Volltext: Nr. 74 (74. 1920)

Nr. 74 
Jüdische Nachrichten 
zu entdecken! — Er fand Leopold Kahn und verschiedene 
Kohns — auch Siegmund Kohn, der auf den Ruf eil¬ 
fertig herbeistürzte und dem' voranstürmenden Justizrat 
die gewundene Treppe hinauf bis ins Terminzinomer 
folgte; dort erst stellte sieh, nachdem Kohn sämtliche 
23 Akten, welche ihm zur Termins Wahrnehmung vom 
Kartell Berendsen übersendet waren, durchgesehen hatte, 
der Irrtum heraus, und man, trennte sich in großer Er¬ 
bitterung, — Aber Siegmund Kalm kam nicht zum Vor¬ 
schein. 
Inzwischen saß der Rechtsanwalt Sigismund Hank 
im Schachzimmer, duckte seine kleine Gestalt hinter 
einer Gruppe von Kiebitzen, wrelche wie hypnotisiert auf 
das Schachbrett starrten, an dem zwei hoffnungslose 
Schachstümper über der uninteressantesten aller Partien 
brüteten — und stellte sich taub und stumm. Er wußte, 
in welcher Sache Wenzel ihn suchte; es war der ver¬ 
wünschte Prozeß wegen der Ethrogim1, den er als Kläger 
in erster Instanz verloren hatte. Er hatte auf Wunsch 
seines Mandanten gegen; das Urteil Berufung einlegen 
müssen, war aber von der Aussichtslosigkeit des* Rechts¬ 
mittel einigermaßen durchdrungen. Die Sache war ihm 
überhaupt aus mancherlei * Gründen wenig sympathisch 
und zu- allem Unglück mußte sie auch /noch — ausge¬ 
rechnet ! —tr vor der Kammer des malitiösen Bandmann 
zur Verhandlung anstehen. Er nahm sich fest vor, wenn 
er diesmal dem suchenden Gegner entrinnen und wenn 
auf diese Weise eine Vertagung erfolgen würde, das 
nächste Mal die Akte zur Wahrnehmung des Termins 
einem Kollegen anzudrehen. 
Aber schon war ihm das Verhängnis in der Gestalt 
des Anwaltsboten nahe; der hielt, als Wenzel wieder sein 
„Siegmund Kahn!!" brüllend an ihm vorbeizog, den 
Justizrat an der flatternden Robe fest und fragte: 
„Wen suchen Sie? — Kahn? — Siegmund Kahn? 
— Aber Herr Justizrat — den gibts ja gar nicht mehr! 
— Dem ist doch durch allerhöchsten Erlaß im Wege der 
Gnade die weitere Verbüßung des Namens erlassen wor¬ 
den. — Wissen Sie — als jüngst der große Schub er¬ 
folgte: aus Saulus wurde Paulus — aus Levysohn wurde 
Lehnsen und aus der Asche Siegmund Kahns entstand 
der Phönix Sigismund Hank!" 
Und er rief mit schmetternder Stimme: 
„Rechtsanwalt Sigismund Hank!" 
„Der Teufel soll sich mit den israelitischen Kollegen 
auskennen!" sagte Wenzel verdrießlich. „Jede Nase lang 
heißen sie anders!" 
„Hank! — Kollege Hank!" rief ^r dann mit neu¬ 
belebter Hoffnung. 
Jetzt mußte Sigismund Hank wohl oder übel doch 
dem Rufe Folge leisten; er raffte seine Akten zusammen 
und kam scheinbar eilfertig aus dem) Schachzimmer 
heraus. 
„Na — da ist er ja!" rief der Anwaltsbote. „Herr 
Jtistizrät Wenzel bringt sich um nach Ihnen!" 
„Bin ich gerufen?" fragte Hank unschuldig. „Herr 
Justizrat Wenzel? —- Hier — Hank ist mein Name! 
Daß Sie nur endlich da sind! Ich warte schon mindestens 
eine Stunde auf Sie!" 
„Na — erlauben Sie mal!" sagte Wenzel entrüstet. 
„Ich brülle schon seit drei Stunden wie ein \ errückter 
nach Ihnenr!" 
„Bedaure!" sagte Hank. „Ich hätte das doch hören 
müssen, wenn mein Name gerufen wäre. — Eben erst 
hörte ich ihn zum erstenmal!" 
„Na — wenn es für Sie den Reiz der Neuheit hatte, 
Ihren Namen zu hören — ich bin richtig heiser ge¬ 
worden. — Na, nun kommen Sie mal mat, damit wir 
wenigstens vor Ostern unsere Paradiesäpfel unter Dach 
und Fach bringen." 
Sie eilten die Treppe zum zweitem Stockwerk empor 
und betraten das Sitzungszimmer des wegen seiner Red¬ 
seligkeit und Bosheit ge fürchteten Band mann, der zwi¬ 
schen den Landesgerichtsräten Schlüter und Bernstorff 
thronte. Da die Verhandlung in Sachen Romanow 
gegen Prinz von Wales viel Zeit in Anspruch ge¬ 
nommen hatte, hatten sieh ein größere Zahl von Anwäl¬ 
ten im Zimmer angesammelt, die ungeduldig" warteten, 
bis sie an die Reihe kommen; würden. Die beiden Ein¬ 
tretenden wurden mit feindlichen Bliekeji empfangen, 
und es entspann sieh der übliche Streit um den Vorrang. 
Der Terminzettel entschied zugunsten der Sache Pfef¬ 
fer gegen Boruch; die andern Anwälte zogen sich 
brummend und unwillig in den Hintergrund. — Wenzel 
und Hank aber postierten sich neben die beiden Pulte, 
die rechts und links vor dem Richtertisch angebracht 
waren, um sofort, wenm die augenblicklich verhandeln¬ 
den Sachverwalter das Feld räumen würden, ihre Sache 
aufrufen zu lassen, ehe noch etwa im letzten Moment 
hereinstürzende Anwrälte sie mit einer noch früheren 
Nummer des Terminzettels wieder verdrängen könnten. 
Von der Zuhörerbank im Hintergründe aber lösten 
sich die Parteien selber — Herr Pfeffer und Herr Bo¬ 
ruch ; seit denn Aufruf durqja den Gerichtsboten:, d. h., 
seit fast drei Stunden — der Termin stand um1 neun; 
Uhr an und jetzt war es fast zwölf — hatten sie auf der 
Holzbank gesessen, sich giftige Blicke zuwerfend. Der 
Grimm, der sich in ihnen angesammelt hatte und der sich 
auch gegen die eigenen Anwälte richtete, welche sie hier 
stundenlang eich vor Ungeduld verzehren ließen, wich 
etwas freundlicheren Gefühlen; hoffnungsvoll und 
kampfbereit pflanzten sie sieb neben ihren Beiständen 
auf, dem Gegenanwalt verächtliche Blicke zuwerfend. 
Noch aber war die Sache Romlanow gegen den Prin¬ 
zen von Wales nicht ganz beendigt, doch diktierte der 
Vorsitzende schon dem Referendar den Vergleich, durch 
den der Lederhändler Wolf in Firma Romanow und der 
Schuhwarenhändler Rosenbaum in Firma Prinz von 
Wales ihre Streitaxt begruben. 
Endlich war es so weit; das Vergleichsprotokoll war 
vorgelesen und genehmigt. Die abgefertigten beiden An¬ 
wälte stürzten mit ihren Akten hinaus und Wenzel und 
Hank nahmen ihre Plätze ein. 
„Die sechste Sache auf dem; Zettel!" sagte der Ju¬ 
stizrat. „Nr. 286 — Pfeffer gegen Boruch." 
„Ich sehe schon," Sagte der Vorsitzende, den Blick 
flüchtig über die Parteien schweifen lassend und nahm 
die Akte aus der Hand des einen Beisitzers. „Das ist die 
Sache mit den Paradiesäpfeln, die Erisäpfel geworden 
sind. Die Milch der frommen Denkungsart hat sich in 
gärend Drachengift verwandelt. — Herr Referendar 
Lehnsen — das ist ja Ihre Sache! Führen. Sie, bitte, das 
Protokoll!" 
„Die Sache ist wohl spruchreif," sagte Justizra.t 
Wenzel., *Sie ist ausführlich, schriftlich vorbereitet; 
müssen wir noch mündlich vortragen ?" 
Die Herren haben sich mit aller dem Ernst der Sache 
entsprechenden Ausführlichkeiten in ihren Schriftsätzen 
über den Gegenstand verbreitet," sagte der Direktor. 
„Da können wir die Reden wohl als genossen ausnehmen 
und nach Lage der Akten entscheiden."
	        
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