden aufgestellten Parteikandidaten ge¬ 
schwankt haben, nach Erscheinen dieses Artikels die Er¬ 
kenntnis eingetreten ist, daß es unmöglich ist, Kandidaten 
zu wählen, deren Gefolgschaft ein so reichhaltiges Re¬ 
gister von Kraftausdrücken besitzt und sie nicht anders 
zu verwerten weiß, als sie über jüdische Mitgliedei zu 
ergießen. Und warum? Weil diese Männer einmal er¬ 
klärt haben, ein Mandat nicht mehr anzunehmen und doch 
als Kandidaten auftreten, Ist das eine „blinde \ erstock - 
heit", ist das eine „fanatische Verbohrtheit , ist, das „Ver¬ 
messenheit" ? Diese Männer wurden von einem Großteil 
der Wähler der Kultusgemeinde eindringlichst gebeten, 
ihre wertvolle Kraft, ihre Erfahrung, ihr gediegenes Yf le¬ 
sen ihr gutes jüdisches Herz der Allgemeinheit zur V er- 
fügung zu stellen. Wenn nun diese Manner einem , so 
ehrenvollen Rufe Folge geleistet <und sich zu einer 
Wiederwahl entschlossen haben, so ist, das em \ organg. 
der in allen politischen Parteien vorkommt und noch 
niemals zu einem persönlichen Angriff von der ^gen- 
rtite ausgenützt wurde. Nur der jungjudiscnen Partei 
blieb es vorbehalten, eine unrühmliche Ausnahme zu 
imChSs geht nicht an" - heißt es in diesem Artikel 
„Männer zu wählen, die erst knapp vor der A ahlii » 
jüdisches Herz entdeckt haben". Wenn das ein Grund 
wäre einen Kandidaten abzulehnen, dann hat diese Ab¬ 
lehnung auch für gleichartige Kandidaten der «unwir¬ 
schen Partei Geltung. Denn auch unter diesen finden 
wir Männer, die kurz vor der Wahl ihr Merz tur m< 
„Jungen" entdeckt haben. Ich erinnere nur an che erste 
Wahlversammlung, wo ein Redner von ^ ,n 
heftigster Weise angegnfien und sogar am V cite 1*1 
chen verhindert wurde, find .ietzt ist dieser Herr ein 
Kandidat*der Jungjuden. 
Wie ich schon einmal erwähnte, hat diese ^parla¬ 
mentarische Agitation mich zu diesem Abwehrartikel vi 1- 
Propaganda will M. Of 
Jeder Jude gebe seine Stimme nach freiem Ei messen t ^ 
weder jenen Männern, hinter denen mir die Jugend 
die nnaichere Znknnft - steht die 
treiben wollen, oder jenen Mannern, hinter denen die 
sichere Gegenwart steht, die. also Gegenwartspolitik au 
produktiver Grundlage betreiben. , , y; ],,]- 
' Zum Schlüsse eine Frage an die yerelnUch^ Redak- 
tion Als Sie die erste Nummer der „-J udischen Nachiuh- 
e? an die jüdischen Familien versandten wurde aus¬ 
drücklich hervorgehoben, daß diese Zeitschrift kein Pa- 
Äein soll, um ..Hader und Zwist" heraushö¬ 
ren. Dies hat mich bestimmt und ,icner v ele G.eich¬ 
gesinnte, obzwar die Herausgeber anderer national« 
Innung sind, diese Zeitung mit Freuden zu begrüßen un l 
zu abonnieren. Nun haben die ersten acht Ausgaoen. ins¬ 
besondere die letzten zwei, gezeigt, daß die Redaktxon 
ihrem Versprechen gegen die Leser untren geworden jt 
denn sie treibt nichts als Parteipolitik, wodurch Hader 
und Zwist heraufbeschworen wird. 
Ing. N e u s c h u I I 0 r. 
Wir haben obigen Artikel eines angeblich Unpar¬ 
teiischen gebracht, weil wir es freudig begrüßen, daß zum 
erstenmal'jemand von unserer Rubrik „Sprechsaa ,(~ 
brauch macht. Trotzdem können wir natürlich die Aus¬ 
führungen des Einsenders nicht unwidersprochen lassen, 
schon deshalb nicht, weil dieselben auch eine Kritik un¬ 
seres Blattes enthalten. 
Der Aufsatz ist symptomatisch für die Auffassung, 
die ein Teil der in dem Wahlkampf angeblich ITnpar 
teiischen von der jungjüdischen G ruppe hat: Wenn irgend 
eine Partei von sachlichen oder ideellen Gesichtspunkten 
geleitet wird, so ist es diese und gerade deshalb sind etwas 
heftige Ausrufe gegen Anschauungen verständlich, die 
dem von einem Gedanken ganz ausgefüllten Menschen 
einfach unerklärlich sind. Dazu kommt, daß sich eine 
Empfindlichkeit gerade bei jenen zeigt, die eigentlich 
fühlen sollten, daß es keinem, und selbst nicht dem ärg¬ 
sten Hitzkopf einfällt, sie anzutasten.. Wir hatten ge¬ 
meint, daß gerade Sätze wie der von den Kandidaten, die 
erst knapp vor der Wahl ihr jüdisches Herz entdeckt 
haben, keiner Mißdeutung begegnen können. Hier eine 
Parallele zu ziehen mit einer Persönlichkeit, die einmal 
von den J ü d i s c h 11 a t i o n a 1 e 11 angegriffen wurde 
und heute im Wahlkampf mit ihnen geht, ist doch sichei 
nicht berechtigt. Gerade weil wir auf der einen Seite 
die reine Sachlichkeit sehen und auf der anderen trotz 
eines gut imitierten Programms diese vermissen, glauben 
wir daß eine Kritik von Handlungen, die im Gegensatz 
zu einmal abgegebenen Erklärungen stehen, noch nicht 
als Angriff auf die persönliche Ehre angesehen werden 
können, — außer der Getroffene hat sich betroffen ge¬ 
fühlt. Gerade der politische Kampf im Staat zeigt uns, 
daß der Wahlstreit um die .Linzer Kultusgemeinde von 
den Jungjuden stets in einer sachgemäßen, ehrlichen und 
offenen Form geführt wurde. 
Wenn Herr Ing. Neuschüller die Parteien als „I ii- 
parteiischer" abwägt, so scheint er doch auch einem Irr¬ 
tum zu unterliegen: Uns erscheint die Jugend als un¬ 
sichere Zukunft gar nicht so unsicher, sondern a.s etwas, 
was so sicher kommt, wie das Amen im Gehet., und Z 
kunftspolitik als ein Pleonasmus, da doch Politik steh 
nur für Zukünftiges gemacht wird, nie fur den Augenblick. 
Schließlich zur Frage des Einsenders Wir sehen in 
dem Wahlkampf nicht Hader nnd W', sondern hl.- 
run"- der Geister. Daß stets nur eine Seite das W oil 
ergriffen hat, ist nicht unsere Schuld. Was aber unsere 
persönliche Meinung betrifft, so glaubten wir sie germ c 
in der ersten Nummer deutlich genug gesagt zu haben. 
Wir stehen ganz ,auf dem Boden eines .indischen •Volks¬ 
tums, an dessen Regeneration auch wir m ^rem jng 
Rahmen mit aller Kraft mitarbeiten wollen, j d ^ 
Idee ist unser Leitstern. Das ist der einzige Gesichts¬ 
punkt, von dem aus wir die Wahl betrachten: auch sie soll 
zu der Befestigung dieser Idee in misery^Volke bei- 
tragen I 
Fingerzeige für die Wahl. 
Die Wahl findet Sonntag den 6. April Sitzungs¬ 
säle der israelitischen Kultusgemeinde, Linz, Bethlehem 
straße 26 in der Zeit von 9-12 Ehr vormittags und von 
2—5 Uhr nachmittags statt. Zur Wahl hat jeder W ah kr 
nnd jede Wählerin p e r s ö n I i c h zu erscheinen, sole 
dieselben nicht erwiesenermaßen krank sind und dui 
einen Bevollmächtigten wählen. Zur Wahl ist unbe¬ 
dingt die von der Kultusgemeinde ausgegebene Le i 
timation mitzubringen.
	        
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